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# taz.de -- Nachruf auf Klaus Dörner: Ein Leben mitten der Gesellschaft
> Klaus Dörner galt als Vordenker einer modernen und sozialen Psychiatrie.
> Nun ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.
Bild: Klaus Dörner kurz vor seinem 80. Geburtstag in seiner Wohnung in Hamburg…
RENDSBURG taz | Reden, Vorträge, Interviews. Noch im hohen Alter reiste
Klaus Dörner unermüdlich durch die Republik, um für seine Ideen zu
streiten. Wenn der schmale, weißhaarige Mann an ein Rednerpult trat, riss
er mühelos ganze Säle mit.
Er galt als Vordenker, als Visionär einer modernen, gemeindenahen und
sozialen Psychiatrie. 1980, als er als Leitender Arzt der Westfälischen
Klinik für Psychiatrie in Gütersloh seinen Plan verkündete, Klinikbetten
abzubauen und Heime zu schließen, hielt die Fachwelt diese Idee [1][noch
für ziemlich gaga].
Geboren wurde Dörner 1933 in Duisburg, er wuchs in der NS-Zeit auf. Wie und
warum eine bürgerliche Gesellschaft – nicht nur Nazi-Deutschland, sondern
auch England oder Frankreich – psychisch Kranke aussortiert und welchen
Zusammenhang es mit der Industriellen Revolution gibt, beschrieb Dörner
1969 in seiner Promotion „Bürger und Irre“ im Fach Soziologie.
Im Zweitstudium, das er vor allem begann, weil seine Freundin schwanger war
und er für den Lebensunterhalt ein Stipendium brauchte, wie er in einem
[2][Interview mit der Fachzeitung Schattenblick] berichtete. Bereits 1960
hatte er eine medizinische Doktorarbeit über „Wahninhalte phasischer
Psychosen“ verfasst.
## Sein Ansatz wurde zum Standard
1968 ging Dörner von Berlin an das Universitätsklinikum Hamburg. Dort bekam
er den Auftrag, eine Tagesklinik aufzubauen, ein damals völlig neues
Konzept. Er arbeitete mit der Psychologin Ursula Plog zusammen, später
verfassten beide das Lehrbuch „Irren ist menschlich“, bis heute ein
Standardwerk. Eine damals ebenfalls neue Idee war, die Angehörigen
psychisch Kranker in die Therapie einzubeziehen. Die Gelegenheit, seine
Ideen auszuprobieren, bekam er ab 1980 als Klinikleiter in Gütersloh.
In den 1980er Jahren hatte die Psychiatrie in Deutschland ihre
allerschlimmsten Zeiten bereits hinter sich. Anfang der 1970er Jahre hatte
eine Debatte über den Zustand in den „Anstalten“ und den Umgang mit den
„Irren“ begonnen, 1975 legte ein Sachverständigenrat im Auftrag des
Bundestages einen ausführlichen Bericht vor, der eine Reihe von
Empfehlungen enthielt.
Doch umgesetzt wurden sie erst nach und nach. 1980 existierten weiterhin
die Großkliniken mit ihren Mehrbettzimmern und Schlafsälen an den
Stadträndern. Einige Menschen blieben ein Leben lang in solchen
Einrichtungen. Dörner sorgte dafür, dass sie in Wohngemeinschaften in die
Städte ziehen konnten, teilweise ganz praktisch: „Ich habe den ehemaligen
Psychiatrieinsassen die Wohnung renoviert“, sagte er einmal.
Tatsächlich gelang es ihm, die Zahl der stationären Betten in Gütersloh zu
senken, bis er 1996 in Ruhestand ging. Bei allen Erfolgen gab es vier Jahre
zuvor eine schwere Krise für die Klinik, als ein Krankenpfleger zehn
Patient*innen tötete und niemand, auch Dörner, Hinweisen nicht schnell
genug nachging.
## Großes Vermächtnis
Am liebsten wäre es ihm gewesen, alle Heime zu schließen, auch für Ältere:
Demenzkranke etwa könnten in ihrer Wohnung bleiben, wenn sich Nachbarn und
Ehrenamtliche um sie kümmerten. Kranke sollten nicht „von Profis umzingelt“
sein, verlangte er. „Sozialraum“ lautet das Stichwort für dieses Konzept,
das heute in vielen Regionen ein fester Begriff geworden ist.
Damit ist Klaus Dörners Vision zumindest zum Teil wahr geworden. In seiner
letzten Lebenszeit wurde er vom Verein „Daheim e. V.“ betreut, an dessen
Gründung er beteiligt gewesen war.
Am Sonntag vor einer Woche ist Klaus Dörner im Alter von 88 Jahren in
Gütersloh gestorben.
4 Oct 2022
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!424023&s=Psychiatrie+D%C3%B6rner&SuchRahmen=Print/
[2] http://www.schattenblick.mobi/infopool/pannwitz/report/ppri0005.html
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Nachruf
Gesundheitspolitik
Psychiatrie
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soziale Klassen
Psychiatrie
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