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# taz.de -- Wagner in der Komischen Oper: Optisch alles klar
> Die Wagner’sche Musik kennt keinen Spaß. Regisseur Herbert Fritsch
> versucht es trotzdem an der Komischen Oper. Die Maske hat alle Hände voll
> zu tun.
Bild: Ordentlich maritime Szene aus dem „Fliegenden Holländer“ an der Komi…
Natürlich sind Wagner-Opern in erster Linie für Leute da, die Wagner mögen.
Ändert sich das, wenn [1][Herbert Fritsch] inszeniert? Funktioniert dessen
dem Dadaistischen zuneigender Humor auch bei einer Partitur, die sich
selbst unheimlich ernst nimmt? Einen Versuch ist es allemal wert.
An der Komischen Oper hatte am Sonntag „Der fliegende Holländer“ Premiere.
Inszenierung und Bühnenbild: Herbert Fritsch. Fast ebenso Gesamtkunstwerk
also aufseiten der Produktion wie aufseiten des Tonsetzers, der als
Erfinder des „Gesamtkunstwerks“ gilt. Der Begriff ist im Kontext Wagner
wörtlich zu verstehen, denn der Komponist fungierte in der Regel als sein
eigener Librettist. Auch das „Holländer“-Libretto hatte er – sich bedien…
bei einer Erzählung Heinrich Heines, der darin eine alte Seemanslegende
verarbeitet – selbst verfasst und auch schon anderweitig verkauft, bevor er
es selbst vertonte.
Der „Holländer“, der ewig auf den Weltmeeren kreuzen muss und nicht sterben
darf, bis er eine Frau gefunden hat, die ihm Treue bis in den Tod schwört,
ist eine der beiden Hauptfiguren. Die andere ist Senta, eine
Kapitänstochter, die eigentlich schon verlobt ist, aber Sehnsucht nach
Höherem hat und sich bereits in die Legende des Holländers verliebt, bevor
derselbe auch nur (von höheren Mächten nur alle sieben Jahre gestattet)
Land betritt. Da trifft es sich gut, dass Sentas Vater dem Untoten schon
begegnet ist und, geblendet von dessen Reichtümern, die Tochter an ihn
verscherbelt hat.
## Eine Mannschaft aus Zombies
Herbert Fritsch hat ein Schiff auf die Bühne der Komischen Oper gestellt;
mit rotem Segel, wie es sich gehört, doch in der Form wenig
(ehr)furchtgebietend, sondern nur eine kleine Nussschale, deren runder
Rumpf von der Zombiemannschaft, die dem Holländer unterstellt ist, wild
geschaukelt wird.
Die Maskenabteilung muss alle Hände voll zu tun gehabt haben, um Chor und
Statisten herzurichten, denn nicht nur für die Zombies sind viele Schichten
Theaterschminke fällig geworden, sondern ebenso für die Matrosen von Sentas
Kapitänsvater sowie für die Damen des Frauenchors, die als Sentas
Freundinnen in superalberne Kleidchen gesteckt wurden, zu denen sie
superalberne Perücken tragen. Dazu haben alle dasselbe Gesicht
aufgeschminkt bekommen, ebenso wie die identisch aussehenden Matrosen in
ihren Spielzeuguniformen mit ihren roten Bäckchen.
Individuelle Züge tragen allein die Zombies, und mehrere Farben zugleich am
Leib trägt allein der Holländer, der gar nicht aussieht wie ein Seemann,
sondern in einst edlen Klamotten daherkommt wie eine etwas schrillere
Version des Gespensts von Canterville. Das leuchtende Orange seiner Perücke
korrespondiert mit dem Farbton des Kleids von Senta, das mit seinem
Commedia dell’Arte-Touch stilistisch komplett querliegt zu allem anderen.
Optisch ist also alles klar. Und wo es nur geht, lässt der Regisseur Chöre
und Statisten denn auch so übertrieben wie möglich grimassieren,
überagieren und chargieren, um somit zu verdeutlichen, dass wir Heutigen
diese Geschichte natürlich nicht mehr ernst zu nehmen in der Lage sind oder
sein wollen. Das geht bis ins Stimmliche hinein. Wenn alle gemeinsam auf
der Bühne sind, sodass sie fast birst vor Volk, glaubt man auch den Saal
fast bersten zu spüren vor Klang. Hier wird hemmungslos aufgefahren, was
das Zeug hält, der Wagner’schen Überwältigungsästhetik folgend bis zum
Mehr-geht-nun-wirklich-gar-nicht-mehr.
## Bilder frieren ein
Kleines Problem: Das Konzept der schrillen Überzeichnung lässt sich nicht
ohne Weiteres auf die Hauptfiguren übertragen. Die haben ernsthafte Dinge
miteinander zu verhandeln; und dazu fällt auch dem Fritsch nicht viel mehr
ein, als die SängerInnen möglichst weit vorne nebeneinander auf die Bühne
zu stellen, was häufig einen reichlich konzertanten Eindruck macht.
Manchmal zerrt jemand an jemand anderem, und mal kommen Matrosen dazu und
machen die Stehoper zur Drehoper, indem sie das Schiff wild rotieren. Aber
ziemlich oft scheinen die bunten Bilder, die Fritsch einfallen, einfach für
eine Weile einzufrieren.
Gesungen wird natürlich bewundernswert kräftig, insbesondere Daniela Köhler
bewältigt die Schreipartie der Senta mit offenbar stählernen Stimmbändern.
Günter Papendell fügt seinem klangvoll lyrischen Holländer in Pianomomenten
etliche Vierteltöne bei, die, Absicht oder nicht, das Sinistre der Figur
schön verstärken. Das Orchester unter Dirk Kaftan lässt es wogen und
wallen, die Bläser und tiefen Streicher dröhnen, dass der Boden des
Parketts unter dem Publikum bebt. Die Wagner’sche Musik kennt keinen Spaß.
Und wenn man am Morgen danach aufwacht, kann es sein, dass man immer noch
verfolgt wird vom penetranten Quartsprung-Motiv des untoten Seefahrers.
29 Nov 2022
## LINKS
[1] /Auszeichnung-fuer-Herbert-Fritsch/!5404013
## AUTOREN
Katharina Granzin
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