# taz.de -- Schiffbau im Alten Land am Ende: Eine Werft verschwindet | |
> Die Sietas-Werft bei Hamburg wird im Internet versteigert – gekauft | |
> werden kann alles, was sich bewegen lässt. Und das ist ziemlich viel. | |
Bild: Hat schon bessere Zeiten gesehen: die Sietas-Werft nach der Insolvenz | |
HAMBURG taz | Noch immer ertönt auf der Sietas-Werft die Werkssirene. Der | |
Ton dringt über das [1][weitläufige Gelände] mit seinen Verwaltungsgebäuden | |
aus Backstein, seinen riesigen, schiffsgroßen Hallen und seinen turmhohen | |
Kränen. Der Ton dringt nach draußen, über die Straße hin zu den | |
Obstplantagen des Alten Landes mit ihren denkmalgeschützten | |
Fachwerkbauernhöfen. Und sogar gegenüber auf dem Sperrwerk – das die Elbe | |
von dem kleinen Fluss Este abtrennt, an dessen Mündung die Werft liegt – | |
wäre er noch zu hören. | |
Die Sirene ertönt, denn es ist zwölf Uhr. Mittagspause. Aber es bewegt sich | |
nichts. | |
Niemand tritt durch die großen Werktore, hinter denen die Stahlplatten für | |
die Schiffe zurechtgeschnitten werden, niemand kommt aus der Montagehalle | |
beim Dock, in der die Schiffsteile zusammengesetzt werden, um dann durch | |
riesige Garagentore ins Freie gelassen zu werden. | |
„Da, sehen Sie“, sagt Heino Rudolph und zeigt aus dem Fenster seines Büros, | |
aus dem man einen guten Überblick über das Gelände hat. Die Sonne bricht | |
sich in den Fenstern, der Hof, über den die Schienen für die Kräne laufen, | |
liegt verwaist. Nichts bewegt sich. | |
Heino Rudolph, so steht es auf seiner Visitenkarte, ist bei der | |
Sietas-Werft der „Yard Captain“: er darf die Schiffe auf der Werft | |
navigieren. Eigentlich eine Top-Qualifikation, doch leider: auf der | |
Sietas-Werft wird sie nicht mehr gebraucht. Vor einem Jahr meldete Hamburgs | |
älteste Werft, der Stolz des zu Hamburg gehörenden Obstbauerndorfes | |
Neuenfelde, [2][Insolvenz an], es fand sich kein Käufer. Seitdem wird hier | |
kein Schiff mehr gebaut. | |
Dafür trifft man, wenn man übers Gelände geht, zwischen den großen Hallen | |
oder auf dem geschundenen, von großen Gewichten eingedrückten Steinpflaster | |
an der Kaimauer, Gruppen von Männern mit Helmen auf dem Kopf. Es sind | |
Angestellte des Internetauktionshauses Netbid, die im Auftrag des | |
Insolvenzverwalters Kunden herumführen. „Das sind die, die die roten | |
Sticker draufkleben“, sagt Rudolph bitter. Klebt so ein roter Sticker | |
irgendwo, bedeutet das: ist verkauft. | |
Seit April dieses Jahres wird die Werft [3][versteigert], Stück für Stück. | |
Alles muss raus: die Maschinen in den Hallen, die Kräne auf dem Kai, die | |
Werksfahrräder, die noch immer in ihrem Unterstand warten, als ob die | |
Schicht gleich beginnen würde. Alles, was irgendwie abtransportiert werden | |
kann, taucht nach und nach im Internet auf den Seiten des Auktionshauses | |
auf. | |
„Da sind Kollegen, die zu Hause sitzen und weinen, wenn sie sehen, wie ihr | |
Büro versteigert wird“, sagt Rudolph. | |
Und es sind ja nicht nur die Büros. Auf dem Weg in das von Heino Rudolph, | |
das in einem oberen Stockwerk, am Ende eines Ganges liegt, kommt man durch | |
die Räume für die Elektriker. Lange Tische stehen da, noch mit den | |
Kaffeetassen drauf. Über den Stühlen hängen die blauen Arbeitsjacken, als | |
würden die Kollegen demnächst wiederkommen. Aber das wird nicht geschehen. | |
Als die Werft in Insolvenz ging, stellte sich heraus, dass gar kein Geld | |
mehr da war, wirklich gar keins. Die Beschäftigten blieben auf drei | |
Monatsgehältern sitzen, bis heute haben sie das Geld nicht gesehen. | |
Dabei sah es lange so aus, als ob die Werft eine Zukunft hätte. Klar, die | |
glorreichen Zeiten, als auf der Sietas-Werft, Leiharbeiter mitgezählt, über | |
2.000 Menschen arbeiteten, als die Auftragsbücher voll waren, als 40, 50 | |
Schiffe im Jahr vom Stapel liefen, diese Zeiten sind endgültig vorbei, seit | |
die Werft 2012 [4][zum ersten Mal in Insolvenz ging]. | |
Die Familie Sietas aus Neuenfelde, bis dahin unumschränkter Herrscher über | |
die Werft, musste verkaufen, das Unternehmen, zu dem auch eine | |
Wohnungsbaugesellschaft gehörte, wurde zerschlagen. | |
Und doch ging es mit dem Schiffbau weiter unter dem neuen russischen | |
Eigentümer, als „Pella Sietas“-Werft, wie sie nun hieß. In kleinerer | |
Besetzung zwar, mit nur noch 300 Arbeitern, aber so schlecht habe es gar | |
nicht ausgesehen, sagt Rudolph. Die Werft hatte Aufträge für Spezialschiffe | |
an Land gezogen: keine Containerschiffe, die Zeit war vorbei, aber: | |
Baggerschiffe, Eisbrecher, Fähren. | |
An einer Wand in seinem Büro hängt ein Plan, auf dem der letzte Auftrag der | |
Werft zu sehen ist: eine Doppelendfähre, neuester Stand der Technik, von | |
der einen Seite hätten die Autos rauffahren können, von der anderen wieder | |
runter. | |
Diese Fähre wurde gebaut, sie, oder besser gesagt eine Hälfte von ihr, | |
steht am Ende der Halle, in der die Stahlplatten zurechtgeschnitten wurden. | |
Sie steht da, so hoch wie die Halle, mit Planen abgedeckt. Es ist das | |
Hinterteil, erkennbar an den Löchern für die Schiffsschrauben. Die vordere | |
Hälfte und der Aufbau stehen auch auf dem Gelände, fast in Sichtweite – im | |
Kopf lässt sich die Fähre also leicht zusammensetzen. | |
In Wirklichkeit wird das wohl nie geschehen. Die Reederei, die sie in | |
Auftrag gab, [5][trat von dem Geschäft zurück]. Die Fähre sei zu schwer, | |
außerdem werde sie nicht mehr gebraucht, die Nordseeinsel, auf der sie | |
eingesetzt werden sollte, würde autofrei werden. | |
Es war nur der letzte Stoß, aber er war symptomatisch: Die Geschäfte liefen | |
nicht mehr gut, die Kunden zogen zurück, die Werft war am Ende hoch | |
verschuldet. Das Problem, sagt Rudolph, sei gewesen: Mit den Aufträgen, die | |
sie bekamen, konnten sie nie in Serie gehen, die Schiffe, die sie bauten, | |
waren alles Einzelanfertigungen. „Das lohnt sich dann irgendwann nicht | |
mehr.“ | |
Seit 1986 ist er bei der Werft, als Lehrling hat er damals angefangen, als | |
Schiffszimmermann. Jetzt ist er einer der Letzten, die geblieben sind, denn | |
Rudolph ist nicht nur der Yard Captain, er ist auch der | |
Sicherheitsbeauftragte. Er sorgt dafür, dass die stillgelegte Werft in | |
funktionsfähigem Zustand bleibt. „Nehmen Sie nur die Heizungen“, sagt | |
Rudolph, „wenn Sie die ganz ausschalten und es ist kalt, platzen die | |
Rohre.“ Oder die Elektrik: muss funktionieren, die Hallen müssten | |
beleuchtet sein, die Tore auf- und zugehen. | |
Heino Rudolph sagt, er werde bleiben bis zum Schluss. Vielleicht findet | |
sich ein Käufer für das Grundstück und das, was dann noch darauf steht, | |
vielleicht kann jemand was damit anfangen. In der ehemaligen Belegschaft | |
der Werft kursieren Gerüchte, dass vielleicht Airbus, dessen Werk nicht | |
weit entfernt zwischen Neuenfelde und dem Nachbardorf Finkenwerder liegt, | |
Interesse haben könnte – aber eine Bestätigung gibt es dafür nicht. | |
Bis es so weit ist, leert sich die Werft immer weiter. Bei einem Besuch | |
einige Wochen später ist viel Verkehr, große Lastwagen rumpeln über das | |
Kopfsteinpflaster der Zufahrtsstraße, ein Pkw mit niederländischem | |
Kennzeichen parkt. „Heute ist viel los“, sagt der Pförtner. Auch er gehört | |
zu denen, die drei Monate nicht bezahlt wurden, und fragt sich, warum in | |
anderen Ländern der Staat die Werften unterstütze, in Deutschland aber | |
nicht. „Am besten, man macht sich selbstständig“, sagt er. | |
Heino Rudolph ist gerade im Urlaub, dafür hat sich Georg Netuschil, der | |
Betriebsratsvorsitzende, bereit erklärt, über das Gelände zu führen, um den | |
Stand der Dinge zu zeigen. „Sehen Sie da hinten“, sagt er und zeigt auf die | |
fahrbaren Kräne, die zwischen den Hallen stehen und bis zum Wasser | |
vorfahren können, „die sind auch weniger geworden.“ Wer so einen Kran | |
kauft? „Der wird verschrottet“, sagt Netuschul. „Das lohnt sich.“ | |
Draußen vor der Kaimauer liegt das Flüsschen Este, total verschlickt. Der | |
Schlick, der von der Elbe hereingespült wird, war für die Werft schon immer | |
ein Problem, aber jetzt hat er überhandgenommen: das große Schwimmdock, das | |
eine Barriere gebildet hatte, ist weg, es wurde von einer Flensburger Werft | |
ersteigert und [6][mit einem Schlepper über den Nord-Ostsee-Kanal] an den | |
neuen Bestimmungsort gebracht. | |
Das einzige Wahrzeichen auf dem Gelände, das auf jeden Fall bleiben soll | |
und nicht versteigert wird, ist zugleich das größte: der auf zwei Beinen | |
stehende Jucho-Portalkran, weithin sichtbar bis nach Hamburg-Blankenese auf | |
der gegenüberliegenden Elbseite, ist so hoch, dass man, um oben auf den | |
Querbalken zu kommen, mit einem Aufzug fahren muss, der innen durch ein | |
Kranbein führt. Der Querbalken ist von innen begehbar, von oben ist die | |
Aussicht sehr gut: übers Alte Land, über die Elbe. | |
„Hier könnte man ein Café aufmachen!“, sagt Georg Netuschil begeistert. | |
„Aber wer soll das bezahlen?“ | |
1 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://pellasietas.com/ | |
[2] /Sietas-Werft-ist-insolvent/!5787720 | |
[3] https://www.netbid.com/Auktionen/Online2/23476022-23476015-Maschinen-und-An… | |
[4] /Insolvenz-als-Chance/!5107184 | |
[5] https://www.juistnews.de/artikel/2021/11/18/keine-neue-doppelendfahre-fur-d… | |
[6] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Finale-beim-Ausverkauf-der-Hamburger… | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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