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# taz.de -- Abtreibungsverbot in Malta: Verletzung der Menschenrechte
> Für Länder mit Abtreibungsverbot wie Malta sollte es Reisewarnungen
> geben. Denn wer schwanger werden kann, riskiert dort im Zweifel sein
> Leben.
Bild: Demo gegen das Abtreibungsverbot in Malta am 22. Juni 2022
Will man in Ländern Urlaub machen, deren Regierungen Menschenrechte
verletzen? In China, das [1][Uigur*innen] in Zwangslager sperrt? In der
Türkei, [2][wo kritische Journalist*innen im Knast verschwinden]? In
Ägypten, wo die Menschen unter den [3][Repressionen des Militärstaats]
leiden? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Doch wenn es um bestimmte
Menschenrechte geht, ist diese Frage nicht nur eine ethische. Für Reisende,
die schwanger werden können, kann es um ihr Leben gehen.
Eigentlich wollten die US-Amerikanerin Andrea Prudente und ihr Partner bloß
Urlaub machen. Im Juni auf Malta die Sonne genießen, das Meer, und sich auf
die Zukunft zu dritt freuen. Prudente war in der 16. Woche schwanger. Doch
es kam anders. Sie verlor die Schwangerschaft – und verklagt nun Malta
wegen seines strikten Abtreibungsverbots. Der Vorwurf:
Menschenrechtsverletzung.
Prudente musste mit Schwangerschaftskomplikationen ins Krankenhaus. Sie
hatte Fruchtwasser verloren und die Plazenta hatte sich abgelöst. Der Fötus
sei nicht lebensfähig, erklärten die Ärzt*innen. Doch sie weigerten sich,
ihn aus ihrem Körper zu entfernen: Nach wie vor waren Vitalfunktionen
darstellbar.
## Die strengsten Abtreibungsgesetze weltweit
Das EU-Land Malta hat eins der [4][strengsten Abtreibungsgesetze weltweit].
Schwangerschaftsabbrüche sind unter allen Umständen illegal, auch in Fällen
von Vergewaltigung oder bei Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren. Man
müsse warten, bis der Fötus tot sei, erklärten die Ärzt*innen Prudente.
Das kann lebensbedrohlich sein, zum Beispiel, wenn sich eine Sepsis
entwickelt.
Prudente erreichte, dass man sie nach zwei zermürbenden Wochen im
Krankenhaus nach Spanien ausflog. Dort erhielt sie die notwendige
medizinische Behandlung. Eine Möglichkeit, die ihr als Touristin offenstand
– die viele Malteserinnen aber nicht haben. Wer ungewollt schwanger ist,
muss für einen Abbruch ins Ausland reisen oder sich heimlich
Abtreibungspillen über das Internet besorgen. Wer aber eine Fehlgeburt
erlebt, der droht im schlimmsten Fall das, was auch Prudente im Krankenhaus
erlebte. Aktivist*innen berichteten ihr, es gebe jedes Jahr Fälle wie
den ihren. Doch kaum jemand spreche darüber, zu groß sei das Stigma.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass ich Opfer eines Gesetzes wurde, das
Frauen schadet, und dass ich als Außenstehende in der einmaligen Situation
bin, den Mund aufzumachen und Licht auf eine Sache zu werfen, die sich
falsch anfühlt“, [5][sagte Prudente dem Magazin Vice]. Die maltesische
Regierung habe gegen ihre Verpflichtung verstoßen, für Sicherheit und Würde
zu sorgen. Das Abtreibungsverbot verstoße gegen ihr Recht auf Freiheit, den
Schutz des Rechts auf Leben, das Recht auf Achtung des Familienlebens und
den Schutz vor unmenschlicher Behandlung. Es handle sich zudem um
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht. Dazu zählen auch
[6][reproduktive Rechte] – also auch: das Recht jeder Person, selbst zu
entscheiden, ob und wenn ja, wann, mit wem und wie oft sie Kinder bekommt,
und dabei die bestmögliche medizinische Versorgung zu erfahren. Auch wenn
viele Länder es bis heute nicht wahrhaben wollen: Dieses Recht ist nicht
realisierbar, ohne auch den Zugang zu legalen und medizinisch sauberen
[7][Schwangerschaftsabbrüchen] sicherzustellen.
Nicht immer gehen Fälle wie der Prudentes am Ende gut aus – und zwar längst
nicht nur dort, wo es ein Totalverbot gibt. Erst im letzten Jahr starb in
Polen eine junge Frau an einer Sepsis, [8][weil die Ärzt*innen sich
weigerten, einen nicht lebensfähigen Fötus aus ihrem Körper zu entfernen].
Dabei sind dort Abbrüche, die das Leben der Schwangeren retten, erlaubt.
Und auch in den USA häufen sich Berichte von Ärzt*innen, dass Frauen mit
einer Fehlgeburt die notwendige Behandlung verwehrt wird, [9][seit der
Supreme Court das Recht auf Zugang zu Abtreibungen gekippt hat] und
zahlreiche Bundesstaaten ihre Gesetze verschärft haben.
Diese Fälle zeigen in aller Deutlichkeit, warum ein Abtreibungsverbot kein
Leben rettet, wie die Anti-Choice-Bewegung oft behauptet – sondern Leben
kostet. Zum einen zwingen sie ungewollt Schwangere in die Illegalität – und
zu unsauberen und gefährlichen Methoden. Zum anderen kann ein
Abtreibungsverbot eben auch jene betreffen, die eigentlich gewollt
schwanger sind.
Ärzt*innen stellen fest, dass ein Fötus keinerlei Überlebenschancen hat.
Dennoch verweigern sie den Eingriff, solange Vitalfunktionen darstellbar
sind. Es könnte ihnen von der Justiz ja als Abtreibung angelastet werden.
Und so muss eine Situation, die lebensbedrohlich werden kann, erst
tatsächlich lebensbedrohlich werden, bevor sie handeln. Manchmal ist das zu
spät. Und immer werden auf diese Weise Menschenleben im Namen des
sogenannten Lebensschutzes wissentlich aufs Spiel gesetzt.
„Falls du eine Frau kennst, falls du eine Frau liebst, falls du vorhast,
jemals eine Frau zu kennen oder zu lieben, oder falls du eine Frau bist:
Fahr nicht nach Malta.“ [10][Das hat Prudentes Partner im Guardian gesagt],
nachdem die beiden die Insel verlassen hatten.
Und er hat recht: Eigentlich müsste es für Länder mit Abtreibungsverbot
Reisewarnungen geben. Menschen, die schwanger werden können, sollten sich
genau überlegen, ob sie Reisen nach Malta, Brasilien, Polen, in Teile der
USA oder viele andere Länder riskieren. Und alle Menschen sollten sich ein
Beispiel nehmen an Andrea Prudente und Abtreibungsverbote als das benennen,
was sie sind: Menschenrechtsverletzungen, die überall auf der Welt ein Ende
haben müssen.
5 Oct 2022
## LINKS
[1] /UN-Bericht-zur-Lage-der-Uiguren/!5878712
[2] /Die-Mediensituation-in-der-Tuerkei/!5845707
[3] /Repression-in-Aegypten/!5877842
[4] https://www.doctorsforchoice.mt/abortion-law
[5] https://www.vice.com/en/article/xgy4yz/malta-abortion-andrea-prudente
[6] /Frauenrechte-bei-Fortpflanzung/!5838230
[7] /Schwerpunkt-Abtreibung/!t5008434
[8] /Abtreibung-in-Polen/!5813322
[9] /Supreme-Court-kippt-Recht-auf-Abtreibung/!5863405
[10] https://www.theguardian.com/global-development/2022/jun/28/if-you-love-or-…
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
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Schwerpunkt Abtreibung
Menschenrechte
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