# taz.de -- Schluss mit der ironischen Distanz: Endlich bessere Fehler machen | |
> Dem Patriarchat müssen jetzt andere die Leviten lesen: Ich bin oft genug | |
> über die Schmerzgrenze gegangen und will nicht mehr. | |
Bild: Kolumnen sollten wie Frühlingsboten sein | |
Als [1][ich diese Kolumne vor einem Jahr] begonnen habe, hatte ich nur eine | |
vage Idee, worum es darin gehen würde – außer um mich, denn alle Kolumnen | |
kreisen um die Person des Autors (seltener der Autorin), der sich selbst so | |
wichtig nimmt, dass er anderen seine Gedanken zumutet. | |
Ich unterstelle mir ein zusätzliches altruistisches Moment. „Du bist nicht | |
allein“, wollte ich allen sagen, die wie ich mit diesem weiblich gelesenen | |
Körper gesegnet sind und sich manchmal darüber wundern, welche Erfahrungen | |
sie mit diesem machen. Dabei bin ich an meine Schmerzgrenze gegangen oder | |
ein kleines Stück darüber, habe häufig etwas mehr von mir preisgegeben, als | |
mir lieb ist. | |
Das hatte ich in den ersten 20 Jahren meines Berufs tunlichst vermieden. So | |
wie die meisten deutschen Journalist:innen fürchtete ich das „Ich“ in | |
meinen Texten wie die FDP die Frauenquote. Nur nicht verraten, dass es | |
einen Menschen hinter diesen Artikeln gibt! Mit Gefühlen, Sehnsüchten und | |
einer Biografie sowie mit gelegentlichen Zweifeln daran, wirklich so gut | |
Bescheid zu wissen, wie es den Anschein erweckt, wenn man die Zeitung mit | |
seinen Sätzen vollschreibt – und in meinem Fall mit einer spät | |
eingestandenen [2][Leidenschaft für die norwegische Popband A-ha.] | |
Vielleicht sind Kolumnen für Journalist:innen ein Ventil, all das | |
aufgestaute „Ich“ los zu werden, endlich auch mal über sich zu sprechen, | |
während unser Beruf zu großen Teilen darin besteht, anderen zuzuhören. Auch | |
dann noch, wenn sie groben Unfug von sich geben oder Belangloses, wobei | |
belangloser Unfug ganz unterhaltsam sein kann, wie zumindest früher | |
Interviews mit Fußballern bewiesen haben, als diese noch ohne | |
Kommunikationscoach vor’s Mikro durften. | |
Das Allerschönste am Kolumnenschreiben ist aber, dass Ironie nicht verboten | |
ist – wie in allen anderen journalistischen Textformen –, sondern | |
erwünscht. Welch geniale Möglichkeit, sich vom Gesagten gleich wieder zu | |
distanzieren! Nichts schließt eine offene Flanke so gut wie ein humoreskes | |
„als ob (ich das hier ernst meine)“. | |
## Ich mag nicht mehr scharfzüngig sein | |
Und mal ganz ehrlich: Auch mit meiner Friseurin spreche ich wie mit so | |
vielen Menschen oft in einem „als ob“-Tonfall, deshalb lag es auch nahe, | |
diese Kolumne an meine Friseurbesuche anzulehnen. Damit ist jetzt Schluss. | |
Ich mag nicht mehr scharfzüngig sein, mich wie Waldorf und Stadler aus | |
ihrer Loge in der Muppet Show lehnen und über mich und andere lustig | |
machen. Das ist eine gute Nachricht für das Patriarchat und seine Jünger, | |
denen jetzt andere die Leviten lesen müssen. Bei der Gelegenheit: | |
Dringender Appell an Margarete Stokowskis Immunsystem, es möge sich endlich | |
mal wieder einkriegen und sie von Post-Covid genesen lassen, [3][ihre | |
Kolumne fehlt der Welt nun wirklich]. | |
Natürlich ginge es auch anders, ohne Ironie, so ganz wahrhaftig, aber | |
Medien scheinen mir nicht der richtige Ort dafür. Ich bin mir dieser Tage | |
nicht sicher, ob es überhaupt einen Ort dafür gibt, ob nicht unsere Panzer | |
und Rüstungen das letzte sind, was uns zusammenhält; in unserem Inneren | |
aber auch als Gesellschaft. Würden wir überhaupt noch weitermachen können, | |
wenn wir zugeben, dass vieles einfach nicht gut ist, es noch nie war? | |
Aber weil der Frühling doch immer schneller kommt, als ich mir im Dezember | |
vorstellen kann und dermaßen trübsinnig keine Kolumne enden darf, zitiere | |
ich nicht wie geplant aus dem feministischen utopisch/dystopischen Roman | |
„Woman at the Edge of Time“ von Marge Piercy aus dem Jahr 1976. (Der mich | |
mit Mitte 20 verstörte, weil er als Lösung des Patriarchat-Problems | |
vorschlug, Föten in Behältern statt Gebärmüttern zu züchten.) Sondern: Aus | |
[4][einem neuen A-ha Song], der sich angreifbar macht, weil er ganz | |
ernsthaft Hoffnung verbreiten will. „Don’t be afraid to fall or fail, | |
[5][learn to make better mistakes].“ Ich werde bessere Fehler machen. Und | |
wie. | |
8 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Leben-als-weiblich-gelesene-Person/!5809086 | |
[2] /A-ha-auf-Tour-in-Deutschland/!5639804 | |
[3] https://www.spiegel.de/impressum/autor-4822ad43-0001-0003-0000-000000021963 | |
[4] /A-ha-Musiker-ueber-Klimaschutz/!5854025 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=SeSdvmvRGs8 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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