# taz.de -- Wider besseres Wissen: Wir sind die Klima-Frevler | |
> Mein Auto, mein Vollbad, meine Frischhaltefolie: Auch | |
> taz-MitarbeiterInnen wollen im Kampf gegen die Erderhitzung nicht auf | |
> alles verzichten. | |
Bild: Konsumverzicht ist gut gegen die Klimakrise. Aber es geht nicht immer | |
## Laut und wunderbar: Motorrad fahren | |
Früher bin ich mit dem Motorrad täglich zur taz gefahren, wo es dann in | |
einer Flotte aus Fahrrädern parkte. Irgendwann meinte ein Kollege halb | |
verwundert, halb vorwurfsvoll: „Ach, dir gehört der laute Stinker!“, und | |
ich dachte nur: „Yepp, mir gehört diese wunderbare Moto Guzzi!“ Tut mir | |
leid, es tut mir nicht leid. Ich fahre zu gerne Motorräder, als dass ich | |
jemals darauf verzichten würde. Seit mehr als drei Jahrzehnten bewege ich | |
welche mit mehr als 100 PS und werde damit im Leben nicht aufhören. Wenn | |
ich den Helm nicht längst schon meiner Gesundheit oder meinen besorgten | |
Kindern zuliebe an den Nagel gehängt habe, warum dann „fürs Klima“, was | |
übersetzt sowieso nur „als Signal meiner Tugendhaftigkeit“ bedeutet? Bei | |
einer Leistung, von der ein Ulf Poschardt in seinem 911er Porsche nur | |
träumen kann, verbraucht so ein Teil so viel wie ein Fiat Panda – und | |
beansprucht weniger Platz als ein Lastenrad. Ein Motorrad kann ich mir also | |
mühelos schönrechnen. Leider besitze ich inzwischen deren zwei – und | |
liebäugelte gerade mit einem dritten. Meine Guzzi ist Verkehrsmittel, | |
Sportgerät, Achterbahn und psychiatrischer Notdienst all rolled into one. | |
Sobald ich in den Alpen, in den Cevennen oder im hintersten Odenwald ein | |
E-Motorrad aufladen kann, werde ich mir eines anschaffen. Ich bin in das | |
Fahren verliebt, nicht in den Verbrenner. | |
Arno Frank, Autor | |
## Horizont erweitern: (Fern-)Fliegen | |
Eine gewisse Flugängstlichkeit ist mir nicht fremd, Flugscham jedoch schon. | |
Mir graust vor Winden in großer Höhe, weil der Flieger dann wackelt. Ein | |
übles Gefühl, keinen sicheren Boden unter den Füßen zu wissen, das kennt | |
auch, wer schon mal auf Eis mit dem Fahrrad oder dem Auto ins Schlingern | |
kam. Aber Scham? Dieses peinigende Gefühl, sich blamiert zu haben, | |
vielleicht unter Aufsicht anderer Menschen? Beschämen könnte einen vieles, | |
aber das politische Projekt, den Klimawandel umzudrehen? Feel bad? Nein, | |
nicht beim Fliegen. Hier gilt mir, Jahrgang 1957, immer noch, dass es zu | |
viele Orte auf der Welt gibt, die ich sehen möchte, die aber nicht mit der | |
Bahn oder zu Fuß erreicht werden können. Mir ist es kulturell wie | |
eingeschrieben, in die Welt rauszugehen, zu gucken, was hinterm Horizont so | |
los ist. Bloß provinziell bleiben, sich in Bescheidenheit üben? Nö! Tel | |
Aviv, Cork, Odessa, Tiflis oder Bilbao, Kanada, Oman, Uruguay, vielleicht | |
die Südstaaten der USA (Kentucky!) – das wären Ziele, die ohne Flugzeuge zu | |
erreichen zeitrealistischerweise nicht möglich wäre. Reisen ist doch kein | |
religiöser Pilgerweg, sondern ein Stream in andere, von Menschen | |
erschaffene Wirklichkeiten. Fliegen auf kürzeren Etappen – keine Lust. | |
Selbst Wien – von Berlin aus – oder Saarbrücken: kein Problem mit Bahnen | |
und bloß nicht mit dem Auto (ist ja nur Stress!). Aber die Welt weiter zu | |
erkunden, meine Welt, das geht nicht ohne Fliegen. Nur in der eigenen Hood | |
bleiben? Also bitte, wie abwegig ist das denn? | |
Jan Feddersen, Redakteur für besondere Aufgaben | |
## Luxus genießen: Ski fahren | |
Ja, ich weiß, Skifahren ist schlecht für die Umwelt und das Klima. | |
Seilbahnen und Schneekanonen blasen CO2 in die Luft. Die Beschneiung | |
ruiniert den Wasserhaushalt ganzer Ökosysteme. Abseits der Pisten störe ich | |
Tiere bei der Winterruhe. Trotzdem fahre ich immer noch Ski. Ich rede mir | |
dann ein, dass das ja alles nicht so schlimm ist, weil durchschnittlich 75 | |
Prozent der CO2-Emissionen beim Skitourismus durch die meist lange Anreise | |
der Touristen mit dem Auto entstehen – da ich in Innsbruck lebe, fahre ich | |
einfach mit dem Bus. Außerdem gibt es die Skigebiete schon, weswegen ich | |
nichts kaputt mache, das nicht schon kaputt ist. Aber wenn ich ehrlich bin, | |
fahre ich Ski, weil es geil ist und ich es ohne großen Aufwand kann. Hier | |
in Innsbruck habe ich den Luxus, auch außerhalb der Ferienzeiten über leere | |
Pisten zu carven, mich an unverspurten Tiefschneehängen zu erfreuen oder | |
mit den Tourenski einen verschneiten Gipfel zu besteigen. Solange ich hier | |
lebe, will ich den auch genießen. | |
Denis Pscheidl, Ex-Praktikant, jetzt Redakteur bei der target-Group in | |
Innsbruck | |
## Tausend Gründe: Schweinsbraten essen | |
Weil ich schon immer gerne einen gegessen habe. Weil das früher einfach | |
normal war. Weil ich noch nie Avantgarde gewesen bin. Weil sich nichts so | |
schön anhört wie das Geräusch, das entsteht, wenn die Zähne die Kruste | |
zermalmen. Überhaupt die Kruste! Weil ein Knödel alleine ja auch nicht die | |
Lösung ist. Weil ich sonst gar nicht so bin und auch mal einen Salat esse. | |
Weil der Krautsalat, der meistens dabei ist, zum Niederknien sein kann. | |
Weil ich aus Bayern bin und gar nicht anders kann. Weil es sich um ein | |
Kulturgut handelt. Weil ich meine Herzprobleme mittlerweile eigentlich im | |
Griff habe. Weil ich nicht alleine bin und es anderen auch gut schmeckt. | |
Weil man im Lokal meistens zwei dicke Scheiben für relativ wenig Geld | |
bekommt. Weil ich einen guthabe, nachdem ich in diesem Sommer dann doch | |
nicht nach Marokko geflogen bin. Weil ich mich nicht rechtfertigen möchte. | |
Es gibt viele Gründe, Schweinsbraten zu essen. Ob sie wirklich gut sind, | |
weiß ich nicht. | |
Andreas Rüttenauer, Sportredakteur | |
## Einfach geil: Cabrio driften | |
Der Zündschlüssel steckt, die Fahrbahn ist frei. Ich trete aufs Gas und | |
atme aus. Denke daran, wie wir als Kinder noch Autoscooter gefahren waren – | |
immer und immer wieder. Später – als irgendjemand von uns schon 18 war – | |
drifteten wir auf dem Parkplatz von Kaufland, bis uns schlecht wurde. | |
Schließlich war’s um mich geschehen. Klar, ich besitze natürlich kein Auto | |
und so, das wäre ja peinlich in der woken Berliner Bubble. Ein Tempolimit | |
wäre auch nur vernünftig, das weiß ich. Und parken kann man hier ja auch | |
nirgends. Überall nur Einbahnstraße, Sackgassen und Kopfsteinpflaster. Die | |
genau das verhindern, weswegen ich dieses Fahrzeug aus Blech und Abgasen so | |
liebe: das Schnellfahren. Die kurze Illusion von Freiheit und Fahrtwind im | |
Haar. Herzpochen, weil man perfekt um die Kurve fegt. Jetzt und hier, | |
einmal im Jahr weit weg von allem, auf den staubigen Straßen Spaniens. Hier | |
ist das doch okay. Okay, dass ich das Gaspedal etwas stärker durchdrücke, | |
als die Straßenschilder es erlauben. Ich weiß, es gibt keine | |
Rechtfertigung, außer, dass es sich auf eine hedonistische Art einfach geil | |
anfühlt. Der Staub wirbelt an meinen Seiten hoch und ich fühle mich ein | |
kleines bisschen wie bei „Mad Max“. Mit allen negativen Folgen wie | |
Wasserknappheit, Dürre, Untergang, die der Film anspricht und die ganz | |
schleichend auch bei uns immer präsenter werden. | |
Ruth Fuentes, Volontärin | |
## Ritual: Vollbaden | |
Ich habe dieses Ritual: vorm Schlafengehen duschen. Nicht kurz und kalt, | |
wie Robert Habeck, sondern richtig lange und richtig heiß. Im Winter | |
ersetze ich die lange heiße Dusche auch gerne durch ein Vollbad. Bei dem | |
ich immer wieder heißes Wasser nachfülle. Geht natürlich gar nicht. Bis | |
jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber spätestens mit der nächsten | |
Erhöhung der Gaspreise im Oktober wird das richtig teuer. Und deswegen | |
dachte ich, es sei günstig, schon im Sommer mit der Umgewöhnung zu | |
beginnen. Ich dusche also nur noch zweimal pro Woche, kurz und lauwarm. | |
Beim Baden (seit Juli drei Mal) lasse ich weniger als die Hälfte der Wanne | |
voll Wasser. Wir haben die Waschlappen rehabilitiert. Richtig unangenehm | |
wird es wohl erst, wenn wir ab Oktober das Bad nicht mehr heizen. | |
Gaby Coldewey, Auslandsredaktion | |
## Entstressen: Mit Frischhaltefolie einpacken | |
Diese Ignoranten! Ignorant:innen natürlich. Wobei in den fettesten Autos | |
eben doch meist Personen sitzen, die ich als männlich lese. Jetzt kommt | |
schon wieder das Röhren von so einem motorisierten Monstrum durchs | |
Küchenfenster, das wahrscheinlich gerade ein paar Fahrradfahrer:innen | |
bleibende Traumata verpasst und dabei zusammen mit einer großen Wolke | |
Gestank ein paar Kilo CO2 in die Luft pustet. Ich versuche, eine Schale | |
übrig gebliebene Knoblauch-Mayo mit einem wiederverwendbaren Wachstuch | |
abzudecken, und fühle mich ein bisschen überlegen. Und total genervt. Erst | |
von dem Auto. Dann von mir: Vielleicht sitzt jemand in dem Fahrzeug, der | |
aus körperlichen Gründen nicht Fahrrad fahren kann und mangels Fahrstuhl an | |
der nächsten Station auch am U-Bahn-Fahren gehindert wird? Aber das | |
Allernervigste ist in dieser Sekunde, dass die bescheuerten Wachstücher | |
sich zwar latent klebrig anfühlen, aber trotzdem an nichts haften bleiben. | |
Wussten Sie, dass für eine Tonne Einwegplastik fünf Tonnen CO2 anfallen? | |
Aber wissen Sie was? Ich kaufe wieder Frischhaltefolie, in all ihrer | |
unökologischen Transparenz. Sich wegen jeder alltäglichen Kleinigkeit | |
Stress zu machen, erschöpft – und verleitet auch noch dazu, sich über die | |
Menschen um einen herum zu ärgern. Aber ein Angebot: Wenn die Politik sich | |
um die großen Klimaschutz-Baustellen gekümmert hat, ärgere ich mich auch | |
wieder mit Wachstüchern und ähnlichem Firlefanz herum. | |
Susanne Schwarz, Klima-Redakteurin | |
## Kulinarische Kompensation: Einmalfresspakete | |
Ich kompensiere beim Flugverkehr. Aber nicht ökologisch und nicht durch | |
Zahlung an Atmosfair. Ich kompensiere die Flüge. Mein Nichtmehrfliegen | |
ersetze ich durch den gelegentlichen Kauf von Flugzeugessen. Auslöser war | |
die Pandemie. In Würselen bei Aachen produziert einer der größten Caterer | |
deutschlandweit: 150.000 Essen für 40 internationale Airlines am Tag. Dann | |
kam der Lockdown. Nix flog mehr. Die Tiefkühllager quollen über. Also | |
machten sie einen Outletshop in Aachens City auf. Die Flieger-Essen für | |
Nichtflieger kosten 10 Euro für vier Stück. Weltreisen sind jetzt zu Hause | |
möglich, überraschend lecker statt igitt, denn auf dem Boden schmeckt alles | |
deutlich würziger. Und ich habe die Fantasie vom Fernreisen, mal indisch | |
oder thai, mal arabisch. Einmal war ich auch mit Freunden in der | |
Business-Class-Variante (7 Euro pro Essen) mit dem zarten Steak für | |
American Airlines unterwegs. Aber es bleibt Umweltfrevel. Die | |
Einmalfresspakete in den Menüschalen aus dickem Alu, dazu reichlich | |
Plastikfolie füllen flugs den Gelben Sack. Müsste mal jemand ausrechnen, | |
was pro Luftmenü für die Kompensation der Kompensation zu zahlen wäre. | |
Airfoodfair – ran! | |
Bernd Müllender, Autor | |
## Günstig und praktisch: Uraltverbrenner teilen | |
Auf dem Dach wächst Moos, in den Ablagen und Ritzen krümeln sich Keksreste, | |
Papierschnipsel und welke Blätter, an der linken Flanke des inzwischen 21 | |
Jahre alten 7-Sitzers prangt eine gar nicht so kleine Beule. Er ist echt in | |
vielerlei Hinsicht dreckig, aber die inzwischen drei Familien, die den Opel | |
nutzen, nennen sich selbstzufrieden wie auch nicht ganz untrotzig | |
„Zafiristen“. Trotz fast 150.000 Kilometern auf dem Buckel hat der | |
Diesel-Oldie ja auch noch nie schlappgemacht. Tatsächlich rostet er auch | |
die meiste Zeit ungenutzt am Straßenrand vor sich hin. Sonst brauchen wir | |
ihn halt für Besuche bei Ikea, die Frühschicht, den Seepferdchenkurs des | |
5-Jährigen oder für Kinderreiturlaube an der Ostsee. Alle sind sich einig: | |
Für Klima und Umwelt wäre natürlich gar kein Auto besser. Aber: Es ist | |
günstig und praktisch, ein neues (Elektro-)Auto wäre insgesamt viiiiel | |
weniger nachhaltig. Noch haben wir TÜV bis März '23. Tscha, vielleicht | |
müssen wir dann auf Mietkisten umsteigen. | |
Bernhard Pötter, Klimakorrespondent; Kai Schöneberg, Ressortleiter | |
Wirtschaft und Umwelt | |
## Aus Leidenschaft: Schnell Auto fahren | |
Wenn das Licht im Flur oder in der Küche zu lange an bleibt, wird | |
geschimpft. Wenn mein Mann sich jeden Morgen eine lange Dusche gönnt, wird | |
er angemeckert. Aber wenn die Winterferien näher rücken, bleiben die 4 bis | |
5 Tage Skifahren an der tschechisch-polnischen Grenze gesetzt – | |
selbstverständlich mit dem eigenen Auto. Und eine meiner größten | |
Leidenschaften am Steuer ist das Rasen: Beim letzten Familienbesuch in NRW | |
deutlich unter 5 Stunden: Rekord! Schnelligkeit gehört zu einer | |
Themenchefin. Zwecks Vermeidung eines Kulturschocks essen wir, bevor wir | |
die Großeltern in Spanien besuchen, mindestens zweimal in der Woche | |
Fleisch. Zusammenhänge sichtbar zu machen ist eben auch eine wichtige | |
Aufgabe der Themenchefin. | |
Gemma Terés Arilla, Themen- und Nachrichtenchefin | |
23 Sep 2022 | |
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