# taz.de -- Ukrainische Kriegsgefangene: Schreckliche Worte und Stille | |
> Unsere Autorin sammelt beruflich Berichte über Krieg und Gefangenschaft. | |
> Manchmal hört sie so schreckliche Dinge, dass ihr selbst die Worte | |
> fehlen. | |
Bild: Keller in einem befreiten ukrainischen Dorf bei Charkiw, in dem die Russe… | |
Warnung: Dieser Bericht enthält drastische Schilderungen von physischer | |
Gewalt und Folter. | |
Als ich am Telefon mit Roman Tuschewski spreche, ist der ukrainische Soldat | |
nach seiner Verwundung und Gefangenschaft zur Reha in Kiew. Er redet leise, | |
heiser, manchmal macht er nervöse Witze. „Während wir unter Beschuss lagen, | |
wurde ich am Arm verwundet. Dann geriet ich mit einem Kameraden in | |
Gefangenschaft. Man hat uns mit verbundenen Augen von der Front | |
weggebracht. Einige Stunden lang wurden wir abwechselnd befragt und | |
geschlagen. Sie haben versucht, unsere Truppenstärke herauszufinden, | |
unseren genauen Aufenthaltsort und welche Ausrüstung wir hatten. Als ob wir | |
das verraten würden“, kichert er. | |
Bis Kriegsbeginn hatte der 34-Jährige als Lkw-Fahrer gearbeitet, | |
Armeedienst hatte er nie geleistet. Nach dem 24. Februar versuchte er | |
zunächst, der Territorialverteidigung beizutreten. Dort aber waren schon am | |
ersten Tag alle Stellen besetzt. Vorm Krieg hatte sich Roman hobbymäßig mit | |
dem Steuern von Drohnen beschäftigt. Als man beim ukrainischen Militär | |
davon erfuhr, bat man Roman, die Bewegungen der russischen Armee zu | |
verfolgen. Später erhielt er einen befristeten Truppenausweis, im März ging | |
er an die Front. Bei Luhansk wurde seine Kompanie eingekesselt. Einige | |
Soldaten konnten fliehen, einige starben. Die übrigen gerieten in | |
Gefangenschaft. | |
Als wir zehn Minuten gesprochen haben, schweigt Roman, so, als ob er Kräfte | |
sammeln müsse. Roman erinnert sich an seine Gefangenschaft als ein | |
ständiges Umherziehen. Er hatte „Glück“, wegen seiner Verletzung war er | |
mehr im Krankenhaus als in Haft. Die Krankenhäuser befanden sich in den zu | |
dieser Zeit russisch besetzten Gebieten der Ukraine. | |
„Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde ich in die Stadt Svatove | |
gebracht. (Kleinstadt im Osten der Ukraine zwischen Charkiw und Luhansk; | |
Anm. d. Übersetzerin). Dort hatten die Russen [1][eine Polizeiwache zu | |
einem Gefängnis umfunktioniert]. In den Zellen drängten sich auf wenigen | |
Quadratmetern mehr als 20 Menschen, vor allem Zivilisten. Später wurde ich | |
an einen anderen Ort verlegt, aber die Russen sagten lächelnd, dass ich | |
dort nicht einmal den nächsten Tag überleben würde. | |
Kaum, dass wir uns ein bisschen erholt hatten, kamen wir in Isolationshaft | |
nach Kursk, eine russische Stadt 200 Kilometer nördlich von Charkiw. Dort | |
wurden wir alle sofort verprügelt. Dem Soldaten, mit dem ich zusammen im | |
Gefängnis gewesen war, hatten sie eine Platte in den verwundeten Arm | |
eingesetzt. Nach der Heilung kam er in Isolationshaft. Drei Stunden später | |
war er wieder auf der Intensivstation. [2][Sie hatten ihm den anderen Arm | |
gebrochen].“ | |
Während Roman redet, formuliere ich im Kopf tausendmal meine Fragen um, | |
entschuldige mich ständig und zucke bei jedem Atemzug am anderen Ende der | |
Leitung zusammen. „Die Russen sagten uns, dass man uns vergessen habe, | |
[3][dass Russland schon Saporischschja] und Mykolajiw erobert habe (beide | |
bis heute nicht russisch besetzt; Anm. der Übersetzerin). | |
Oft mussten wir die russische Nationalhymne singen. Essen gab es dreimal am | |
Tag, doch wir hatten immer nur wenige Minuten“, erzählt er aufgebracht. Ich | |
versuche, ihn abzulenken. Frage, ob er sich an seine Heimkehr erinnere. | |
„Während der Gefangenschaft konnte ich kaum atmen. Aber als ich | |
ausgetauscht wurde, bin ich fast erstickt“, sagt Roman langsam. Seine | |
Stimme zittert. Jetzt schweigen wir beide. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung.] | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [6][edition.fotoTAPETA] | |
im September herausgebracht. | |
18 Nov 2022 | |
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[5] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248 | |
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Anastasiia Opryshchenko | |
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