# taz.de -- Beschluss des UN-Menschenrechtsrats: Gewalt in Iran wird untersucht | |
> Die UN richten eine Untersuchungskommission zur Gewalt gegen | |
> Protestierende in Iran ein. Die Mehrheit mussten sich Deutschland und | |
> Island erarbeiten. | |
Bild: Außenministerin Baerbock und UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Turk,… | |
Berlin taz | Selbst für Insider war der Ausgang bis zuletzt nicht absehbar, | |
am Ende war das Resultat aber überraschend klar: Der UN-Menschenrechtsrat | |
hat am Donnerstag in Genf die Einrichtung einer Untersuchungskommission | |
[1][für die Gewalt gegen Protestierende in Iran] beschlossen. Mit 25 zu 6 | |
Stimmen nahm das Gremium eine entsprechende Resolution an; 16 Länder | |
enthielten sich. Im Auftrag der Vereinten Nationen werden Expert*innen | |
nun gerichtsfeste Beweise für Menschenrechtsverletzungen sammeln. Dem | |
Resolutionstext zufolge sollen sie dabei explizit auch die | |
„Gender-Dimension“ möglicher Verbrechen miteinbeziehen. | |
Über den Beschluss kann sich nicht nur die Protestbewegung in Iran freuen. | |
Das Abstimmungsergebnis ist auch ein Erfolg für Außenministerin Annalena | |
Baerbock: Zusammen mit Island hatte Deutschland die Resolution eingebracht. | |
Im Inland war die Grünen-Politikerin in den vergangenen Wochen [2][von | |
Aktivist*innen und aus der Opposition kritisiert worden], weil die | |
Bundesregierung trotz ihrer Ankündigung einer feministischen Außenpolitik | |
spät auf die Repressionen in Iran reagiert hatte. Mit der UN-Resolution | |
kann sie die Kritik nun kontern. | |
Als eine von wenigen Außenministerinnen war Baerbock sogar persönlich nach | |
Genf gereist, um in der Ausschusssitzung für die Initiative zu werben. | |
Schon zuvor hatte das Auswärtige Amt in Einzelgesprächen mit den übrigen 46 | |
Mitgliedsstaaten des Gremiums um Unterstützung gebuhlt. Anders als im | |
UN-Sicherheitsrat hat im Menschenrechtsrat zwar kein Land ein Veto-Recht. | |
Für Entscheidungen reichen einfache Mehrheiten aus. Allerdings sitzen in | |
dem Gremium etliche autokratisch regierte Länder wie China oder Katar. | |
Und auch der Iran war im Vorfeld nicht untätig. „Wir hören, dass auch das | |
iranische Außenministerium viel telefoniert hat. Sie haben alle Hebel in | |
Bewegung gesetzt und unseren Partnern ganz schön Druck gemacht“, sagt eine | |
deutsche Diplomatin. Aus Verhandlungskreisen war am Donnerstag zu hören, | |
der Iran habe mehreren europäischen Delegationen einen Deal angeboten: Wenn | |
sich die Staaten bei der Abstimmung enthalten, würde der Iran inhaftierte | |
Staatsbürger dieser Länder freilassen. | |
In der Debatte am Vormittag zeichnete sich aber früh ab, dass das Teheraner | |
Regime zumindest mit diesem Angebot keinen Erfolg hatte. Vor allem von | |
europäischen und anderen westlichen Staaten erhielt die Resolution dort | |
Zuspruch. Baerbock selbst sagte, das Regime verletzte durch seine | |
Menschenrechtsverstöße „die Werte unserer Vereinten Nationen“. Die | |
Abstimmung sei auch „ein Test für unseren Mut hier bei der UN, unsere | |
Stimme zu erheben“. Ihre Rede beendete sie mit dem iranischen Slogan | |
„Women, Life, Freedom“. | |
## Regime spricht von Missbrauch | |
Der Iran hielt dagegen, indem er ebenfalls eine Frau in die Debatte | |
schickte: Khadijeh Karimi, eine Funktionärin der iranischen Frauenbehörde. | |
Sie warf „arroganten Staaten“ des Westens vor, den Menschenrechtsrat zu | |
missbrauchen. Die Resolution sei „politisch motiviert“ und den | |
„selbsternannten Menschenrechts-Weltmeistern“ fehle die Integrität, um | |
andere Länder zu belehren: Mit seinen Anti-Iran-Sanktionen gefährde der | |
Westen selbst das Leben iranischer Frauen und Kinder. | |
Länder wie Kuba, China und Venezuela sprangen dem Iran bei: Der Westen | |
politisiere das Gremium, mische sich unter dem Deckmantel der | |
Menschenrechte in innere Angelegenheiten ein und messe mit zweierlei Maß, | |
wenn er zu Verstößen anderer Staaten schweige. Geholfen hat es nichts: | |
Neben den genannten Staaten stimmten am Ende nur Armenien, Eritrea und | |
Pakistan mit Nein. Ja-Stimmen gab es über den Block der westlichen Staaten | |
hinaus unter anderem von Nepal, Somalia und Mexiko; Enthaltungen von | |
Ländern wie Brasilien, Katar und Kasachstan. | |
Geholfen hat dabei womöglich, dass sich die Resolution streng auf die | |
Gewalt gegen die Protestierenden beschränkt und andere Streitpunkte | |
auslässt. Im Auswärtigen Amt wollte man dadurch dem Vorwurf zuvorkommen, | |
die Menschenrechtslage für eine pauschale Anti-Iran-Kampagne zu | |
missbrauchen. Waffenlieferungen an Russland für den Ukraine-Krieg oder das | |
iranische Atomprogramm tauchen nicht auf. | |
Hilfreich war aber auch: Sowohl der Menschenrechtskommissar als auch der | |
Iran-Sonderberichterstatter der UN sprachen sich für die | |
Untersuchungskommission aus. Mit ihren bislang verfügbaren Instrumenten | |
kommen sie nach eigenen Angaben nicht weiter, weil der Iran nicht | |
kooperiert. | |
## Symbolischer Erfolg | |
Mit dem Problem wird sehr wahrscheinlich auch das neue Untersuchungs-Team | |
zu kämpfen haben. Der Iran wird die UN-Ermittler*innen wohl nicht ins Land | |
lassen. Sie müssen also voraussichtlich mit Fotos, Videos und digitalen | |
Zeugenbefragungen arbeiten. | |
Zunächst ist die beschlossene UN-Resolution damit vor allem ein | |
symbolischer Erfolg, der den internationalen Druck auf den Iran erhöht. | |
Praktische Auswirkungen werden die Untersuchungen darüber hinaus | |
möglicherweise erst in der Zukunft haben, falls sich Verantwortliche des | |
Regimes irgendwann vor Gerichten für ihre Taten verantworten müssen. | |
In Deutschland lässt dementsprechend die Union von ihrer Kritik an Baerbock | |
und der Bundesregierung nicht ab. „Es reicht nicht, formale Verurteilungen | |
beim UN-Menschenrechtsrat zu beantragen, denn das beeindruckt die Mullahs | |
in keiner Weise“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand am | |
Nachmittag. Es brauche „wirkungsvolle Schritte“. Lob kam dagegen von | |
Menschenrechtsorganisationen. „Dieser wichtige und überfällige Schritt | |
zeigt, dass die Rufe des iranischen Volks nach Gerechtigkeit endlich gehört | |
wurden“, twitterte der Iran-Account von Amnesty International. | |
24 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Aufstand-im-Iran/!5893538 | |
[2] /Deutsche-Aussenpolitik-gegenueber-Iran/!5884131 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
## TAGS | |
Proteste in Iran | |
UN-Menschenrechtsrat | |
Annalena Baerbock | |
Solidarität | |
Proteste in Iran | |
Proteste in Iran | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Fußball-WM | |
Proteste in Iran | |
Proteste in Iran | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Proteste in Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Frauen in Iran: Scheherazades 1001 Töchter | |
Weibliches Märtyrertum ist in der persischen Kultur fest verankert. Die | |
alten Mythen sind eine Bastion gegen den aufgezwungenen islamischen | |
Glauben. | |
Generalstreik in Iran: Ins Herz des Regimes | |
Die landesweiten dreitägigen Generalstreiks haben die iranische Führung | |
schwer getroffen. Das zeigen auch Maßnahmen wie das Abschalten des | |
Internets. | |
Einschüchterung von DW-Mitarbeitern: Iran droht deutschen Journalisten | |
Nach Drohungen gegen Redakteure der Deutschen Welle fordert der DJV die | |
Einbestellung des iranischen Botschafters. | |
Politik und Fußball-WM: 2:0 für die Freiheit | |
Der Streit um die One-Love-Armbinde hat die Menschenrechte auf die Agenda | |
gebracht. Fest steht, dass bei der Fifa nach der WM aufgeräumt werden muss. | |
Repression in Iran: Sexuelle Gewalt unter dem Mullah-Regime | |
In iranischen Gefängnissen wird systematisch sexuelle Gewalt ausgeübt. | |
Diese ist schon immer Bestandteil der Repression. Jetzt wird sie | |
öffentlich. | |
Solidarität mit Menschen in Iran: „Wir sind hier unter uns“ | |
Welche Rolle spielt die deutsche Zivilgesellschaft beim Aufstand gegen die | |
Mullahs? Eine zu kleine, wie eine Diskussionsrunde am Gorki Theater zeigt. | |
Proteste im Iran: Die große Kluft | |
In Iran kämpft eine alte, fundamentalistische Herrscherklasse gegen eine | |
junge, progressive Bevölkerung. Eindrücke aus Teheran und Isfahan. | |
Proteste in Iran: Nur ein Leben in Freiheit | |
Es sind die unter 40-Jährigen, die mit ihrem Zorn gegen die Islamische | |
Republik auf die Straße ziehen. Sie lassen sich von der Gewalt nicht | |
schrecken. |