| # taz.de -- Umgang mit männlichen Küken: Tod im Ei | |
| > Niedersachsens Agrarministerin verkündet eine neue Methode, um männliche | |
| > Küken früher aussortieren zu können. Kritiker:innen überzeugt das | |
| > nicht. | |
| Bild: An der Geschlechtsbestimmung wird schon länger geforscht: Gerät auf ein… | |
| Osnabrück taz | Hühner, die über die Wiese laufen, im Sand scharren? Im | |
| Massentierhaltungsland Niedersachsen ist eine solche Bauernhof-Idylle die | |
| Ausnahme. Agrarindustrielle Tierfabriken prägen das Bild, mit Megaställen | |
| für teils Hunderttausende Tiere. [1][Niedersachsen ist eine der größten | |
| Speisekammern Deutschlands,] die Landwirtschaft ist einer der zentralen | |
| Wirtschaftszweige, und Eier und Geflügelfleisch sind zwei der klassischsten | |
| Produkte. | |
| Viele Millionen Lege- und Masthühner leben und sterben hier, oft unter | |
| wenig artgerechten Bedingungen, damit wir Pudding essen können, Mayonnaise | |
| und Chicken Wings. Besonders prekär ist die Situation der männlichen Küken | |
| der Legehybridlinien, denn in der Geflügelindustrie gelten sie als wertlos: | |
| Sie legen keine Eier, und ihre Mast kostet mehr Zeit und Futter, produziert | |
| weniger Fleisch, das noch dazu schwerer zu vermarkten ist. [2][Viele werden | |
| daher getötet.] | |
| Früher kamen dabei Schredder und Gas zum Einsatz. Heute wird das Geschlecht | |
| des Kükenembryos schon im Ei bestimmt, denn seit Anfang 2022 ist in | |
| Deutschland das Töten geschlüpfter Küken [3][verboten]. Doch die | |
| Bestimmung, das sogenannte Ovo-Sexing, war bisher oft nicht vor dem siebten | |
| Bruttag möglich, der ab 2024 das Fristende für Geschlechtsuntersuchungen | |
| und Tötungen sein wird. | |
| Das soll sich jetzt ändern. Niedersachsens [4][Agrarministerin Barbara | |
| Otte-Kinast] (CDU) verkündet einen „Durchbruch beim Ausstieg aus dem | |
| Kükentöten“. Mit 248.000 Euro Fördergeld lässt ihr Ministerium derzeit ein | |
| Forschungsprojekt der Technischen Universität Dresden und Universität | |
| Leipzig in die Praxis überführen. Erprobt werden soll ein optisches | |
| Verfahren zur frühen spektroskopischen Geschlechtsbestimmung im Ei. Schale | |
| auf, Laser rein, Blutgefäß beleuchten, fertig. Ist es ein weibliches Tier, | |
| wird die Schale wieder verschlossen. Ist es ein männliches, folgt der Tod. | |
| Das Verfahren könne „bereits ab dem dritten Bruttag das Geschlecht im | |
| Hühnerei detektieren“, erklärt das niedersächsische | |
| Landwirtschaftsministerium. Das sei international einzigartig. | |
| Projektpartner dafür ist Agri Advanced Technologies (AAT) aus Visbek, | |
| spezialisiert auf die Entwicklung von Technologien für Geflügelzucht und | |
| -haltung. Schauplatz des Praxistests ist eine Modellanlage in der Brüterei | |
| Dorum im Landkreis Cuxhaven. | |
| Aber dient das Verfahren wirklich dem Tierwohl? Jan Peifer, Vorsitzender | |
| der Tierrechtsorganisation [5][„Deutsches Tierschutzbüro“] in Sankt | |
| Augustin, verneint. „Das ist lediglich ein Versuch, schön Wetter zu | |
| machen!“, sagt er der taz. Er sieht die Ministerin als landwirtschaftsnah: | |
| „Man ruht sich hier wieder mal auf vermeintlichen Erfolgen aus. Aber das | |
| ist reine Symptombehandlung. An die eigentlichen Ursachen des Übels kommt | |
| man so ja nicht heran.“ | |
| Statt die Tötung humaner zu machen, findet Peifer, solle man lieber dafür | |
| sorgen, dass sie gar nicht erst stattfindet. „Was wir brauchen, ist ein | |
| konsequenter Systemumbau hin zu einer deutlichen Reduzierung tierischer | |
| Produkte.“ Zu Ende gedacht: Wer kein Tierleid will, muss aufhören, Tiere zu | |
| essen. | |
| Auch Miriam Staudte, Landwirtschaftssprecherin der niedersächsischen | |
| Grünen, ist skeptisch: „CDU-Ministerin Otte-Kinast versucht wenige Tage vor | |
| der Landtagswahl noch mal eine vermeintliche Erfolgsmeldung in den Medien | |
| zu platzieren“, sagt sie der taz. „Bislang hatte die Ministerin mit der | |
| Seleggt-Methode, die auf eine Erkennung nach dem siebten Bebrütungstag | |
| setzt, wenn die Embryonen schon Schmerz empfinden, definitiv auf das | |
| falsche Pferd gesetzt.“ Außerdem, so Staudte, „treten wir seit Jahren mit | |
| der Forschung zur Früherkennung auf der Stelle, und leider wurde dabei die | |
| Forschung zum Zweinutzungshuhn vernachlässigt.“ | |
| Zweinutzungshuhn, das ist ein technokratisch klingender Begriff für ein | |
| Huhn, das jahrhundertelang Normalität in den Hühnerställen war: ein | |
| Haushuhn, das sowohl Eier legt als auch zum Schlachten geeignet ist. In | |
| Zeiten von Hochleistungszüchtungen muss man es neu erfinden. | |
| 7 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Reform-der-Tierhaltung-in-Niedersachsen/!5755670 | |
| [2] /Gesetz-gegen-Toetung-maennlicher-Kueken/!5713345 | |
| [3] /Industrielle-Tierhaltung-in-Deutschland/!5773849 | |
| [4] /Niedersachsens-Agrarministerin-ueber-Tierschutz/!5767188 | |
| [5] /Deutsches-Tierschutzbuero/!t5587281 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
| ## TAGS | |
| Küken | |
| Kükenschreddern | |
| Landtagswahl in Niedersachsen | |
| Tierschutz | |
| Barbara Otte-Kinast | |
| Foodwatch | |
| Hühnereier | |
| Tierzucht | |
| Hühnereier | |
| Küken | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tötungs-Verbot in Hühnerställen: Schredderverbot für männliche Küken | |
| Mit dem Jahreswechsel dürfen männliche Küken nicht mehr geschreddert oder | |
| vergast werden. Ein Verbot, das wenig ändert, kritisiert Foodwatch. | |
| Nach Verbot des Kükenschredderns: O Bruder Hahn, wo gehst du hin? | |
| Ein Großteil der männlichen Küken wird heute aufgezogen – aber wo landet | |
| eigentlich ihr Fleisch? Das wissen selbst Geflügelverbände nicht so genau. | |
| Verbot des Kükentötens: Nur ein kleiner Fortschritt | |
| Das Schreddern männlicher Küken zu verbieten ist überfällig. Das Problem | |
| der unklaren Herkunft von Eiern für Fertig-Nahrungsmittel dagegen bleibt. | |
| Geplantes Verbot des Kükentötens: Systemwechsel verhindert | |
| Der Gesetzentwurf gegen das Töten von Eintagsküken ist ein Fortschritt. | |
| Noch besser wäre ein Verzicht auf „Hochleistungsrassen“. | |
| Gesetz gegen Tötung männlicher Küken: Schreddern vor dem Aus | |
| Millionen Küken werden kurz nach dem Schlüpfen getötet, weil sie sich | |
| angeblich nicht rentabel verwerten lassen. Neue Methoden sollen das | |
| massenhafte Töten beenden. |