# taz.de -- Mehr als 500 Menschen an Bord: Italien lässt Rettungsschiffe rein | |
> Die neue rechte Regierung lässt drei Schiffe mit geretteten Geflüchteten | |
> in Häfen einlaufen. Das Innenministerium erklärt, dies sei kein | |
> Kurswechsel. | |
Bild: Das Rettungsschiff „Geo Barents“ bei der Ankunft im Hafen von Salerno | |
ROM taz | Zwei Flüchtlingsschiffe mit mehr als 500 Menschen an Bord sind am | |
Sonntagmorgen in die süditalienischen Häfen Salerno und Bari eingelaufen. | |
Zuvor hatte ihnen Italiens Regierung überraschend die Einfahrt gestattet. | |
Die in Salerno eingetroffene „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen hatte 261 | |
Flüchtlinge an Bord, während die „Humanity 1“ – ein Schiff der deutschen | |
Organisation United4Rescue – 248 Flüchtlinge nach Bari brachte, unter | |
ihnen 93 Minderjährige und drei schwangere Frauen. Als wichtigste | |
Herkunftsländer wurden Kamerun, Ägypten, Syrien und die Elfenbeinküste | |
genannt. | |
Schon am Freitag hatte das ebenfalls deutsche Rettungsschiff „Louise | |
Michel“ die Erlaubnis erhalten, 33 Gerettete im Hafen Lampedusas | |
auszuschiffen. | |
Steht die überraschend konziliante Haltung Italiens für einen Kurswechsel | |
der Rechtsregierung unter Giorgia Meloni? Noch Anfang November hatte sie | |
[1][wochenlang mehreren Flüchtlingsschiffen die Einfahrt verweigert] und | |
damit auch eine mittelschwere diplomatische Krise mit Frankreich | |
losgetreten. | |
Als nämlich das Schiff „Ocean Viking“ der französischen Organisation SOS | |
Méditerranée schließlich den Hafen Toulon angesteuert hatte, bedankte sich | |
Meloni nicht nur ungefragt und überschwänglich beim französischen | |
Präsidenten Emmanuel Macron. Ihr Vizeministerpräsident, der Legachef Matteo | |
Salvini, setzte noch eins drauf, mit der Äußerung, in Europa habe sich „der | |
Wind endlich gedreht“. | |
## Roms umstrittene Interpretation des Seerechts | |
Frankreich dagegen schoss umgehend zurück mit der Feststellung, die | |
Aufnahme der Flüchtlinge in Toulon sei und bleibe eine „absolute Ausnahme“, | |
und im Übrigen sei die Weigerung Italiens, seine Häfen zu öffnen, schlicht | |
ein Bruch des internationalen Seerechts. | |
Das Seerecht hat Italiens neuer Innenminister Matteo Piantedosi in der Tat | |
kreativ ausgelegt. Ihm zufolge gilt die Norm, nach der die nächstgelegenen | |
Staaten – in dem Falle also Italien und Malta – für gerettete | |
Schiffbrüchige einen „Place of Safety“, einen sicheren Hafen, anweisen | |
müssen, eigentlich gar nicht. Die Rettungsschiffe selbst, behauptet | |
Piantedosi, seien doch „ein provisorischer sicherer Ort“, und ansonsten | |
sollten sich die Flaggenstaaten um die Aufnahme der Geretteten kümmern. | |
Von dieser Linie, die direkt an die in den Jahren 2018/19 vom damaligen | |
Innenminister Matteo Salvini verfolgte Politik der „geschlossenen Häfen“ | |
anknüpfte, scheint Italien jetzt mit dem problemlosen Einlaufen von gleich | |
drei NGO-Schiffen in seine Häfen abgerückt zu sein. Doch diesen Eindruck | |
suchte das Innenministerium umgehend zu zerstreuen. In einer Presseerkärung | |
heißt es, es habe „bei der Immigration keinerlei Rückzug“ gegeben. | |
Die Einfahrterlaubnis in die Häfen verdankt sich danach einzig dem | |
schlechten Wetter, das von den NGOs zum „Vorwand“ genommen worden wäre, den | |
Notstand an Bord zu erklären. Weiter geht es mit einer Breitseite gegen die | |
Retter, denen „riskantes und provokatorisches Handeln“ vorgeworfen wird und | |
die oft ja bloß „Wirtschaftsmigranten“ nach Italien brächten und mit ihrem | |
Einsatz erst den Anreiz für sie schüfen, in See zu stechen. | |
## Innenministerium: Flüchtlinge und Retter sind selbst schuld | |
Mehr noch, jene Flüchtlinge seien halbkriminell: „Sie haben einen Schleuser | |
bezahlt, also einen Straftäter, um illegal nach Italien zu gelangen.“ | |
Dabei verschweigt das Ministerium, dass von den knapp 100.000 im Jahr 2022 | |
übers Mittelmeer nach Italien Gelangten nur rund 15 Prozent von | |
NGO-Schiffen gerettet wurden, während die übrigen direkt an den Küsten | |
ankamen. | |
Piantedosi scheint entschlossen, seinen Feldzug gegen die Rettungsschiffe | |
bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen. | |
11 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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