# taz.de -- Sexuelle Übergriffe im Alltag: Die Boxershorts auf dem Balkon | |
> Für viele Frauen ist Catcalling Alltag. In Japan werden sie hingegen eher | |
> selten angepfiffen – stattdessen klauen Männer lieber ihre Unterwäsche. | |
Bild: Um Wäschediebe abzuwehren, sollten alleinstehende Frauen unbedingt auch … | |
Egal in welchem Land ich bin, widerliche Männer gibt es überall – sei es, | |
dass sie mich mit einem Auto eine halbe Stunde lang verfolgen oder nachts | |
in einem U-Bahn-Abteil als Exhibitionist auftreten. Könnte ich, würde ich | |
all diesen Männern ihre Schwänze abschneiden. Ohne Betäubung. So wütend bin | |
ich auf Männer, die meinen, sich alles erlauben zu dürfen. Denn nach so | |
einem Vorfall sind Frauen diejenigen, die mit einem Trauma, vielleicht | |
sogar lebenslanger Angst, leben müssen. Und Japan ist da leider keine | |
Ausnahme. | |
Meine Erfahrungen mit [1][sexueller Belästigung in Japan] beschränken sich | |
zum Glück (!) auf Anmachsprüche am Bahnhof und Begrabschen in der Bahn. Ich | |
sage zum Glück, denn die meisten Frauen erleben viel gruseligere Sachen. | |
Meine beiden Erfahrungen sind hingegen Alltag für viele. | |
Das Klischee, dass japanische Bahnwaggons zur Rush Hour prallgefüllt sind, | |
stimmt in Tokyo durchaus. Obwohl die Bahn pünktlich alle zwei oder drei | |
Minuten fährt, werden Fahrgäste in jedem Waggon zerquetscht. In solchen | |
Momenten gibt es Männer, die dies ausnutzen: Da sich niemand bewegen kann, | |
reiben sie sich an Frauen oder begrabschen sie von oben bis unten. Manche | |
gehen gar unter die Kleidung, andere machen sich an Minderjährige ran. | |
Viele Mädchen und Frauen sind dabei paralysiert und [2][trauen sich nicht, | |
etwas dagegen zu sagen]. Aus diesem Grund wurde vor etwa 20 Jahren der | |
„Women only wagon“ eingeführt, also Bahnwaggons, die zu Rush-Hour-Zeiten | |
nur von Frauen genutzt werden dürfen. Parallel dazu gibt es zunehmend | |
Schilder an Bahnhöfen, die auf diese Übergriffe aufmerksam machen. Während | |
solche Schilder früher eher Hinweise an Frauen gaben („Tragt keine kurzen | |
Röcke“), adressieren sie heutzutage die Täter („Belästigung ist ein | |
Verbrechen“ – no shit, Sherlock). | |
## Fragwürdige Lösungsansätze | |
Aus ähnlichen Gründen sind übrigens Handys in Japan so eingestellt, dass | |
der Kameraton nicht stumm geschaltet werden kann. Das liegt daran, weil | |
Männer vermehrt Frauen unter dem Rock fotografierten, also Upskirting | |
betreiben. Ein Freund von mir, der in Tokyo ein gebrauchtes Handy kaufte, | |
quälte sich in einer deutschen Bibliothek mit dem Ton, als er mehrere | |
Seiten für seine Arbeit abfotografieren musste. Das mag vielleicht absurd | |
oder lustig klingen, wirklich zur Lösung trägt es nicht bei. | |
Und noch weniger lustig sind japanische Unterwäschediebe. Immer mal wieder | |
klettern Männer auf Balkone von alleinwohnenden Frauen und stehlen dort | |
Strings und BHs, die zum Trocknen hängen. Es gibt auch Fälle von Männern, | |
die nachts Frauen hinterherlaufen und ihnen ihre Unterwäsche vom Leib | |
reißen und damit wegrennen. Oder sich auf den Balkon schleichen und | |
sichtbar onanieren. | |
Die berühmte Manga-Autorin und Essayistin Momoko Sakura schrieb in einem | |
Essay, dass sie nach einer solchen Erfahrung ihre Mutter angerufen habe. | |
Die Mutter schickte ihr darauf prompt die Boxershorts ihres Vaters, die | |
Sakura auf dem Balkon hängen sollte. Die Idee dahinter: Wenn | |
Männerunterwäsche am Balkon hängt, bleiben andere Männer fern. | |
Vom Schlüssel zwischen den Fingern der Faust bis zur Unterwäsche des Vaters | |
– der weiblichen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Unsere Geduld | |
hingegen hat schon längst ihre Grenzen erreicht. Hoffen wir mal, dass Täter | |
das auch zu spüren bekommen. | |
6 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
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