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# taz.de -- Ukrainer lehnen Russisch ab: Zur eigenen Sprache überwechseln
> Der Krieg entfremdet Ukrainer und Russen sehr schnell voneinander. Immer
> mehr russischsprachige Ukrainer wollen jetzt kein Russisch mehr sprechen.
Bild: Odessa, 17. Juni: Konzertbesucher:innen singen die ukrainische Nationalhy…
In Lwiw konnte man immer viel Russisch hören. Viele Touristen aus der
Zentral- und Ostukraine, die nicht zum Ukrainischen übergegangen waren,
verständigten sich auf Russisch mit den Einheimischen. Doch jetzt haben
sich die Dinge geändert. Zehntausende Menschen aus den überwiegend
russischsprachigen Städten Charkiw, Mariupol, Cherson und dem Donbass haben
[1][im ukrainischsprachigen Lwiw Zuflucht gefunden], viele von ihnen gehen
jetzt zum Ukrainischen über und besuchen ukrainische Sprachkurse und
-klubs.
Einer dieser Klubs kommt im Lwiwer Museum für Volksarchitektur zusammen,
einem Freilichtmuseum. Geflüchtete singen hier mit Einheimischen
ukrainische Volkslieder, um ihre Aussprache zu verbessern und ihren
Wortschatz zu erweitern. Wenn man sie singen hört, ist es schwer zu
glauben, dass für einige von ihnen Ukrainisch nur die Zweitsprache ist.
Tatjana, die gleich am ersten Tag des Krieges aus Charkiw gekommen ist und
bis dahin Russisch gesprochen hatte, erzählt mir, dass der Übergang zum
Ukrainischen – die „Rückkehr zur Muttersprache“ – für sie eine Frage …
Prinzips sei. „Ich kann und möchte nichts mehr mit denen gemein haben, die
mein Volk töten.“
Eine andere Tatjana, die bereits nach der Annexion der Krim 2014 von dort
nach Lwiw gekommen war, ist in einer russischsprachigen Familie
ukrainischer Patrioten aufgewachsen. Die Menschen in Lwiw haben am Anfang
noch mit ihr Russisch gesprochen oder sie gebeten, sie selbst solle doch
lieber Russisch sprechen, sobald sie bemerkten, wie schwer sich Tatjana mit
der ukrainischen Sprache tat.
Konnte man früher, selbst nach dem ersten russischen Angriff auf die
Ukraine vor acht Jahren, im Stadtzentrum von Lwiw noch Straßenmusiker auf
Russisch singen hören, ist jetzt alles anders. An den Türen einiger Läden
hängen Zettel mit der Aufschrift: „Wir sprechen nicht in der Sprache der
Besatzer.“ Für Tatjana ist das kein Problem. Außer dem Singkreis im Museum
besucht sie jetzt auch schon ihren zweiten richtigen Ukrainisch-Sprachkurs.
Vor Aufregung wechselt sie ins Russische und erzählt, dass sie sich sehr
wünscht, dass ihre Enkel Ukrainisch sprechen.
Nicht nur in Lwiw ändert sich die Situation. Ein Bekannter von mir aus
Odessa ist zwar in einem ukrainischsprachigen Dorf aufgewachsen, spricht
aber im überwiegend russischsprachigen Odessa selber nur Russisch. Sogar im
Gespräch mit mir ist er früher nicht zum Ukrainischen gewechselt.
Nachdem [2][Ostern in Odessa eine russische Rakete ein Wohnhaus getroffen]
und acht Menschen getötet hatte, schrieb ich ihm, um zu fragen, ob mit ihm
alles in Ordnung sei. Er schrieb mir auf Ukrainisch zurück und unterhält
sich, zumindest mit mir, nur noch in dieser Sprache. [3][Russland
entfremdet jetzt selber die Ukrainer von allem], was sie früher mit ihren
östlichen Nachbarn verband.
Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung].
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der [6][Verlag edition.fotoTAPETA]
im September herausgebracht.
13 Oct 2022
## LINKS
[1] /Die-Ukraine-als-Nation/!5853907
[2] /Raketenangriff-auf-Odessa/!5850178
[3] /Historisches-Erbe-und-Ukraine-Krieg/!5848903
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[5] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Rostyslav Averchuk
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