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# taz.de -- Show als Parabel auf den Zeitgeist: Den Horror wegschrubben
> Evy Schubert begegnet im Heimathafen Neukölln Negativschlagzeilen mit
> einer satirischen Wohlfühlshow: „Beauty“ – was für Dada-Fans.
Bild: Haare bügeln hilft in schlechten Zeiten, Tipp aus „Beauty“ von Evy S…
Negative Schlagzeilen werden besonders gut geklickt. Diese Erkenntnis hat
ein Forscherteam ausgerechnet einen Tag nach der Premiere von [1][„Beauty“,
die am 16. März im Heimathafen Neukölln] war, öffentlich gemacht. Das passt
deshalb so perfekt, weil sich Evy Schuberts Theaterstück mit nichts anderem
beschäftigt als mit Headlines, Überschriften, Werbeslogans oder wie die
marktschreierischen Zeilen über Online-Texten, Videos und Reels noch
heißen.
Doch bevor es losgeht, daddeln rund 30 Schülerinnen und Schüler, die auch
zur Premiere gekommen sind, nochmal ausgiebig auf ihren Smartphones herum.
Der Einlass verspätet sich um eine halbe Stunde. Ob es wohl technische
Probleme gibt? Das wäre insofern nicht ungewöhnlich, als dass es sich bei
[2][„Beauty“ um ein multimediales Projekt] handelt.
Vorab wurde kräftig Werbung auf dem Instagram-Kanal der Berliner
Spielstätte gemacht. Mit den poppig-schrillen Video-Collagen des
Multimedia-Kollektivs Komposter, in denen sehr blonde Frauen,
Zimmerpflanzen, das Weltall, Tiere und Alltagsgegenstände
durcheinanderwirbeln.
Da gibt es beispielsweise dieses köstliche Video „Paradize Yourself!“, in
dem ein vergoldeter Koikarpfen wie eine Rakete in den Himmel geschossen
wird und später Frauenfüße zu sehen sind, die in Sandalen mit dicken
Borsten unter den Sohlen stecken und über einen Boden schrubben. Dazu
80er-Synthesizer und der Ausruf „Heat The Rich“, der an den
antikapitalistischen Slogan „Eat The Rich“ von Jean-Jacques Rousseau
angelehnt ist.
## Neue Avantgarde behaupten
Doch nicht nur bei Instagram haben sich Evy Schubert und ihre Crew schon
mal vorher ausgetobt. Ebenfalls zum Projekt gehört eine eigene Website
([3][www.justanotherbeautysite.faith]). Die behauptet, die Plattform einer
neuen avantgardistischen Bewegung zu sein. Ja, man wird sogar dazu
aufgerufen, als Influencerin für sie tätig zu werden und sich dafür den
eigens entwickelten Instagram-Gesichtsfilter herunterzuladen.
Videokunst und Websites gehören zum künstlerischen Schaffen von Schubert.
Häufig setzt sie sich gleich auf mehreren Kanälen kritisch mit
Gesellschaftsphänomen auseinander. Mit der zunehmenden Vereinsamung während
der Pandemie etwa oder den möglichen Gefahren, die von dem
rechtskonservativen Akademikerball in Wien ausgehen.
Im Saal des Heimathafens wird eine Weltkugel an die Wand projiziert. In der
Animation weist ein Lippenstift auf Europa. Dann geht es im Sauseflug hinab
bis zur Karl-Marx-Straße 141, wo das Theater beheimatet ist. Die beiden
Schauspielerinnen Margarita Breitkreiz und Sabine Waibel stöckeln in roter
Abendgarderobe auf die Spielfläche und plappern los.
## Text aus Schlagzeilen
Das Besondere dieser Inszenierung ist, dass der gesprochene Text
ausschließlich aus Schlagzeilen besteht, die Schubert in diversen Medien
gesammelt und ins Positive verkehrt hat: „Die Ressourcen sind
unerschöpflich“ – „Wohnen auf wenig Raum funktioniert“ – „Herrliche
Messerattacke“.
Um nur ein paar Beispiele des Abends zu nennen, an dem Breitkreiz und
Waibel eine gute Stunde lang zwar grammatikalisch korrekt, aber völlig
sinnentleert vor sich hinplappern und damit an Live-Coaches bei Social
Media, ja manchmal sogar an ChatGPT-Roboter erinnern. Sie habe der
verführerischen Negativität etwas entgegensetzen wollen, sagt Schubert in
einem Interview. Natürlich nicht, ohne es ironisch zu brechen.
Das Ergebnis ist Dada in seiner schönsten Form. Und so überrascht es auch
nicht groß, als man liest, dass Evy Schubert Dramaturgin bei Dada-King
Herbert Fritsch ist. Ihre Inszenierung ist kurzweilig, witzig und mit der
klaren Haltung, nicht einverstanden zu sein mit einer Gegenwart, die
zumindest in der virtuellen Welt oft eine zusammenhanglose
Aneinanderreihung von feministischen Parolen, Kochrezepten und
Achtsamkeitstipps ist.
## Selbstbezogene Instagramer
Kurz: Je schlimmer die Weltlage, desto lebensbejahender, aber auch
selbstbezogener werden die digitalen Botschaften vieler Instagramer- und
TikToker:innen. Und die werden an diesem Abend von Breitkreiz und Waibel
ordentlich veralbert. Etwa wenn die eine der anderen die Perücke bügelt
oder wenn die beiden das umgedrehte Bügeleisen als kleines Boot benutzen,
mit dem sie durch eine überflutete Landschaft schippern.
Doch egal wie mies die Lage auch ist, die Zwei lächeln tapfer weiter und
geben hyperoptimistische Appelle von sich, auch wenn sie sich ihren leeren
Blicken zufolge gar nicht richtig zuhören.
Sie wollen Eva und Eva im Paradies sein. Ihre Göttin oder auch
Astroexpertin ist Schauspielerin Sachiko Hara, die immer wieder in kleinen
Einspielern eingeblendet wird. Der einzige Mann in dem hygienisch reinen
Umfeld ist Kontrabassist Micha Kaplan, der die hohlen Phrasen mit
treibenden Jazz-Improvisationen unterlegt.
„Ich habe einiges richtig gemacht!“, sagt die eine. „Ich habe alles richt…
gemacht!“, sagt die andere – und das ältere Publikum lacht. Nur die Digital
Natives aus der Schulklasse gucken irritiert. Nach der Vorstellung lobt
eine Schülerin die Performance. Worum es darin ging, sei ihr allerdings
schleierhaft geblieben.
19 Mar 2023
## LINKS
[1] https://heimathafen-neukoelln.de/events/beauty/
[2] http://justanotherbeautysite.faith/
[3] http://www.justanotherbeautysite.faith
## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
Theater
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Gesellschaftskritik
Oper
Kosovo
Theater
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