Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Union und das Einbürgerungsrecht: Gefühlte Fakten
> Einbürgerung beschleunigt Integration. Doch wissenschaftliche
> Erkenntnisse interessieren CDU und CSU nicht. Sie schaden damit auch sich
> selbst.
Bild: Politische Überzeugungen statt Fakten: CDU-Vorsitzender Merz am 2. Dezem…
Es ist mal wieder so weit: Alle Jahre wieder läuten bei der Union die
Glöckchen. Leider nicht die Weihnachtsglöckchen, sondern die
Anti-Ausländer-Glöckchen. Mal sind es die Geflüchteten, die dem Staat auf
der Tasche liegen, mal sind es „die Migranten“, die einfach nicht verstehen
wollen, dass man sich gegen Covid impfen lassen muss, ein anderes Mal sind
es die „die Clans“, die Deutschland unsicher machen.
Jetzt sind es die Eingewanderten, die die Naivität der Ampel-Parteien
ausnutzen, um sich die deutsche Staatsbürgerschaft zu erschleichen. Und
das, bevor sie richtig integriert sind!
Ein Best-Off der vergangenen Woche: Der Parlamentarische Geschäftsführer
der Unionsfraktion Thorsten Frei warnte, dass man „flächendeckend mit dem
deutschen Pass um sich wirft“. Aus der CDU-Landtagsfraktion Sachsen hieß
es, die Staatsbürgerschaft dürfe nicht „verramscht“ werden, man sei
schließlich nicht am „Wühltisch!“ Der Deutsche Pass dürfe nicht „entwe…
werden, hieß es von CDU-Generalsekretär Mario Czaja.
Alexander Dobrindt fasste es gegenüber der BILD-Zeitung so zusammen: „Die
deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen fördert nicht die Integration,
sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pulleffekte
bei der illegalen Migration auslösen.“
## Der Pull-Effekt existiert nicht
Da möchte man eigentlich lachen, wenn es nicht so verstörend wäre.
Unionspolitiker glauben also, Menschen sitzen irgendwo im Nahen Osten und
denken: Hey, eigentlich wollte ich gar nicht in die Fremde ziehen, aber ich
habe gehört, in Deutschland kriegt man die Staatsbürgerschaft statt nach
acht Jahren jetzt nach fünf Jahren, also los, packt eure Rucksäcke, Kinder!
Nun könnte man sich zur Frage der Migrationspolitik wissenschaftliche
Erkenntnisse anschauen. Man könnte feststellen, dass der sogenannte
„Pull-Effekt“, den CDU und CSU so gerne bemühen, nicht existiert, das
[1][haben Studien wiederholt belegt]. Eine weitere Lektüre wäre die
[2][Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung] aus dem Jahr 2020,
wo der Zusammenhang zwischen Einbürgerung und Integration umfassend
untersucht wird.
Dort kommen die Wissenschaftler*innen zu der Erkenntnis, dass
Einbürgerung Integration beschleunigt. Weiter: „Je schneller Immigranten
nach Ankunft im Zielland die Staatsbürgerschaft erhalten haben, desto
stärker ist der Effekt der Einbürgerung auf die Integration.“
Ein Ergebnis der Studie ist sogar, dass die „Legalisierung des
Aufenthaltsstatus zu geringerer Kriminalität führt.“ Ein weiterer Schluss,
der in dem Papier gezogen wird: „Politische Debatten zum Thema Einbürgerung
und Integration basieren häufig auf politischen Überzeugungen anstelle von
Fakten“.
## Einwanderung in die Sozialsysteme. Fakten dazu? Keine
Die Unionsparteien führen dabei geradezu ein Lehrstück auf. Das lässt sich
auch gut an der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft beobachten. CDU- und
Fraktionschef [3][Friedrich Merz erklärte in der ARD], dass er gegen die
doppelte Staatsbürgerschaft sei: Diese solle „nicht der Regelfall, sondern
eher der Ausnahmefall“ sein. Und, natürlich, der Klassiker: Was man
verhindern müsse, sei Einwanderung in die Sozialsysteme.
Zwischen den Zeilen heißt das: Menschen, die sich einbürgern lassen, wollen
eigentlich nur vom großzügigen deutschen Sozialstaat profitieren. Evidenz?
Keine! Macht nichts. Derweil ist die doppelte Staatsbürgerschaft für
EU-Bürger*innen völlig legal. Die Union ist also eigentlich nur dagegen,
wenn es um Menschen aus Staaten wie der Türkei geht, und für Menschen aus
all den Staaten, die in der Vorstellung von CDU und CSU in die
Sozialsysteme einwandern.
## Das Sterotyp vom faulen und kriminellen Ausländer
Kurz gesagt: Union, CDU und CSU, fahren mal wieder eine Image-Kampagne, mit
der sie ihren rechten Glanz aufpolieren wollen. Zugang zu Studien zu
Einbürgerung und Integration haben diese Politiker*innen schließlich
auch. Dass sie ihre Kampagne auf Kosten rassistischer Stereotype – des
faulen, kriminellen Ausländers – fahren, macht ihnen nichts aus. Es ist
schließlich nichts Neues für die Union: Man erinnere sich an die
„Unterschriften-Aktion“ von Roland Koch im Jahr 1999, wo er Menschen dazu
aufrief, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu unterschreiben. Der Satz
„Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“ wurde
berühmt-berüchtigt.
Parteipolitisch ergibt es für CDU und CSU nur auf den ersten Blick Sinn.
Und zwar dann, wenn man davon ausgeht, dass eingebürgerte Migrant*innen
ohnehin nicht konservativ wählen. Dabei existiert das Potenzial für die
Union, auch von Migrant*innen gewählt zu werden, durchaus: Eingebürgerte
Menschen wählen in geringer, aber steigender Zahl auch konservative
Parteien. Nur: Eine Politik, die auf Ressentiments basiert, hat keine
Zukunft und ist in der Breite für Eingewanderte nicht wählbar.
Schon lange herrscht international ein Wettbewerb beim Thema Einwanderung.
Menschen werden davon überzeugt werden müssen, in ein Land einzuwandern, in
dem es rassistische Mordserien und rassistische Terroranschläge gibt – und
an der Spitze Parteien, die glauben, Stimmungsmache wäre Politik. CDU und
CSU machen derweil munter weiter: Alle Jahre wieder.
3 Dec 2022
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/studie-sieht-keinen-beleg-fuer-pull-effekt-a…
[2] https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/einbuergerung-jun…
[3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/merz-bab-interview-101.html
## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
Doppelpass
Einbürgerung
Schwerpunkt Rassismus
Ampel-Koalition
Migration
GNS
Migration
Organisierte Kriminalität
Einbürgerung
Partizipation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Einwanderung und Arbeitskräftemangel: Migrantisches Gold
Es geht nicht mehr nur um die sogenannten Qualifizierten. Deutschland
braucht Arbeitskräfte in großer Zahl.
„Clan-Razzien“ im Visier: Linke sorgt für Recht und Ordnung
So genannte Verbundeinsätze sind rechtlich problematisch, finden aber immer
wieder statt. Jetzt schert Neuköllns Ordnungsstadträtin Sarah Nagel aus.
Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: Einbürgerung nach 5 Jahren
In Deutschland sollen Einbürgerungen leichter werden. Ein Gesetzentwurf von
Bundesinnenministerin Faeser ist in den Endzügen.
Änderung an Staatsangehörigkeitsgesetz: Keine Einbürgerung für Antisemiten
Die Große Koalition will bestimmten Straftätern die deutsche
Staatsangehörigkeit zeitweise verwehren – eine Reaktion auf Hetze vor
Synagogen.
Sachverständigenrat für Integration: Turbo-Einbürgerung, bitte
Deutschland ist divers wie nie. Vor der Bundestagswahl fordern
Expert:innen für Integration Maßnahmen für mehr politische Teilhabe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.