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# taz.de -- Neuer Heimatunterricht in Russland: Gehirnwäsche ab der ersten Kla…
> Zum neuen Schuljahr nehmen die Propagandisten im Kreml die Jüngsten ins
> Visier: mit einem neuen, patriotischen Schulfach. Kritik ist unerwünscht.
Bild: „Spannend, die russische Fahne wird gehisst!“, Russische Grundschulki…
Moskau taz | Die russische Trikolore im Hof der Schule Nummer 56 im
Moskauer Westen, sie flattert noch am Nachmittag im kühlen Herbstwind. Am
Morgen hatte sie ein Elftklässler hier hochgezogen, begleitet von der
russischen Hymne. Es ist Schulanfang in Russland. Die Mädchen haben weiße
Schleifen im Haar, die Jungen tragen Anzug samt Fliege, und alle
überreichen sie ihren Lehrer*innen Blumen.
Flaggenhissen und Hymnehören ist seit diesem 1. September wieder Pflicht an
jeder staatlichen Schule im Land, wie es in der Sowjetunion war. Russlands
Präsident Wladimir Putin hatte sich dafür ausgesprochen, jede Schulwoche
damit beginnen zu lassen. Den Kindern müsse schließlich die [1][Liebe zum
Vaterland vermittelt] werden.
Das tut das Land nun mittels Geschichtsunterricht ab der ersten Klasse und
Gesprächen über die „Richtigkeit“ der „militärischen Spezialoperation�…
Russland den Krieg in der Ukraine offiziell nennt.
„Ideologische Erziehungsarbeit“ wird, wie bereits zu Sowjetzeiten, wieder
Teil der schulischen Bildung. Laut Umfragen sind es vor allem junge
Menschen, die das Handeln ihrer Regierung infrage stellen, die auch den
Krieg in ihrem Nachbarland verurteilen. Der Kreml will offenbar so früh wie
möglich gegen solche Umtriebe ansetzen. Das Aufklärungsministerium, wie das
russische Bildungsministerium heißt, stellt allen Schuldirektor*innen
dafür Erziehungsberater*innen zur Seite.
## Emotionen sind wichtig, Kritik nicht erwünscht
Die wenigsten Eltern im Land stören sich an Flagge und Hymne. Viele nehmen
die Neuerung als nostalgische Erinnerung an ihre eigene Schulzeit wahr,
erzählen, wie sie einst bei der sogenannten „Lineika“, wie der feierliche
Appell vor dem Beginn des Unterrichts bis heute heißt, selbst nach vorn
getreten seien, um voller Aufregung an der Kurbel der Fahnenstange zu
drehen. Nun zögen eben ihre eigenen Kinder die Flagge hoch, sagen sie, was
sei schon dabei?
Bei der Fahne allein aber bleibt es nicht. Ab kommendem Montag beginnen die
sogenannten „Gespräche über Wichtiges“. Eine Art Klassenstunde, damit die
Kinder begriffen, was „Heimat“ sei. Das erste „Gespräch“ führte gleic…
Einschulungstag der Präsident höchstpersönlich.
[2][In Kaliningrad], der russischen Enklave an der Ostsee, legte Putin vor
Sieger*innen schulischer Wettbewerbe seine Sicht auf die Geschichte dar:
von einem stets von außen bedrohten Russland, das sich immer zu wehren
wisse. Kritische Anmerkungen waren nicht gestattet, wie Kritik an der
offiziellen Geschichtsschreibung ohnehin nicht erlaubt ist im Land.
In Handbüchern des Ministeriums finden Lehrer*innen seit wenigen Tagen
vorbereitete Anleitungen – mit Fragen für sie und möglichen Antworten ihrer
Schüler*innen. Jede Woche ist einem anderen Thema gewidmet: „Russland ist
unser Land“, „Traditionelle Familienwerte“, „Einheit des Volkes“. Jede
Klasse soll über Heimat diskutieren, „Emotionen sind dabei wichtig“, steht
im Handbuch. Die „Diskussion“ aber dürfte, sieht man sich die sehr genauen
Vorgaben des Ministeriums an, einseitig ablaufen.
## Ein Handbuch für Lehrer*innen
Für Erst- und Zweitklässler*innen steht im Rahmen der „Russland ist
unsere Heimat“-Stunde das Lernen des sowjetischen Liedes „Womit fängt die
Heimat an?“ im Vordergrund. „Die Kinder sollen mit dem Stolz auf ihr
Vaterland“ aus der Stunde herauskommen, heißt es in der Anweisung an die
Pädagog*innen.
Dritt- und Viertklässler*innen sollen Sprichwörter zur Heimat sammeln.
Als Beispiele werden solche Sätze wie „Das Glück der Heimat ist teurer als
das eigene Leben“ oder „Für die Mutterheimat zu sterben macht keine Angst�…
genannt. Am Ende der Stunde gilt es, einen Aufsatz zum Thema „Wie dient ihr
der Heimat?“ zu schreiben. „Ein Tipp:,dienen' bedeutet, seine militärisc…
Pflicht zu erfüllen oder sich im Namen eines anderen einer Sache zu
unterwerfen“, steht im Handbuch.
Ab Klasse fünf sollen die Schüler*innen die „Ziele der Spezialoperation
begreifen“, sollen wissen, dass „DNR und LNR“, die selbsternannten
[3][Volksrepubliken im Donbass], „Russland“ und „Russische Soldaten Helde…
seien. Videos, Spiele und Lieder stellt das Ministerium, damit der
Unterricht interaktiver wird. 22 Millionen Rubel (umgerechnet etwa 360.000
Euro) gibt der Staat für das Programm aus.
## Keine Orte des Dialogs
Die russische Psychologin Ljudmila Petranowskaja sieht in den „Gesprächen“
einen „Versuch, die Gesellschaft in die vom Kreml gewollte Richtung zu
beeinflussen. Russische Staatsschulen sind keine Orte des Dialogs“.
In Whatsapp-Gruppen und Telegram-Chats tauschen sich derweil manche Eltern
über Strategien aus, wie ihre Kinder den patriotischen Unterricht umgehen
könnten. „Ist Schwänzen o.k.?“, fragt eine Mutter.
Eine Moskauer Lehrerin, die Julia genannt werden will, erzählt davon, wie
sie der „aufgezwungenen Gehirnwäsche“, wie sie die Klassenstunden nennt,
entkommen will. „Ich könnte mit den Schülern Tee trinken und über das
sprechen, was sie gerade bewegt. Aber irgendwann will die Direktorin einen
Bericht sehen. Ich bringe es nicht übers Herz, meinen Schülern davon zu
erzählen, dass russische Soldaten Helden sind.“
Ihre Option: kündigen. „Aber so viele Privatschulen gibt es gar nicht in
unserem Land, um uns nicht einverstandene Lehrer alle aufnehmen zu können.“
2 Sep 2022
## LINKS
[1] /Der-Krieg-und-Russlands-Gesellschaft/!5873511
[2] /Kaliningrads-Sehnsucht-nach-Europa/!5595197
[3] https://www.dw.com/de/donezk-und-luhansk-chronik-einer-schleichenden-besatz…
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
Propaganda
Kindererziehung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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