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# taz.de -- Begräbnis der Queen: Monarchie und Alltag
> Nun ist Queen Elizabeth II. zu Grabe getragen worden. Was machte ihre
> lange Herrschaft als Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs
> besonders?
Bild: Steigende Gaspreise in England: Bezahlt wird mit Pfund, die Queen ist auf…
Das Ableben von Queen Elizabeth II. hat weltweit nicht nur unerwartete
emotionale Reaktionen ausgelöst, sondern auch einen Impuls, einen Drang,
einen Zwang zum persönlichen Bekenntnis. Selbst das britische Parlament hat
sich in der Zeit der Staatstrauer in eine Art protestantische Gemeinde
verwandelt.
Hier soll die Rede von [1][Ex-Premierminister Boris Johnson] dokumentiert
werden. Nicht nur weil sie exemplarisch ist für diesen erstaunlichen Drang,
sondern auch als scharfe Skizze von dem, was eine konstitutionelle
Monarchie ist. Lassen wir den konservativen Politiker sprechen:
„Millionen versuchen zu verstehen, warum sie so ein tiefes, persönliches,
nahezu familiäres Gefühl von Verlust haben.“ In der Tat, es ist genau das,
was die Beobachter:Innen sprachlos macht. „Vielleicht rührt es zum
Teil daher, dass die Queen immer da war. Ein unveränderlicher humaner
Referenzpunkt im britischen Alltagsleben.“
## Auf jedem Geldschein
Und der Tory führt gleich aus, was ein solcher „humaner Referenzpunkt“
bedeutet: „Die Person zu sein, der weltweit so sehr vertraut wird, dass
[2][ihr Antlitz] auf jedem unserer Geldscheine und Münzen, auf allen
aufgegebenen Briefmarken sein sollte. Die Person, in deren Namen alles
Recht ausgeübt wird, jedes Gesetz verabschiedet, die Person, welcher jeder
Minister der britischen Krone Treue schwört. Und auf die jedes Mitglied
unserer Streitkräfte verpflichtet wird, wenn notwendig mit seinem Leben.“
Wir halten fest: Die britische Monarchin ist in Bild und Name – ein
Spiegel, in dem sich die Gesellschaft ansehen kann. In diesem Sinne ist der
Referenzpunkt also ein symbolischer.
Human aber ist er, weil die Queen „die lebendige Verkörperung der
Geschichte, der Kontinuität und der Einheit dieses Landes ist, die
Hauptfigur unseres ganzen Systems“. Natürlich erinnert das an die –
übrigens britische – Theorie der „zwei Körper des Königs“, wonach der
Monarch in seiner leiblichen Existenz die Einheit des Volkes inkarniert.
## Rein formaler Bezugspunkt
Man muss aber vor einer vorschnellen Analogie warnen, denn diese
juristische Fiktion des Mittelalters bezog sich auf einen Monarchen, der
tatsächlich die Macht im Staate innehatte. Die Queen hingegen war nur noch
ein Restbestand dieser alten Macht, ein politisch leerer, ein rein formaler
Bezugspunkt.
Eine Rolle, die Elizabeth II. nur erfüllen konnte, da ihr vertraut wurde,
so Johnson, „jenseits jeder politischen Partei und jenseits jedes
kommerziellen Interesses zu stehen und das Konzept ebenso wie das Wesen der
Nation unparteiisch zu inkarnieren“. Hier sieht Johnson nicht nur großzügig
über den finanziellen Ausgleich hinweg, mit dem diese Unparteilichkeit
honoriert wurde.
Er benennt auch deutlich, worauf die konstitutionelle Monarchie gründet:
darauf, dass das Oberhaupt des Staates, der Spiegel der Gesellschaft,
dieser Gesellschaft äußerlich ist. Das Oberhaupt ist nicht Teil des Volkes.
Die Windsors werden ausgesondert und geben diese Position durch Geburt
weiter.
## Konservative Einheit
Johnson mag diese Position jenseits der Auseinandersetzung beschwören,
seine Rede hingegen ist alles andere als unparteiisch: Sie konstruiert eine
konservative Einheit, einen Konsens mittels der Royals – zu der die Tories
aber einen privilegierten Zugang haben. Eine perfekte Darstellung der
bürgerlichen Hegemonie.
Und wenn die Royals diese Funktion eines „Schlusssteins des Staatsgewölbes“
heute nur noch formal, nur als Restbestand erfüllen, dann sichern sie damit
aber auch eine Art historische Kontinuität. Ob als Erinnerung oder als
Folklore. Gerade die Queen erfüllte diese Aufgabe über sieben Jahrzehnte,
durch die „unglaubliche Dauer ihres Dienstes“: Je länger ihre Regentschaft
andauerte, desto glaubwürdiger verkörperte sie das, wofür sie stand: die
historische Kontinuität.
Und zum Schluss kam Johnson noch auf eine Besonderheit der Queen zu
sprechen: ihre Bescheidenheit, „ihren Elektrokamin, ihren Hang zur
Tupperware“. All die Anekdoten, die derzeit die Runde machen, zeigen eines:
Es war gerade dieses Augenzwinkern, diese Distanz zu ihrer Funktion, die es
ihr erlaubte, ihr Amt so gut auszufüllen. Nur weil sie sich als
Funktionsträgerin sah, sich als Person also nicht mit der Königin
verwechselte – nur darum war sie so eine überzeugende Queen.
19 Sep 2022
## LINKS
[1] /Grossbritannien-nach-dem-Brexit/!5660395
[2] /Vereinigtes-Koenigreich-in-der-Krise/!5881033
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
Queen Elizabeth II.
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