# taz.de -- Oberbürgermeister-Wahl in Rostock: Der Polizist, der ins Rathaus w… | |
> Stasi, Lichtenhagen und Hansa: Die Biografie Michael Eberts ist eng mit | |
> Rostock verwoben. Jetzt will er Bürgermeister werden. Wer ist der Mann? | |
Bild: Michael Ebert ist Direktor der Landesbereitschaftspolizei – mindestens … | |
ROSTOCK taz | Am Mittwoch vor der Oberbürgermeisterwahl veranstaltet der | |
parteilose Kandidat Michael Ebert einen Infostand in einem Einkaufszentrum | |
im Stadtteil Lütten Klein. Vor einem riesigen Edeka-Supermarkt verteilen | |
seine Unterstützer Flyer. Viele ältere Menschen sind am Vormittag | |
unterwegs. Ebert, der eine weiße Windjacke mit seinem Wahlkampflogo trägt, | |
wird permanent von Passanten angesprochen. „Ich bin nie durchs Leben | |
gegangen, um Oberbürgermeister dieser Stadt zu werden.“ Von Unternehmern | |
sei er im Juli gefragt worden, ob er sich vorstellen könne, sich für das | |
oberste Amt der Hansestadt zu bewerben – mit Unterstützung von CDU, FDP und | |
den unabhängigen Bürgern für Rostock (UFR). Drei Tage habe er nicht | |
schlafen können, bis er seiner Kandidatur zugestimmt habe. Um das Beste für | |
Rostock zu erreichen, wie er sagt. | |
Die Biografie von Michael Ebert ist eng verwoben mit der Geschichte seiner | |
Stadt. Wer das Einkaufszentrum in Lütten Klein verlässt und mit der | |
Straßenbahn ein paar Stationen weiter nach Norden fährt, gelangt an einen | |
Ort, der Ebert geprägt hat. Am Ende der Mecklenburger Allee in Lichtenhagen | |
steht die Plattenbausiedlung mit dem Sonnenblumenhaus. Hier kam es [1][vor | |
dreißig Jahren zu rassistischen Ausschreitungen] gegen geflüchtete Roma und | |
Sinti und ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam. Michael Ebert ist damals | |
21 Jahre alt und als Truppenführer einer Ausbildungseinheit der Polizei im | |
Einsatz, als ein Mob über Tage in Lichtenhagen wütet. | |
## „Nie wieder Ausschreitungen wie in Lichtenhagen“ | |
In einer [2][Dokumentation des NDR] zeigt Ebert ein Foto von sich, das in | |
den Tagen der Pogrome aufgenommen wurde. Darauf zu sehen ist ein junger | |
Mann in Polizeiuniform, der sorglos in die Kamera lächelt. „Vielleicht mag | |
das unbekümmert aussehen für einen 21-Jährigen in der Situation. Von unten | |
auf das Geschehen blickend, ist das ganz schwer, all die Dinge, die einen | |
da bewegen, einzuordnen.“ Ebert sagt, die Polizei sei damals “vollkommen | |
überfordert“ gewesen. | |
Auch heute macht Ebert das Ereignis noch betroffen. „Im Rahmen der | |
Flüchtlingssituation von 2015 war mir nichts wichtiger, als dass | |
Ausschreitungen wie in Lichtenhagen nie wieder passieren.“ Das sei ihm als | |
Polizeichef – zusammen mit der Zivilgesellschaft – gelungen. | |
Eberts Biografie ist mit einem weiteren Kapitel der Wendezeit verbunden. | |
Wer auf den Oberbürgermeister-Wahlkampf in Rostock schaut, kann viel über | |
die Befindlichkeit der Hansestadt lernen. Vielleicht auch über | |
Ostdeutschland. Da ist die Geschichte eines Dänen, der das Rathaus verließ, | |
um Landespolitik in Schleswig-Holstein zu machen. Die eines bürgerlichen | |
Kandidaten, den seine Stasivergangenheit nicht loslässt. Und die Geschichte | |
einer Linken, die trotz der Krise ihrer Partei gute Chancen hat, die | |
nächste Bürgermeisterin von Rostock zu werden. | |
Als Claus Ruhe Madsen 2019 als erster Ausländer Bürgermeister einer | |
deutschen Großstadt wurde, war die Begeisterung groß. Der Unternehmer, | |
geboren in Kopenhagen, hatte Strahlkraft. Durch seine Person bekam die | |
Stadt deutschlandweit mediale Aufmerksamkeit. Die Rostocker nannten den | |
Dänen ihren „Außenminister“. Doch kurz nach Madsens Amtsantritt beginnt d… | |
Pandemie. Die Stadt kommt mit sehr niedrigen Fallzahlen durch die ersten | |
Coronawellen. Madsen wird [3][in Talkshows eingeladen], verkündet 2020, | |
seine Stadt sei coronafrei. Der damalige Kanzlerkandidat der Union, Armin | |
Laschet, erwägt Madsen in sein Expertenteam aufzunehmen. | |
Als Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther Madsen im Frühjahr | |
dieses Jahres anbietet, Wirtschaftsminister in seinem Kabinett zu werden, | |
verlässt er das Rathaus. Und Rostock? Steht ohne Oberbürgermeister da. An | |
dieser Stelle beginnt die politische Karriere von Michael Ebert. Der Mann, | |
den die lokale Presse den „härtesten Polizisten des Landes“ nennt, tritt am | |
Sonntag in der Stichwahl gegen Eva-Maria Kröger von der Linkspartei um das | |
Amt des Oberbürgermeisters an. | |
## Eine Entscheidung, mit der er immer wieder konfrontiert wird | |
Auf den ersten Blick könnte man Ebert für den perfekten bürgerlichen | |
Kandidaten halten: parteilos, Polizist, und zumindest öffentlich | |
selbstkritisch im Umgang mit der Vergangenheit – auch mit der seiner Stadt. | |
Ebert wird 1970 in Anklam in Vorpommern geboren. „Sandmeer, Waldmeer, gar | |
nichts mehr“, habe man die Gegend damals genannt, so Ebert. Seine Mutter | |
ist Konstrukteurin, sein Stiefvater Lehrer. Ein linkes Elternhaus. Was mit | |
seinem „Erzeuger“ passiert ist, weiß Ebert damals nicht. Als Jugendlicher | |
identifiziert er sich mit der DDR, glaubt an das System – und trifft eine | |
Entscheidung, mit der er immer wieder im Wahlkampf konfrontiert wird. | |
Am Dienstagabend, fünf Tage vor der Stichwahl, veranstaltet die | |
[4][Ostsee-Zeitung ein Diskussionsforum] mit Ebert und Kröger. Als die | |
Zuschauer Fragen stellen dürfen, steht ein Mann auf und richtet sich an | |
Ebert. „Was haben Sie am 4. Oktober 1989 in Dresden gemacht? Haben Sie dort | |
studiert oder waren Sie beteiligt am Einsatz gegen die Flüchtlinge, die von | |
Prag über Dresden in den Westen gekommen sind?“ Die Frage bezieht sich auf | |
Eberts Vergangenheit bei der Staatssicherheit der DDR. | |
Nach dem Abitur, mit 18, geht Ebert an die Stasi-Offiziersschule „Artur | |
Becker“ in Dresden, um eine Karriere im berüchtigten Wachregiment „Feliks | |
Dzierzynki“ anzustreben. [5][Im Oktober 1989 versuchen DDR-Bürger in | |
Dresden auf die Züge aufzuspringen, die Prager Botschaftsflüchtlinge in den | |
Westen bringen sollen. Volkspolizei und Stasi versuchen, das mit Gewalt zu | |
unterbinden.] | |
Es ist das erste Mal an diesem Abend, dass Ebert emotional angegriffen | |
wirkt. Trotzdem bleibt seine Stimme ruhig, er bedankt sich für die Frage. | |
Er wolle seine Antwort ein Stück weiter fassen. „Ich bin ein Kind meiner | |
Zeit“, sagt Ebert. Dann erzählt er die Geschichte seines Vaters: „Was ich | |
in frühen Jahren noch nicht wusste, ist, dass mein leiblicher Vater, | |
zweifach inhaftiert, in die BRD abgeschoben wurde, für 30.000 D-Mark | |
verkauft.“ Er sei als junger Mann instrumentalisiert worden. Bereits mit 15 | |
habe die Stasi ihn selbst dann als Offiziersschüler angeworben. Und ja, er | |
sei im Oktober '89 in Dresden auf der Straße im Einsatz gewesen. „Ich | |
schäme mich dafür, dass ich damals auf der falschen Seite gestanden habe.“ | |
Seine Geschichte habe ihn zu dem gemacht, was er heute sei: „ein | |
felsenfester Demokrat.“ Applaus ertönt im Saal. | |
„Er war dabei“, ruft der Fragensteller. Ein älterer Herr, der vor ihm | |
sitzt, sagt erbost: „Was soll diese dämliche Frage!“ Während Ebert auf die | |
Frage antwortet, schaut Eva-Maria Kröger nachdenklich. Auch sie wird an | |
diesem Abend mit der SED-Vergangenheit ihrer Partei konfrontiert. | |
## „Ja, ich habe Druck auf den Verein ausgeübt'‘ | |
Knapp eine Stunde vor der Forumsdebatte der Ostsee-Zeitung sitzt Kröger in | |
ihrer Küche und zündet sich eine Zigarette an. Statt dem taubenblauen | |
Blazer, den sie später für die Veranstaltung anziehen wird, trägt sie einen | |
gemütlichen Pulli mit Zugbändern, die an Seemannstaue erinnern. | |
Kröger, zwölf Jahre jünger als Ebert, 1982 in Rostock geboren, gilt als | |
Kandidatin der Plattenbauten. Ebert findet mehr Unterstützer in | |
Einfamilienhaussiedlungen. Die Politikwissenschaftlerin sitzt nicht nur im | |
Landtag als Abgeordnete, sondern auch in der Rostocker Bürgerschaft. Den | |
ersten Wahlgang gewann Kröger mit 25 Prozent knapp vor Ebert – obwohl ihre | |
Partei auf Bundesebene gerade vor der Spaltung steht. | |
Kröger und Ebert kennen sich seit rund zwanzig Jahren. Sie ist als | |
Teilnehmerin auf Demos gegen Nazis, Ebert organisiert als Polizeichef die | |
Sicherheit. Es ist ein respektvoller Umgang, den die beiden miteinander | |
pflegen. | |
Abseits der Bühnen geht es rauer zu. Eberts Plakate werden beschmiert und | |
angezündet. Zunächst hatte sein Team noch nachplakatiert. Irgendwann wurde | |
das zu teuer. Also klebte man Sticker auf die beschädigten Plakate: | |
„Sicherheit statt Vandalismus.“ Es ist kein Geheimnis, wer hinter den | |
Angriffen auf Eberts Plakate steckt. Neben der linken Szene sind es die | |
Anhänger von Hansa Rostock, die nicht gut auf den ehemaligen Polizeichef zu | |
sprechen sind. | |
Der Zweitligaverein ist ein Herzstück der Rostocker Stadtgesellschaft, | |
etwas, mit dem man sich identifizieren kann. „Mit Zerstörung von | |
Wahlplakaten kann ich nichts anfangen“, sagt Kröger. Bei ihren Hausbesuchen | |
habe sie aber auch „normale“ Hansa-Anhänger kennengelernt, für die Ebert | |
nicht wählbar sei. Das liegt nicht nur an Eberts harter Linie gegen aktive | |
Hansa-Ultras und gewaltbereite Fans. In seiner langjährigen Position als | |
Rostocker Polizeichef habe Ebert mit der Verweigerung seiner Unterschrift | |
unter der Spiellizenz gedroht, falls sein Sicherheitskonzept nicht | |
durchgesetzt werde, heißt es aus der Fanszene. | |
„Ja, ich habe Druck auf den Verein ausgeübt'', rechtfertigt sich Ebert am | |
Infostand im Einkaufszentrum. „Wenn Pyrotechnik und hasserfüllte Banner ins | |
Stadion verbracht werden, dann sind die Sicherheitsstrukturen nicht | |
tragfähig.“ Die Banner, von denen Ebert spricht, richten sich auch gegen | |
ihn. Als „Stasi-Schwein“ wird er von der Südtribune beleidigt. Das mache | |
etwas mit einem, sagt Michael Ebert. Aus dem Umfeld der Rostockanhänger | |
heißt es, man wolle Ebert so persönlich treffen, da er ja sonst immer am | |
längeren Hebel sitze. | |
Für die Stichwahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Ebert will nicht | |
nur auf seine Vergangenheit reduziert werden. Seine Zeit bei der Stasi als | |
junger Mann, seinen Einsatz in Lichtenhagen, sein Image als harter Cop. | |
Falls er ins Rathaus einzieht, könnte er ein neues Kapitel aufschlagen. | |
27 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gedenkdemo-in-Rostock-Lichtenhagen/!5874739 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=VQOHR32nlXk | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=3vyhjo-pdj4 | |
[4] https://www.ostsee-zeitung.de/lokales/rostock/oberbuergermeister-wahl-rosto… | |
[5] https://www.stasi-unterlagen-archiv.de/informationen-zur-stasi/themen/beitr… | |
## AUTOREN | |
Jannis Holl | |
## TAGS | |
FC Hansa Rostock | |
Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
Rostock | |
Polizei Mecklenburg-Vorpommern | |
Stasi | |
GNS | |
Berufspolitiker | |
Die Linke | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
Kolumne Frühsport | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausschreitungen in Grevesmühlen: Angriff auf die Demokratie | |
Die Ausschreitungen in Mecklenburg-Vorpommern lassen düstere Assoziationen | |
aufkommen. Ein „Reichsbürger“ hatte sich zuvor Zugang zur Kreistagssitzung | |
verschafft. | |
Oberbürgermeisterwahl an der Ostsee: Eine Linke für Rostock | |
Eva-Maria Kröger von der Linke hat die Oberbürgermeisterwahl in Rostock | |
gewonnen. Damit ist sie die erste gewählte Frau im Rathaus. | |
30 Jahre Mölln-Anschlag: Das Zündeln der Mitte | |
Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen wieder zu. Gegen die Gewalt | |
braucht es politisches Durchgreifen – nicht nur am rechten Rand. | |
30 Jahre Rostock-Lichtenhagen: Die verschwundenen Roma | |
Der rechtsradikale Hass von Rostock-Lichtenhagen richtete sich zuerst gegen | |
asylsuchende Roma. Wir haben sie 30 Jahre nach dem Pogrom besucht. | |
Rechtsextreme Fans bei Hansa Rostock: Der Verein gibt sich ahnungslos | |
Nach einem Plakat, auf dem „Lichtenhagen“ stand, ermittelt der DFB. Das ist | |
gut, aber die drohende Strafe verhindert Selbstkritik beim Rostocker Klub. |