| # taz.de -- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Recht auf Infos zu EU-Mission… | |
| > Das Bundesverfassungsgericht gibt der Klage von Grünen und Linken recht. | |
| > Die Regierung muss früh über mögliche EU-Einsätze der Bundeswehr | |
| > informieren. | |
| Bild: Operation Sophia im Mittelmeer: Der Bundestag hätte früher informiert w… | |
| Karlsruhe taz | Die Bundesregierung muss den Bundestag auch über Fragen der | |
| EU-Verteidigungspolitik „umfassend und frühestmöglich“ informieren. Das | |
| entschied an diesem Mittwoch das Bundesverfassungsgericht. Damit hatten | |
| Organklagen der damals oppositionellen Fraktionen von Grünen und Linken | |
| Erfolg. | |
| Anlass des Streits war der Einsatz der Bundeswehr gegen Menschenschmuggler | |
| im Mittelmeer. Ab Juni 2015 beteiligte sich die Bundeswehr an einem | |
| EU-geführten Marineverband, der zunächst den bürokratischen Namen EUNavFor | |
| MED (European Union Naval Forces Mediterranean) trug. Ab Oktober 2015 wurde | |
| er „Operation Sophia“ genannt, nach einem Flüchtlingsbaby, das an Bord | |
| einer deutschen Fregatte geboren wurde. | |
| Der Marineeinsatz sollte zur Festnahme von Schleusern führen, die | |
| Flüchtlinge und Migrant:innen mit kleinen nicht seetauglichen Booten | |
| übers Mittelmeer schickten. Außerdem sollte die libysche Küstenwache | |
| ausgebildet werden. Und schließlich sollten auch schiffbrüchige Flüchtlinge | |
| gerettet werden. | |
| Grüne und Linke kritisierten damals die „Militarisierung der | |
| Flüchtlingspolitik“. Doch am Ende war die Bilanz erfreulich: bis 2019 | |
| konnten durch „Operation Sophia“ rund 45.000 Menschen aus Seenot gerettet | |
| werden, davon allein 22.500 durch die Bundeswehr. Gleichzeitig wurden rund | |
| 150 Schlepper festgenommen. Der Einsatz endete, weil Italien sich unter | |
| Innenminister Salvini weigerte, [1][weiterhin die geretteten Flüchtlinge | |
| aufzunehmen] und [2][sich die EU-Staaten auf keinen Verteilungsschlüssel | |
| einigen konnten]. | |
| ## Rechte des Bundestags verletzt | |
| Am Bundesverfassungsgericht ging es nun nicht um die Zulässigkeit des | |
| Bundeswehreinsatzes, sondern um die Beteiligung des Bundestags an der | |
| Beschlussfassung über die EU-Militäraktion. So erhielt die Bundesregierung | |
| Ende April 2015 ein erstes Konzept über das geplante „Krisenmanagement“. | |
| Als grüne Bundestagsabgeordnete das Konzept sehen wollten, verweigerte die | |
| Bundesregierung die Herausgabe des Papiers. | |
| Erst drei Wochen später – nach dem EU-Beschluss – durften die Abgeordneten | |
| des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungs- und des EU-Ausschusses die | |
| Beschlussvorlage lesen – in der Geheimschutzstelle des Bundestags. Gegen | |
| diese Verweigerungshaltung der Bundesregierung klagten die Fraktionen von | |
| Grünen und Linken. Sie beriefen sich auf Artikel 23 des Grundgesetzes, der | |
| dem Bundestag garantiert, dass er von der Bundesregierung in | |
| EU-Angelegenheiten „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ | |
| informiert wird. | |
| Die Bundesregierung erklärte bei der mündlichen Verhandlung im Juni, dass | |
| sie natürlich Artikel 23 beachte. Allerdings sei die gemeinsame | |
| Militärpolitik der EU-Staaten keine EU-Angelegenheit. Der Bereich sei nicht | |
| „vergemeinschaftet“, hier handele nicht die EU, sondern nur die Summe der | |
| EU-Mitgliedstaaten. | |
| Diese Sichtweise hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nun | |
| eindeutig abgelehnt. Die Operation EUNavFor Med sei von EU-Gremien | |
| vorbereitet und von EU-Staaten durchgeführt worden. Sie sei im Rahmen der | |
| gemeinsamen EU-Außenpolitik erfolgt. Auch wenn die Teilnahme der EU-Staaten | |
| freiwillig war, handele es sich eindeutig um eine EU-Angelegenheit. | |
| Die Bundesregierung hätte die Abgeordneten des Bundestags also informieren | |
| müssen, sobald sie Ende April 2015 den Entwurf des Krisenmanagementkonzepts | |
| erhielt. Dass sie erst nach der Beschlussfassung Abgeordnete informierte, | |
| habe Rechte des Bundestags verletzt, so die Richter:innen. Denn so konnten | |
| die Abgeordneten kaum Einfluss auf die entscheidenden Diskussionen auf | |
| EU-Ebene nehmen. | |
| Es genügte auch nicht, nur die Abgeordneten bestimmter Ausschüsse zu | |
| informieren, so das Urteil. Denn Informationen über EU-Angelegenheiten | |
| müssen für alle Abgeordneten verfügbar sein. Schließlich monierte Karlsruhe | |
| auch, dass die Abgeordneten das EU-Papier nur in der Geheimschutzstelle | |
| einsehen konnten. Die Beteiligung des Parlaments sei kein Selbstzweck, | |
| sondern ziele auch auf die Öffentlichkeit, die in der Lage sein müsse, sich | |
| ein Bild zu machen. | |
| 26 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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