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# taz.de -- Saskia Esken in Niedersachsen: Fast nachlässig
> Die SPD-Chefin besucht in Niedersachsen Unternehmen, die von der
> Transformation betroffen sind. Doch WählerInnen trifft sie auf dieser
> Tour nicht.
Bild: Esken wiederholt, es sei nicht akzeptabel, dass die Tarifbindung unter 50…
Braunschweig/ Helmstedt taz | „Ich mag Autos“, sagt SPD-Chefin Saskia Esken
und setzt sich schwungvoll in einen Mercedes Limousine WQS 450. Ein
Elektroauto, 700 Kilometer Reichweite, 130.000 Euro. Sie fährt dienstlich
auch ein Elektroauto, das weit weniger als die Hälfte kostet.
Im Autohaus Rosier in Braunschweig gibt es eine neue elegante
Verkaufshalle. Im Hof brechen Arbeiter mit dem Seitenschneider den Asphalt
auf. Neue Stromleitungen werden verlegt, man braucht ja Ladesäulen für die
Kunden, die ihr E-Auto zur Reparatur bringen. Stefan Becker, der schneidige
Leiter der Niederlassung, rechnet vor, was das kostet: rund 400.000 Euro.
Und dann noch die Photovoltaik auf dem Dach.
Diese Sommerreise führt durch Niedersachsen. Die Wahl dort ist wichtig für
die SPD. Nirgends sonst ist sie vor Ort noch so präsent wie zwischen
Braunschweig und Lüneburg. Doch WählerInnen trifft die SPD-Chefin auf
dieser Tour nicht. Dafür werden neben dem Autohaus eine
Müllverbrennungsanlage und autonomes Fahren in der Autostadt Wolfsburg
besichtigt, Transformation heißt die Überschrift.
Autohausbesitzer Rosier bekommt regelmäßig Preise für
Familienfreundlichkeit. Ein Vorzeigebetrieb, auch der allseits beklagte
Fachkräftemangel ist beherrschbar. Man hat 50 Azubis, allein 19 in diesem
Jahr. Becker klagt, dass alle studieren wollen und das Handwerk nicht mehr
zähle. Aber im Grunde läuft es.
## Scheinbar alles in Ordnung
Die Arbeitsstunde kostet hier 180 Euro aufwärts. In dieser Gegend werden
solche Preise bezahlt. Wolfsburg ist nah, man ist hier mit Autos reich
geworden. Auch die bundesdeutsche Sozialpartnerschaft funktioniert.
Strategische Entscheidungen, sagt Becker, treffe man gemeinsam mit IG
Metall und Betriebsrat. Der Betriebsvorsitzende Michael Steffens, der den
Sidekick bei dem Besuch gibt, nickt. Es gibt 40 Autohäuser in Braunschweig,
Rosier ist eines von sechs mit Tarifvertrag.
Esken wiederholt mehrmals, dass es nicht akzeptabel sei, dass die
Tarifbindung in Deutschland unter 50 Prozent liege. Dass es wieder 80
Prozent werden müssten, so wie früher.
„Hier ist die SPD-Welt noch in Ordnung“, sagt der örtliche
SPD-Landtagsabgeordnete Christoph Bratmann zu der SPD-Chefin am Ende des
Besuchs. „Die habe ich doch wieder in Ordnung gebracht“, witzelt Esken.
Doch etwas ist nicht Ordnung.
Autohäuser sind nicht sonderlich energieintensiv. Aber man rechnet mit zwei
Millionen Euro Mehrkosten, sagt Becker bekümmert und schaut die
SPD-Vorsitzende an. Esken antwortet: Die Branche habe zu lange auf
Wasserstoff gesetzt und nicht verstanden, dass E-Mobilität die Zukunft ist.
Da hat sie recht. Aber eine Antwort ist das nicht.
## Zu wenig Müll, zu wenig Strom
Bernhard Kemper steht in der Leitstelle der Müllverbrennungsanlage
Helmstedt. Hinter ihm 12 großformatige Monitore, die zeigen, ob im Werk
alles rund läuft. Eine halbe Milliarde Tonnen Müll wird hier verbrannt.
Früher war hier ein Braunkohlebergwerk, „eine Dreckschleuder“ so der
eloquente CEO des Werkes. Heute arbeitet man, so weit es geht, in
Kreisläufen und produziert mit der Verbrennung Strom für knapp 100.000
Haushalte.
Junge Fachkräfte zu gewinnen, ist nicht einfach. Jenseits der schicken
digitalen Leitstelle ist Müllverbrennen Arbeit, dreckig, stinkend,
Schichtbetrieb. Der Strom muss immer fließen. Ein Problem kann die
Rezession werden. Wenn weniger gekauft wird, wird weniger weggeworfen. „Wir
rechnen mit acht bis zehn Prozent weniger Müll“, sagt Kemper. Die
Stromproduktion sei davon hoffentlich nicht tangiert. Esken sagt nichts.
Später lässt sich die SPD-Chefin von einem selbstfahrenden Wagen in
Wolfsburg über die Autobahn transportieren. Das sei, sagt sie, eine
sinnvolle Technik. Die Ängste, dass KI Arbeitsplätze zerstöre, seien fehl
am Platze. Angesichts der Tatsache, dass schon jetzt händeringend Busfahrer
gesucht werden, könne KI ein Segen sein.
Warum diese Reise? Eine Reise ohne Kontakt zu WählerInnen, eine Tour durch
Unternehmen, fast ohne die Krise zu erwähnen. Esken sagt, sie wolle
erfahren, „inwieweit die Krise als Treiber der Transformation wahrgenommen
wird“. Das ist, angesichts der anschwellenden Panik im Mittelstand und der
bohrenden Frage, ob die Ampel genug gegen explodierende Energiepreise tut,
eine erstaunlich lässige Formulierung. Nachlässig fast.
13 Sep 2022
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Landtagswahl in Niedersachsen
SPD
Saskia Esken
Transformation
Energiekrise
Dienstwagen
Saskia Esken
IG
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