| # taz.de -- Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: Wie ich Deutsche wurde | |
| > Die Ampelkoalition will Einbürgerungen erleichtern. Unsere Autorin hat es | |
| > das hinter sich. Zwei Jahre dauerte ihr Verfahren. Andere warten länger. | |
| Bild: Ich lebe seit fast 20 Jahren in Berlin, die Hälfte meines Lebens | |
| Gesungen habe ich die Hymne schon. Ich mag es halt, zu singen. Networking | |
| am Stehtisch mag ich auch, und den Festsaal des Abgeordnetenhauses konnte | |
| ich bei der Gelegenheit auch zum ersten Mal sehen. War ich stolz? Das weiß | |
| ich nicht. Auf jeden Fall erleichtert, dass der lange Weg zur deutschen | |
| Staatsangehörigkeit endlich geschafft war. | |
| So fühlte sich die Einbürgerungsfeier an, bei der ich im Dezember 2019 | |
| dabei sein durfte. Dürfen, weil nicht alle Neubürger*innen des Jahres | |
| daran teilnahmen. In jedem Bezirk wurde eine Auswahl getroffen, deren | |
| Kriterien mir fremd sind. So entstand die Gästeliste für das | |
| Abgeordnetenhaus und das offizielle Neudeutschen-Gruppenbild. 2012 wurde | |
| dieser Brauch in Berlin eingeführt, um „ein Zeichen für Zugehörigkeit und | |
| Teilhabe zu setzen“. Mit nicht einmal hundert anderen posierte ich auf der | |
| edlen Haupttreppe. Deutschlandweit gab es 2019 128.900 Einbürgerungen. | |
| Ich lebe seit fast 20 Jahren in Berlin, die Hälfte meines Lebens – die | |
| andere Hälfte, in der Nähe von Bergen und Meer, im Nordosten Spaniens, in | |
| Katalonien. Mein Alltag ist durch Freunde, Arbeit und Familie mehrsprachig. | |
| Wohl fühle ich mich mit meinen Menschen und Verbündeten. Auch wenn ich | |
| verreise. Da hilft es sehr, wenn man mehrere Optionen in der Tasche hat. | |
| 15 Jahre vergingen, bis ich Deutsche wurde. Warum? Weil es einem nicht | |
| leicht gemacht wird, selbst als EU-Bürgerin. [1][Nun will die | |
| Ampelkoalition die Einbürgerung erleichtern.] Wenn ich an meine Freundinnen | |
| denke, freut mich das. Und ich frage mich, ob manche CDU-Politiker mal mit | |
| Menschen gesprochen haben, die diesen Weg hinter sich haben, wenn sie | |
| warnen, man dürfe „die deutsche Staatsbürgerschaft nicht verramschen“. | |
| Manche meiner Freundinnen wollen keine Deutsche werden, obwohl Deutschland | |
| sie gut gebrauchen könnte. | |
| Billig war das nicht | |
| Zwei Jahre hat es bei mir gedauert, von der Entscheidung bis zum Pass. Und | |
| das ist gar nicht lange, wenn ich mir die Geschichten meiner | |
| noch-nicht-deutschen Freund*innen anhöre. Zum Beispiel Rebeca Rodríguez | |
| aus Madrid, erfolgreiche Architektin, verheiratet mit einem Deutschen, | |
| Wohnungseigentümerin, Mutter zweier deutscher Kinder: Sie wartet seit sechs | |
| Jahren. Den obligatorischen ersten persönlichen Beratungstermin konnte sie | |
| jahrelang nie online vereinbaren, durfte ihn allerdings aufgrund der | |
| Coronamaßnahmen überspringen. Anstatt dessen wurde ihr per Post die | |
| unendliche Liste von nötigen Unterlagen mitgeteilt. Sie sammelte und | |
| reichte sie zügig ein, und wartete weiter. Neulich bekam Rebeca Post vom | |
| Bezirksamt: Voraussichtlich im Frühjahr 2024 wird sie die | |
| Einbürgerungsurkunde erhalten. „Ich weiß nicht, ob ich bis dahin noch in | |
| Deutschland wohne“, meint sie scherzhaft zu mir. | |
| Bis ich zum Fest im Berliner Parlament eingeladen wurde, musste auch ich | |
| einige Hindernisse überwinden. Zunächst brauchte ich einen Beratungstermin | |
| im Bezirksamt Berlin-Mitte. Die werden online vergeben, theoretisch, denn | |
| es gibt keine Termine. Über Umwege erhielt ich doch einen Termin – in elf | |
| Monaten. | |
| Erfreulich war der lange bürokratische Weg nicht und billig auch nicht: 255 | |
| Euro hat die Einbürgerung an Gebühren gekostet, plus Einbürgerungstest und | |
| Sprachzertifikat (nochmal 319 Euro). Ich musste mich in Deutschlands | |
| Geografie, Geschichte und Gesetzen beweisen, trotz meiner Berufserfahrung | |
| und meines Masters an der Freien Universität, denn der war auf Englisch. | |
| Das Gleiche galt für meine Sprachkenntnisse, deren Beglaubigung mich vorher | |
| nie beschäftigt hatte. Gemeckert haben die Sachbearbeiter*innen wegen | |
| der Monate, die ich mit meinen Kindern in Elternzeit, aber ohne Bezug von | |
| Elterngeld verbracht hatte. Und ich musste einen handschriftlichen (!) | |
| Lebenslauf und Kontoauszüge einreichen. | |
| Als ich meinen deutschen Pass und mein Sprachzertifikat endlich in der | |
| Tasche hatte und in Bewerbungen angeben konnte, bekam ich deutlich mehr | |
| Rückmeldungen von potenziellen Arbeitgeber*innen. Aber auch der Aufstieg | |
| der AfD und des Rechtsextremismus hat in meinem Freundeskreis dazu geführt, | |
| dass viele Deutsche werden wollten. | |
| Reiche first. | |
| Seit ich den Pass habe, wuchs der Wunsch, mich politisch stärker zu | |
| engagieren. Nun, da ich auch bei der Bundestagswahl wählen durfte, was mir | |
| sehr wichtig ist. Einmal betreute ich ein Team von Spanisch sprechenden | |
| Erzieher*innen und Lehrer*innen – viele aus Amerika. Die meisten | |
| hatten einen EU-Pass und konnten problemlos über einen privaten Verein an | |
| einer zweisprachigen Berliner Schule arbeiten. Manche durften allerdings | |
| nur eine begrenzte Anzahl von Stunden, um ihr Studentenvisum nicht zu | |
| verlieren. Sie waren regelmäßig auf offizielle Schreiben von mir | |
| angewiesen, um ihre Termine bei der Ausländerbehörde bestehen zu können. | |
| Dabei fehlen an allen Berliner Schulen Lehrerinnen und Erzieher! | |
| Frustrierend ist für viele gar nicht mal der fehlende Pass, sondern dass | |
| ihre Zertifikate nicht anerkannt werden. Andere bewerben sich für die | |
| Staatsangehörigkeit, um an einer Universität zugelassen zu werden, weil die | |
| Quote für Ausländer oft niedrig ist. | |
| Am Dienstag traf ich mich zum Abendessen mit zwei guten Freundinnen. María | |
| Piquer-Rodríguez kommt aus Andalusien und ist Juniorprofessorin an der | |
| Freien Universität. Sie ist seit zehn Jahren in Berlin und würde gerne | |
| deutsch werden, hat zwei Töchter und einen deutschen Ehemann. „Ich würde | |
| gerne wählen gehen, aber alles, was ich höre, sind bürokratische | |
| Albträume“. Sie koordiniert PhD- und Master-Student*innen, zum großen Teil | |
| nicht aus der EU, für die aufgrund ihres kurzen Aufenthaltes die | |
| Einbürgerung nicht in Frage kommt. | |
| Aktuell müssen acht Jahre vergehen, um diese Option zu haben. Vielleicht | |
| wären die von Innenministerin Nancy Faeser vorgeschlagenen fünf Jahre ein | |
| Anreiz, in Deutschland und nicht in den USA oder Kanada zu forschen. Die | |
| Ausländerbehörden machen es Wissenschaftler*innen nicht leicht, zu | |
| bleiben: Visum ja, gerne, aber erst mit Arbeitsvertrag, Arbeitsvertrag ja, | |
| gerne, aber erst mit Visum. Corona stoppte viele Forschungsprojekte, | |
| dadurch wurde es für viele Nicht-EU-Bürger*innen zum Drama, ihren | |
| Lebensunterhalt nachweisen zu können – nachweisen muss man oft, über genug | |
| Geld für 6 Monate in Deutschland zu verfügen. Die Reichen first. No news. | |
| Meine Freundin Sindy Guevara kommt aus Ecuador. Auch Sindy wurde aus | |
| praktischen Gründen Deutsche: Mit dem ecuadorianischen Pass musste sie zum | |
| Beispiel 200 Euro für ein Visum nach Großbritannien zahlen. Seitdem sie | |
| deutsch ist, hat sie außerdem einen leichteren Zugang zu Programmen für | |
| Gründer*innen in Berlin. Beruflich hat sie sich neu orientiert: Sie ist | |
| Coach und berät Migrant*innen bei ihrer Integration in den Arbeitsmarkt. | |
| Studiert hat sie Erziehungswissenschaft in Ecuador, aber ihr Abschluss wird | |
| nicht anerkannt. „Es gibt Fachkräftemangel, aber Deutschland passt sein | |
| Einwanderungsgesetz nicht an die Lebensläufe von Ausländer*innen an“, | |
| sagt sie. Sindy hat sich für die Einbürgerung entschieden, weil sie sich | |
| „im Recht“ gefühlt hat. Wichtig war, dass sie den anderen Pass behalten | |
| durfte. „Nur wenn ich in Ecuador bin, fühle ich mich zu Hause“, sagt sie. | |
| Deutsche? Spanier? Berliner. | |
| Dass ich den spanischen Pass behalten darf, war mir auch wichtig. Den zu | |
| behalten war ebenfalls mit einem kleinen und nicht ganz billigen | |
| bürokratischen Aufwand verbunden. Es hatte nicht mit Identität zu tun, | |
| sondern mit pragmatischen Aspekten: Ich liebe es zu verreisen, besonders in | |
| Osteuropa, und dort wird man anders empfangen, wenn man als Spanierin oder | |
| als Deutsche vorgestellt wird. Basketball, FC Barcelona oder die Frage der | |
| Unabhängigkeit Kataloniens sind gute Themen, um Unannehmlichkeiten mit | |
| Grenzbehörden zu überstehen. Als Deutsche aber brauche ich nun seltener ein | |
| Visum. | |
| Vor Kurzem habe ich in Deutschland geheiratet. Jetzt habe ich das volle | |
| Programm: deutsche Kinder, deutscher Pass, deutscher Arbeitgeber, deutscher | |
| Mann. Hätte ich als Spanierin heiraten wollen, hätten wir möglicherweise | |
| nach Dänemark gehen müssen. Meine beiden Söhne haben drei Pässe. Seit 2000 | |
| gelten in Deutschland geborene Kinder als deutsch, solange eines der | |
| Elternteile seit acht Jahren rechtmäßig im Land lebt. Noch keine acht Jahre | |
| war ich in Berlin, als erst Pàvel (2009) und dann Fiódor (2011) zur Welt | |
| gekommen sind, aber ihr Vater wohl. Trotzdem haben sie erst im Jahr 2022 | |
| ihren deutschen Pass bekommen, als wir verstanden haben, dass es für | |
| spanische Grenzpolizisten einfacher ist, mit alleinreisenden deutschen | |
| Kindern und nicht mit alleinreisenden spanischen Kindern mit deutscher | |
| Meldebescheinigung umzugehen. Den dritten Pass brauchen sie, um spontan und | |
| visafrei ihre Oma in Russland besuchen zu dürfen – auch in der Coronazeit | |
| und trotz des Krieges. Wenn man sie nach ihrer Identität fragt, antworten | |
| sie: Berliner. | |
| 4 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gemma Teres Arilla | |
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