# taz.de -- Hamburgs Linke in der Krise: „Auch mal die Klappe halten“ | |
> Die Hamburger Linke wählt am Wochenende eine neue Spitze. Sabine Ritter | |
> und Thomas Iwan erklären, wie sie die Partei als Führungsduo einen | |
> wollen. | |
Bild: Fordern mehr Solidarität unter den Hamburger Genoss:innen ein: Thomas Iw… | |
taz: Frau Ritter, Herr Iwan, Sie wollen am Wochenende zu den beiden | |
[1][LandessprecherInnen der Hamburger Linkspartei] gewählt werden. Warum | |
wollen Sie sich das antun? | |
Thomas Iwan: Das klingt so, als würden wir uns zu niederen Arbeiten | |
herablassen, aber das sehe ich so nicht. [2][Es gibt Konflikte im | |
Landesverband], aber das motiviert mich eher. Ich glaube, dass es nicht | |
viel braucht, um besser dazustehen und um aktiver und progressiver als | |
Linke in Hamburg hörbar zu werden. | |
Geht das an die scheidenden LandessprecherInnen Żaklin Nastić und | |
[3][Keyvan Taheri]? | |
Iwan: Die Arbeit des amtierenden Vorstands wird auf dem Parteitag am | |
Wochenende breit diskutiert. Das will ich nicht vorwegnehmen. | |
Sabine Ritter: Dem schließe ich mich an. Aber die Situation, in der Die | |
Linke insgesamt und auch in Hamburg steckt, hat etwas ungeheuer | |
Provokantes. Viele halten es gleichzeitig für nötig, dass es eine starke | |
gesellschaftliche Linke gibt und dass es dafür auch eine Partei braucht, | |
die parlamentarisch wie außerparlamentarisch wirken kann. Auch ich halte | |
das für verdammt wichtig und ich habe große Lust, dabei zu helfen, dass Die | |
Linke, dieser bunte und kreative Haufen, gute Politik machen kann. | |
Auch in Hamburg ist Die Linke schon seit einiger Zeit zerstritten. Wie | |
wollen Sie für mehr Einigkeit sorgen? | |
Ritter: Die Linke ist zerstritten, aber im Landesverband gibt es auch eine | |
gewaltige Schnittmenge an Übereinstimmungen. | |
Iwan: Ja, manchmal frage ich mich, was uns eigentlich noch zusammenhält. | |
Die Kunst wird sein, diese Gemeinsamkeiten zu finden und mit ihnen nach | |
draußen zu gehen. Da, wo es keine Einigkeit gibt, wünsche ich mir | |
andererseits, dass wir mit einem Mindestmaß an Solidarität und Höflichkeit | |
diese Themen untereinander ausstreiten. | |
Das hat zuletzt selten geklappt. | |
Iwan: Man muss akzeptieren können, dass Beschlüsse, die zuvor breit | |
diskutiert wurden, dann auch gelten – auch wenn man sie nicht gänzlich | |
teilt. Manche täten sich auch selbst einen Gefallen, dann auch mal die | |
Klappe zu halten. | |
Es gibt noch immer parteiintern Vorwürfe, dass etwa Strömungen einen | |
„sektenartigem Charakter“ hätten … | |
Ritter: Wenn irgendwo innerhalb der Linken tatsächlich „sektenartige | |
Strukturen“ herrschen, ist die Grenze erreicht. Da bin ich nicht gewillt, | |
diese Teile noch in der Parteiarbeit einzubinden. Allen anderen wollen wir | |
als LandessprecherInnen das Angebot machen, zusammen zu streiten und am | |
Ende gemeinsam linke Politik voranzubringen. | |
Liegen die verschiedenen Strömungen und Flügel der Partei aber nicht auch | |
inhaltlich viel zu weit auseinander? | |
Ritter: Thomas und ich wurden aus unterschiedlichen Ecken der Partei | |
gefragt, ob wir nicht dieses Amt übernehmen wollen, und auch wir haben in | |
vielen Fragen unterschiedliche Ansichten, aber diskutieren das in großer | |
Solidarität miteinander aus. Es gibt den gemeinsamen Nenner, unabhängig der | |
vielen unterschiedlichen Positionen: Wir wollen ins Tun kommen und Politik | |
für die vielen machen. | |
Fällt es Ihnen schwer, den russischen Angriff auf die Ukraine zu | |
verurteilen? | |
Ritter: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. | |
Beim vergangenen Landesparteitag im Frühjahr fand sich für diese | |
Verurteilung keine Mehrheit, stattdessen meinte die Partei, | |
„Kriegsvorbereitungen von USA und Nato gegen China und Russland“ | |
entgegentreten zu müssen. | |
Iwan: Dieser Parteitag war für mich ein Tiefpunkt. Dass es nicht geklappt | |
hat, den russischen Angriffskrieg unmissverständlich und in Gänze | |
abzulehnen, hat mich traurig und wütend gemacht. Ich bin mir jedoch sicher, | |
dass die große Mehrheit der Hamburger Genoss:innen eine ganz andere | |
Ansicht hat als das, was am Ende beim Parteitag rauskam. Und das war auch | |
ein Grund, warum sich seither viele Mitglieder aus unterschiedlichen | |
Strömungen zusammengesetzt haben und gesagt haben: Wir können es besser. | |
Landessprecher Taheri hatte zuletzt öffentlich Vorwürfe erhoben, er sei im | |
Vorstand rassistisch beleidigt worden – wie wollen Sie mit solchen | |
Vorwürfen künftig umgehen? | |
Ritter: Wir nehmen das außerordentlich ernst: Eine der ersten Aufgaben des | |
künftigen Landesvorstands muss sein, dass der Landesverband | |
Awareness-Strukturen schafft und eine Beschwerdestelle einrichtet, die | |
professionell und extern besetzt ist. Jegliche Form von diskriminierender | |
Ausgrenzung ist absolut inakzeptabel. Es muss für Mitglieder, die so | |
angegangen werden, künftig eine Stelle geben, an die man sich wenden kann | |
und wo wirksame Maßnahmen getroffen werden. | |
Iwan: Ich bin weißer Akademikersohn, ich bin mehrfach privilegiert und | |
fürchte, dass ich manche Dinge vielleicht nicht so wahrnehme, wie es | |
Betroffene tun. Und auch deswegen ist diese Stelle so wichtig, denn auch | |
bei allem guten Willen ist es möglich, dass man aufgrund seiner | |
Sozialisation bestimmte blinde Stellen hat. Wichtig ist, dass diese | |
Kommission dann auch nicht zahnlos ist. Sie muss in die Lage versetzt | |
werden, in solchen Fällen den Landesvorstand dann auch zum Handeln zu | |
zwingen. Es gibt andere linke Strukturen, die weiter sind als wir. | |
Hat die Linke in Hamburg ein Klassismus-Problem, wie der aus der | |
Bürgerschaftsfraktion ausgetretene Mehmet Yildiz behauptet? | |
Ritter: Ich bin zwar eine Frau, aber ansonsten ähnlich privilegiert wie | |
Thomas. Ich würde so einen Fall auch in eine externe Stelle geben wollen. | |
Was Mehmet beklagte, will ich ihm kein Stück absprechen – das ist sein | |
Erleben und wert, artikuliert zu werden. | |
Iwan: Es gibt auch in der Linken immer mal wieder Momente, in denen die | |
Sicht von Nicht-Akademiker:innen oder Sozialhilfeempfänger:innen | |
nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ich bin dann dankbar, wenn ich | |
darauf hingewiesen werde. Ich glaube, dass das bei uns nicht absichtlich | |
geschieht, aber das heißt nicht, dass es nicht passiert. | |
Bundesweit steckt die Linke in der Krise. Bald wird in Niedersachsen | |
gewählt und erneut sieht es aus, als würde die Linke nicht in den Landtag | |
einziehen. Kann sich Hamburgs Linke vom Bundestrend abkoppeln? | |
Iwan: Der Eindruck der kompletten Zerstrittenheit schreckt Menschen ab und | |
ich kann es ihnen nicht verübeln. Dieses Bild zu überwinden, ist elementar, | |
das ist uns in der Vergangenheit in Hamburg bereits gelungen. Wichtiger als | |
Wechselwähler:innen zu überzeugen ist jedoch, auf den riesigen Anteil | |
Nichtwähler:innen zuzugehen, die weder wir noch andere Parteien | |
erreichen. Mit unserem Programm wollen wir doch viele davon ansprechen und | |
wir müssen glaubhaft vermitteln, dass wir die Probleme Armutsbetroffener | |
wahrnehmen und uns für sie einsetzen. Da stehen wir in der Bringschuld und | |
müssen uns mehr bemühen. | |
Ritter: Wir müssen mit den Maßnahmen gegen Armut, Inflation und steigende | |
Mieten, die wir vorschlagen, laut und vernehmbar werden. | |
Wie sehen Sie die Rolle der LandessprecherInnen gegenüber der in der | |
Öffentlichkeit sichtbareren Bürgerschaftsfraktion? | |
Iwan: Wer das Gesicht der Linken nach außen ist, ist mir vollkommen egal. | |
Wir müssen nach innen moderieren, organisieren und kommunizieren, um die | |
Politik der Linken voranzubringen. Die Fraktion wiederum wird von den | |
Hamburger:innen bezahlt, um parlamentarische Initiativen zu starten | |
und dem rot-grünen Senat auf die Finger zu schauen, was dringend notwendig | |
ist. Das ist die Arbeitsteilung. Aber natürlich gilt in der inhaltlichen | |
Positionierung: Partei vor Fraktion. | |
Ritter: Und genau dafür wollen wir künftig einen regelhaften Austausch mit | |
der Fraktion und den Fraktionsmitarbeiter:innen, weil dort eine große | |
Expertise zu den wichtigen Themen vorhanden ist. Gemeinsam können wir so | |
linke Politik in Hamburg weiterentwickeln. | |
Und zur Umsetzung dieser linken Politik wären Sie auch für eine | |
Regierungsbeteiligung? | |
Ritter: Das ist in Hamburg gegenwärtig eine Scheindebatte. Wir haben eine | |
SPD, die deutlich konservativer ist als in anderen Bundesländern. Und wir | |
haben Grüne, denen die SPD in der Koalition alle Zähne gezogen hat. Da legt | |
auf uns tatsächlich niemand Wert und deshalb sehe ich das in Hamburg noch | |
für eine ganze Weile nicht als Thema. Ich bin allerdings nicht prinzipiell | |
gegen Regierungsbeteiligung. Es gibt Beispiele, in denen es nicht gut | |
gelaufen ist. Aber dass etwa in Bremen die Linke mitregiert, ist eine gute | |
Sache, die machen wirksame Politik für die Menschen. | |
Iwan: Ich bin etwas pessimistischer. Ich halte die Grünen und die SPD in | |
Hamburg nicht für koalitionsfähig. Opposition ist kein Selbstzweck, aber | |
Regieren eben auch nicht: Was wir als linke Opposition in Hamburg | |
vorantreiben und wie wir den Senat von links unter Druck setzen, bringt in | |
der Sache mehr als eine Koalition mit SPD und Grünen, in der wir als | |
zahnloser Juniorpartner Kompromisse mittragen müssen, die wir eigentlich | |
nicht für tragbar halten. Als linke Opposition können wir mehr für die | |
Menschen tun. | |
7 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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