# taz.de -- René Pollesch an der Berliner Volksbühne: Abgesoffen in Zukunftsl… | |
> In der Volksbühne donnert und blitzt es ziemlich viel in René Polleschs | |
> neuem Stück „Und jetzt?“. Es geht so um dies und um das. | |
Bild: Warum haben sie immer einen Baseballschläger dabei? Martin Wuttke, Franz… | |
Agitprop-Fantasien: Statt sich an Straßenkreuzungen oder auf Landebahnen | |
festzukleben, hat Milan Peschel eine andere Idee: Straßen sperren, um | |
Brechts „Die Mutter“ aufzuführen. Das nervt auch. Als Protest wogegen? | |
Einen Inlineskater-Marathon führt er an, aber das ist nur ein Beispiel aus | |
der Gegenwart. Denn eigentlich erzählt er gerade von einer Jugend, in der | |
mit Brechts „Mutter“ gegen bürgerliche Unterhaltung protestiert wurde. Und | |
er regt sich auf über die eigene frühere Arroganz. | |
Aha. Wo befinden wir uns? Das ist nicht so einfach zu beantworten. Also | |
zunächst auf der Bühne der Volksbühne beziehungsweise im Orchestergraben | |
davor, wo für René Polleschs neues Stück „Und jetzt?“ einige Tische und | |
Stühle mit Kantinencharme aufgestellt sind. Aber was ist der fiktionale | |
Rahmen? Das Arbeitertheater des PCK Schwedt (Petrolchemisches Kombinat | |
Schwedt), in dem 1968 Benno Besson ein Stück inszenierte, das Probleme | |
zwischen Arbeiterschaft und Leitung verhandelte und dabei vom neuesten | |
heißen Scheiß der Wissenschaft, der Kybernetik, erzählte? | |
Oder der ein Jahr später folgende Versuch von Heiner Müller und Besson, die | |
Inszenierung der Arbeiter in der Volksbühne in Berlin von Schauspielern in | |
einer Art Reenactment zu geben und mit Shakespeares Sommernachtstraum zu | |
verbinden? | |
Diesen scheiternden Versuch, Volk und Theater zusammenzubringen, hat es | |
tatsächlich gegeben, und das war, wie Martin Wuttke und René Pollesch bei | |
einem Pressefrühstück vor Wochen erzählten, auch der Ausgangspunkt von „Und | |
jetzt?“. Sodass man einen interessanten Blick in die Anfangsjahre von Benno | |
Bessons Volksbühnenleitung erwarten konnte. Aber wie es dann so geht im | |
Probieren und Spielen, ist davon nicht viel übrig geblieben. | |
## Sachbearbeiter, die Arbeiter spielen | |
Milan Peschel, Martin Wuttke und Franz Beil spielen also mal Arbeiter, | |
nein, Sachbearbeiter, die Arbeiter spielen, die Theater spielen. Oder mal | |
Schauspieler, die Sachbearbeiter spielen, die Arbeiter spielen. Was so | |
hübsche Sätze hervorbringt, wie: „Ich bin Sachbearbeiter, ich muss nicht | |
überraschend sein.“ Mal dreht sich die Sache um die alte Geschichte in | |
Schwedt, dann um die Situationisten, daraus wird eine Situation mit | |
Blitzschlag. Es donnert und blitzt ziemlich viel, Wuttke erzittert dabei | |
wie vom Blitz getroffen, später auch jedes Mal, wenn das Wort „Macbeth“ | |
fällt. | |
Schade ist, dass der Text die Geschichte, wie sich das Theater der DDR um | |
Volksnähe mühte, nur für ein paar Stichworte benutzt, um sich in | |
selbstreferentiellen Spiralen über Sein und Schein zu verlieren. Schade, | |
dass der „Wumms“, den sie in der Erkenntnis suchen, zwar jedes Mal einige | |
Lacher bringt, aber immer irgendwo verloren geht in den Abzweigungen der | |
Assoziationen. Lustig und listig, wie Martin Wuttke der Souffleuse über die | |
Schulter schaut und amüsiert im Textbuch mitliest, was jetzt kommt. | |
Lustig ist auch ein Zwischenspiel mit den sehr lauten Geräuschen einer | |
elektrischen Säge: Einer läuft mit einem kleinen Baumstamm hinter einen | |
Vorhang, es sägt laut und Sägemehl spritzt, dann kommt er mit einem | |
Baseballschläger auf der anderen Seite raus. Oder mit einem | |
Weihnachtslichterbogen, zuletzt mit einem Zahnstocher. | |
Wie die Künstler das Theater verließen, um das Leben zu suchen, ist die | |
eine Legende hinter dem Stück. Aber weil bei René Pollesch das Leben selbst | |
immer schon von einer Nachahmung der Kunst infiziert ist und so was wie | |
Authentizität die größte Fiktion von allen ist, können sie eben auch gleich | |
drinnen bleiben und über die Regeln ihres Spiels reflektieren. Zum Beispiel | |
über die Bedeutung der Pause. [1][Das können sie gut und witzig bei | |
Pollesch,] aber das brauchte er eigentlich nicht noch mal unter Beweis zu | |
stellen. | |
## Zukunft im Modus ihres Vergangenseins | |
Das Draußen, es ist in Stichworten da, aber immer nur angekratzt. Der | |
„Wumms“, da könnte man an die Rhetorik von Olaf Scholz denken. An der PCK | |
Schwedt, noch immer eine der wichtigsten Raffinerien Deutschlands, werden | |
aktuell die Fragen, was nach dem russischen Öl kommt, verhandelt. Doch all | |
das lässt das Stück links liegen. | |
Das Bühnenbild von Anna Viebrock gleicht einer Resterampe aus den letzten | |
beiden Inszenierungen am Haus, von Florentina Holzinger und [2][„Hyäne | |
Fischer“.] Wieder sind zwei Wasserbecken in den Bühnenboden eingelassen, | |
aber diesmal leer und verwittert. Möglicherweise gehören sie zum | |
Freizeitzentrum „Zukunftslust“ aus der Vergangenheit des Schwedter | |
Kombinats. Zukunft, die kennt dieses Stück jedenfalls auch nur im Modus | |
ihres Vergangenseins. | |
5 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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