Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die wollen doch nur spielen
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (155): Krokodile werden
> von menschlichen Horrorgeschichten verfolgt.
Bild: Krokodile mal nicht als gefährliche Menschenfresser
Es gibt einen Bericht aus den fünfziger Jahren von einem amerikanischen
Ehepaar, das mit sechs großen Krokodilen in seiner Wohnung lebte.
Inzwischen sind den Forschern weitere Fälle von Freundschaften zwischen
Krokodilen und Menschen bekannt. Im Magazin Animal Behavior and Cognition
berichteten Forscher, dass Krokodile einen Sinn für Spaß und Spiel haben.
Die Reptilien spielen Ball und tragen sich gegenseitig herum.
„Hunderttausende von Krokodilen leben in Gefangenschaft in Zoos,
Krokodilfarmen und Aufzuchtstationen für gefährdete Arten“, heißt es,
„ihnen Spielzeuge und andere Spielgelegenheiten zu geben, macht sie
glücklicher und gesünder.“
Es gibt 26 Arten. In den Medien überwiegen Horrorgeschichten über diese
Reptilien: „In Uganda ist das Nilkrokodil an den Ufern des Victoriasees ein
großes Problem“, heißt es auf quora.com. „Pro Monat werden durchschnittli…
10 Menschen durch Krokodile getötet. Die Tiere stehen unter Schutz und
vermehren sich.“ Ihre Nahrung wird knapp. „Davon abgesehen, werden sie zu
Menschenfressern, wenn sie es erst einmal probiert haben. Die Krokodile
sind so verrückt auf Menschenfleisch wie Menschen auf Schokolade.“
Umgekehrt essen viele Menschen gern Krokodilfleisch. Wir sind also
füreinander Beute.
2020 wurde Scott Van Zyl, ein professioneller Trophäenjäger aus Südafrika,
der Elefanten und Löwen jagte, von Krokodilen gefressen. „Das ist nur
gerecht“, schrieben Tierschützer. Kürzlich wurde der Sohn des australischen
„Crocodil Hunters“ Steve Martin von einem Albino-Krokodil im Privatzoo
seines Vaters angefallen. Beim Schnorcheln vor Westneuguinea wurde ein
russischer Tourist von einem Krokodil getötet.
Über die größten, die Leisten- oder Salzwasserkrokodile, heißt es auf
Wikipedia: Zwischen 1971 und 2004 wurden in Australien 62 Angriffe
registriert, die in 17 Fällen tödlich verliefen. So wurde zum Beispiel 2002
eine deutsche Touristin beim Baden im Kakadu-Nationalpark getötet. Um
solche Attacken zu vermeiden, werden Leistenkrokodile von Wildhütern an
Badeplätzen eingefangen und fortgebracht. Zudem wird versucht, Badestrände
mit Netzen zu schützen. Krokodile, die mehrfach jemanden angegriffen haben,
werden als „rogue crocodiles“ (Schurken-Krokodile) bezeichnet. Das wohl
bekannteste war „Sweetheart“, das zwischen 1971 und 1979 15 Fischerboote
schwer beschädigte, ohne jedoch die Menschen anzugreifen.
## Gehalten als Showtiere
Der Bestand an Leistenkrokodilen verringerte sich in den fünfziger und
sechziger Jahren, weil ihre Haut für die Lederproduktion begehrt war und
sie stark bejagt wurden. Vor 20 Jahren erholte sich der Bestand langsam
wieder. Seit Leisten-krokodile durch das Washingtoner Artenschutzabkommen
von 1973 geschützt sind, werden sie in Farmen für die Leder- und
Fleischproduktion sowie als Showtiere gehalten.
In Thailand werden mehr als 1,2 Millionen Krokodile gezüchtet. Die Sri
Ayuthaya Crocodile Farm ist eine der größten in Thailand. Der Besitzer
meinte laut dem Spiegel: „Wir schaffen Jobs für die Menschen und Einkommen
für das Land.“ In seiner Farm leben rund 150.000 Krokodile. Handtaschen aus
Krokodilleder erlösen bis zu 80.000 Baht (etwa 2.060 Euro). Ein Anzug aus
Krokodilleder kostet circa 5.000 Euro. Das Fleisch bringt rund 7,50 Euro
pro Kilo ein. 6,3 Millionen Häute und mehr als 4 Millionen Hautstücke
geschützter Krokodile, Schlangen und Warane haben allein die EU-Länder in
den Jahren 2008 bis 2017 importiert.
In Osttimor wird das Leistenkrokodil als „Großvater Krokodil“ verehrt. Der
Legende nach entstand die Insel Timor aus einem Krokodil. Seitdem dort die
Jagd auf die Tiere nach Abzug der indonesischen Besatzung eingestellt
wurde, haben die Krokodilangriffe rapide zugenommen.
CrocBITE, die Datenbank für Krokodilangriffe der australischen
Charles-Darwin-Universität registrierte von 2007 bis 2016 15 tödliche und 5
gefährliche Attacken in Osttimor. Seit 1995 gab es insgesamt 1.024 Angriffe
von Leistenkrokodilen auf Menschen, 591 davon waren tödlich. Etwa die
Hälfte aller Krokodilattacken weltweit geht auf das Konto von
Leistenkrokodilen.
Als Touristenattraktion dienen sie unter anderem am Adelaide River nahe
Darwin: Von einem Boot aus werden Fleischstücke an einer Angel über das
Wasser gehalten: Die Jumping Crocodiles springen daraufhin bis zu einigen
Metern hoch aus dem Wasser. Weltweit bekannt wurden die Leistenkrokodile
durch die Filme der „Crocodile Dundee“-Serie (1986 bis 2001).
Im „Kakadu-Nationalpark“ wurde die feministische Ökologin Val Plumwood 1985
von einem Leistenkrokodil aus ihrem Kajak gezerrt, wobei es sich unter
Wasser drei Mal mit ihr drehte. So töten Krokodile größere Landtiere, indem
sie sie ersticken. Die Feldforscherin überlebte jedoch schwer verletzt.
2012 berichtete sie darüber in ihrem Buch „The Eye of the Crocodile“. Nach
dem Angriff wurde ihr klar, dass wir Menschen, denen alle Lebewesen als
Beute dienen, auch selbst Beute sein können, was für sie ihren
Anthropozentrismus in Frage stellte.
## Fettreserven im Schwanz
Leistenkrokodile können bis zu einem Jahr ohne Nahrung leben und sich dabei
nur von den Fettreserven in ihrem Schwanz versorgen. Diese Fähigkeit – wie
auch ihre Ausdauer beim Durchqueren der Ozeane – verdanken sie ihrem extrem
regulierbaren Stoffwechsel. Da die Männchen zwischen sechs und sieben Meter
lang werden und die Weibchen nur zwei bis drei Meter, bevorzugen die
Züchter erstere.
Krokodile haben keine Geschlechtschromosomen: Die Temperatur bestimmt ihr
Geschlecht – bei 28 bis 31 Grad entwickeln sich weibliche, bei 31 bis 34
Grad männliche Krokodile. Die Tierschützer von Peta schreiben: „Weibliche
Krokodile können etwa 40 Jahre lang Nachwuchs bekommen. Normalerweise legen
sie zwischen 20 und 80 Eier. Ihre Kinder ziehen die meisten Arten in
Nestern groß, die aus Pflanzenresten bestehen. Bis die Krokodilkinder nach
etwa 40 bis 100 Tagen zur Welt kommen, bewachen ihre Eltern das Gelege.
Sobald die Jungen geschlüpft sind, trägt ihre Mutter sie vorsichtig
zwischen den Zähnen zum Wasser.“ Sie muss sie beschützen, denn große
Krokodile fressen gern ihre kleinen Artgenossen, es sind okasionelle
Kannibalen.
Nun gibt es jedoch schon seit Jahrhunderten Berichte darüber, dass auch
kleine Völker in Papua-Neuguinea, auf den Südseeinseln und im
Amazonasgebiet Menschen aßen. Die Berliner Archäologin Heidi Peter-Röcher
bestreitet das in ihrem Buch „Mythos Menschenfresser“ (1998). Sie hält
deren „Kannibalismus“ für eine Erfindung von Europäern.
Aber auch Weiße aßen gelegentlich Menschenfleisch. Deren Motiv war meist
Hunger, während es bei den Indigenen eher darum ging, die Kraft des
getöteten Feindes zu „verinnerlichen“. Ein Indio vom Orinoko entsetzte sich
angesichts eines Schlachtfeldes voller Leichen, dass die Weißen sie nicht
einmal probierten. Im Hollywoodfilm „Soylent Green“ (1973) ernährt sich
bereits die halbe weiße Bevölkerung von alten Leuten, die zu Keksen
verarbeitet werden.
10 Oct 2022
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Reptilien
Tiere
Biologie
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Tierwelt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Ellenlanges Horn und noch viel mehr
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (158): Das Einhorn ist ein
Fabeltier und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück.
Die Wahrheit: Immer auf Sendung dank Antennen
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (157): Riechende und
schmeckende Hummer können bis zu 100 Jahre alt werden.
Die Wahrheit: Schrumpfhoden in Australien
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (156): Die Knutts aus dem
Wattenmeer sind wahre Marathonflieger.
Die Wahrheit: Ganz im Jetzt und ganz real
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (154): Philosophen und
ihre Tiere, eine Art von Amour fou vom Feinsten.
Die Wahrheit: Die im Unsichtbaren blühen
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (153): Algen sind
chimärenhafte Wesen, die sich binnen kurzer Zeit verwandeln können.
Die Wahrheit: Schimmer wunderbarer Zartheit
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (152): Von Menschen
verkitscht, gejagt, beschmust – Rehe haben ein schweres Los zu tragen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.