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# taz.de -- Haushaltshilfen in Jordanien: Die Unsichtbaren
> Dienstmädchen in Jordanien werden oft ausgebeutet, das Haus dürfen sie
> nicht verlassen. Die Zahlen unnatürlicher Todesfälle häufen sich.
Bild: Keine der betroffenen Frauen wollte sich fotografieren lassen oder mit Na…
Für Sara war es ein Kratzer am Finger. Der Tag, an dem sie nicht mehr
konnte, war eigentlich wie viele andere davor verlaufen. Sie hatte fünf
Stunden geschlafen, war um vier Uhr aufgestanden, hatte das Haus sauber
gemacht, ihre Arbeitgeberin, die Madame, hatte mit ihr geschimpft, weil sie
nicht zufrieden war, jetzt aber solle sie bitte den blauen Verbandskasten
reinigen.
Da war es passiert. Ein Schnitt am Finger, durch eine scharfe Kante. „Dumm“
sei sie, soll die Madame gesagt und ihr einen Tritt verpasst haben. Eine
kleine Wunde, die aber nicht verheilte. Sara wartete in ihrem Zimmer
vergeblich auf Medikamente.
An diesem Abend beschloss das Dienstmädchen Sara zu fliehen. So erzählt sie
es heute. Sara, die eigentlich anders heißt, ist eine zierliche Frau, klein
und dünn. 27 Jahre alt, drei Kinder, zehn, elf und vier Jahre die jüngste,
sie selbst sieht noch ein bisschen wie ein Kind aus in ihrem
pastellfarbenen Kleid und einer grünen Schleife in den schwarzen Haaren.
Sara hat wenig Chancen, ihren Kindern ein gutes Leben anzubieten, ohne sich
von ihnen zu trennen. Ihre Heimat liegt in den Philippinen, auf der
zweitgrößten Insel Mindanao, einem tropischen Paradies aus unberührter
Natur, Wasserfällen und weißen Stränden mit kristallklarem Wasser. Ein Ort,
den viele Touristen träumen zu erreichen – und viele Einheimische zu
verlassen, nicht zuletzt wegen der Gewalt und der Armut.
Jetzt sitzt Sara in einem Restaurant in Amman, Jordanien, das
philippinische Gerichte anbietet. Freitags ist es gut besucht, meistens von
Hausangestellten, die ihren freien Tag genießen. Sie lehnen sich über die
Holztische, essen frittierte Tilapias, die sie mit den Fingern zerkleinern,
gekochten Reis und Süßkartoffeln mit grünen Bohnen in süß-saurer Sauce,
knabbern an grünen Chillies, schwatzen auf Tagalog, der am weitesten
verbreiteten Sprache in ihrer Heimat. Ein Geruch von gebratenem Fisch hängt
mit dem Stimmengewirr im Raum.
Fragt man eine Gruppe von drei, vier Frauen, findet sich fast immer eine,
die Probleme hatte, vielleicht geflohen ist, sich vielleicht überlegt zu
fliehen. Die meisten wollen nicht reden, zu groß ist die Angst, dass
Arbeitgeber*innen oder die Polizei sie erkennen.
## Ein System der Ausbeutung
Eine der Ursachen für die Angst trägt den Namen Kafala und bezeichnet ein
im arabischen Raum weit verbreitetes Bürgschaftssystem. Gesetzlich
existiert in Jordanien kein Kafala-System, und doch ist es allgegenwärtig.
In der Praxis bedeutet dies, dass Hausangestellte bis zum Ende ihres
Vertrags, das sind in der Regel zwei Jahre, bei ihrem Arbeitgeber zu
verbleiben haben, der für sie verantwortlich ist. Wer als Dienstmädchen mit
einer Agentur nach Jordanien kommt, hat drei Monate Zeit, um einen Wechsel
zu fordern, dann soll es in der für sie ausgewählten Familie arbeiten. Es
sei denn, der Arbeitgeber stimmt einem Wechsel zu. Ist es unerlaubt
abwesend, darf er es bei der Polizei melden und in Haft nehmen lassen.
Etwa 54.000 Frauen arbeiten in Jordanien als Dienstmädchen. Viele kommen
aus Äthiopien, den Philippinen, Bangladesch. Sie kümmern sich um den
Haushalt der Familien, die sich das leisten können, zwei-, dreitausend
Dinar – umgerechnet etwa 2.700 bis 4.000 Euro – zu investieren, um sie aus
ihren Heimatländern einzufliegen. Sie pflegen die Kranken, babysitten deren
Kinder, während die eigenen in der Heimat zurückbleiben.
Sara löffelt gerade in ihrem Halo-halo, einer Süßspeise aus Kokos- und
Kondensmilch, Eis, Obst und Wackelpudding. „Es war verboten, Essen ohne
Erlaubnis zu nehmen. Und das Essen, das ich bekam, war für mich nicht
genug. Ich bin dünn“, sagt sie und zeigt ihr schmales Handgelenk. Als sie
weglief, blieb ihr Reisepass bei der Madame. Inzwischen hat Sara einen
neuen Arbeitgeber, aber keine Arbeitserlaubnis. Wenn sie abends nach Hause
geht und ihr ein Polizist über den Weg läuft, wird sie blass. Es ist ein
Leben im Schatten, ein ständiges Versteckspiel.
Sie nimmt ihr Handy und zeigt Bilder auf Whatsapp: Ein Mädchen mit
schwarzen Haaren lächelt auf dem Schoß einer Dame, eine junge Frau in Talar
hält auf einem roten Teppich eine Medaille vor die Kamera. „Meine Tochter
und meine Mutter bei der Abschlussfeier meiner Schwester“, sagt sie. Noch
weiß Sara nicht, wann sie sie wieder umarmen wird, wann sie wieder nach
Hause kommt. Ohne Papiere kann sie das Land nicht verlassen – es sei denn,
sie lässt sich abschieben. Für sie ist dies keine Option.
Es gibt in Jordanien, ja im ganzen Nahen Osten, viele Geschichten wie die
von Sara. Einige sind besser, andere schlimmer. Manchmal geht es um
unbezahlte Löhne, zu lange Arbeitszeiten, keine freien Tage, manchmal aber
auch um Misshandlungen, sexuelle Belästigung, Freiheitsberaubung. Und
teilweise fliehen die Menschen einfach nur, um einen besseren Job zu
finden.
## Die hohen Hürden einer Beschwerde
Arbeitsrechtsverletzungen können in Jordanien bei der Polizei oder dem
Ministerium angezeigt werden. Werden sie nachgewiesen, darf die
Haushaltshilfe ihren Vertrag auflösen. Doch so einfach ist es nicht, sagen
die Experten. „Wie können wir erwarten, dass die Hausangestellte eine
Beschwerde einreicht, wenn sie zum Beispiel das Haus nicht verlassen
darf?“, fragt Suha Labadi, Landeskoordinatorin bei der Internationalen
Arbeitsorganisation ([1][ILO]), während sie in ihrem Büro im Westen Ammans
sitzt. „Sie sind im Haus, sie wissen nicht, wie sie eine Beschwerde
einreichen können“, erläutert Linda Al-Kalash, Geschäftsführerin der
Rechtshilfeorganisation [2][Tamkeen] for Legal Aid and Human Rights.
Tamkeen hat von 2021 bis Mitte dieses Jahres 461 entsprechende Beschwerden
erhalten. Die meisten erfolgten wegen eines Passentzugs, nicht bezahlten
Löhnen und zu langen Arbeitszeiten. 2020 hat die jordanische Abteilung für
Haushilfe-Inspektionen 439 Meldungen bekommen, 22 davon gingen an die
Anti-Menschenhandel-Einheit. Das Arbeitsministerium bekam im Folgejahr 53
Beschwerden von Hausangestellten und 405 von Arbeitgeber*innen.
Das mögen relativ kleine Zahlen sein. Viele Frauen finden aber kaum Zugang
zu den Behörden. Andere gehen nicht zur Polizei, sondern rennen vor ihr
weg. Aus Unwissenheit über ihre Rechte, aber auch aus Angst, festgenommen
und abgeschoben zu werden. Die Dunkelziffer der tatsächlichen Vorfälle
könnte daher hoch sein.
Wer über dieses Thema recherchiert, steht gleich vor mehreren Grenzen.
Denn: Wenn Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch passiert, dann geschieht dies
hinter gut verschlossenen Türen. Der Quellenschutz hindert daran,
Ex-Arbeitgeber*innen und Agenturen mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Was
bleibt, sind Stimmen. Die taz hat mit zwölf Frauen gesprochen, die als
Dienstmädchen nach Jordanien gekommen sind, vier Organisationen
angesprochen, zwei Vermittlungsagenturen und einen Arbeitgeber interviewt.
Selbst wenn wir deren Darstellungen nicht unabhängig überprüfen können,
stimmen sie zum größten Teil doch mit den Erfahrungen und Berichten von
Menschenrechtsorganisationen überein.
Denn es gibt neben den Stimmen auch Studien, Reports und Schlagzeilen.
„Verweste Leiche einer Haushaltshilfe in Fähre nahe dem Toten Meer
gefunden“ titelte am 11. Juli 2020 Roya News, die Webseite des privaten
Fernsehsenders [3][Roya TV], dann am 9. November desselben Jahres:
„Hausangestellte im Müllwagen erdrückt“, oder am 22. Juni des nächsten
Jahres: „Behörden entdecken Leiche von Hausangestellter in Abdoun“, einem
Stadtviertel von Amman.
## Überdurchschnittlich viele unnatürliche Todesfälle
Laut einer jüngsten Studie von Forschern der medizinischen Fakultät an der
[4][University of Jordan] ist der Anteil an unnatürlichen Todesfällen –
Suizid, Tötung und Unfall – unter ausländischen Haushaltshilfen deutlich
höher als in der Gesamtbevölkerung. Einmal liegt er bei 75 Prozent, im
anderen Fall bei 23 Prozent aller Fälle, die zum selben Zeitraum in die
forensische Abteilung des untersuchten Krankenhauses eingeliefert wurden.
63 Sterbefälle haben die Forscher über einen Zeitraum von zehn Jahren
analysiert.
Und: Auch unter den eines natürlichen Todes Verstorbenen fanden sich
gehäuft medizinische Ursachen, die leicht vermeidbar gewesen wären. „In
unserem modernen Gesundheitssystem sollten Menschen nicht an
Blinddarmdurchbruch oder Dehydrierung sterben“, sagt Majd Al-Soleiti, der
Co-Autor der Studie.
Mehr als die Hälfte der Sterbefälle beruhten der offiziellen Statistik
zufolge auf Suiziden. Doch daran bestehen Zweifel. „Nach der Meinung von
Gerichtsmedizinern waren die polizeilichen Ermittlungen nicht gründlich
genug“, sagt Al-Soleiti. Wird ein Tod als Suizid eingeordnet, ist der Fall
meistens rasch abgeschlossen. „Sie untersuchen nicht weiter, wieso es
geschehen ist“, bemängelt Al-Soleiti.
Die taz-Anfrage nach einer Stellungnahme an das Innenministerium blieb
unbeantwortet. Das Arbeitsministerium betont, das jordanische Gesetz
unterscheide nicht zwischen jordanischen und ausländischen
Arbeitnehmer*innen. Und die Anzahl von Suiziden unter Hausangestellten sei
sehr niedrig.
Unklar ist, wie viele Haushaltshilfen tatsächlich Rechtsverletzungen
erleben. Einige Experten schätzen, dass dies die meisten erfahren. Doch
selbst wenn es sich um eine Minderheit handelt, bleiben bei den Betroffenen
oft unsichtbare Narben fürs Leben.
## Die Geschichte von Dienstmädchen Ann
Ann, die vor 18 Jahren als Dienstmädchen nach Jordanien kam, wird heute
noch nervös, wenn jemand ihren vollen Namen ruft. Sie kennt die
Verzweiflung. Sieben Arbeitgeber hatte sie in den ersten zwei Jahren.
Einige waren gut. Andere weniger gut.
Einer ihrer Bosse, so erzählt sie, die ihren vollem Namen nicht
veröffentlicht sehen möchte, zeigte sich ihr gegenüber komplett nackt. Die
zweite Familie sperrte sie im Haus ein und ließ sie in der Abstellkammer
schlafen. Immer wieder hätten die Familienmitglieder laut nach ihr gerufen
und hätten sie auch gelegentlich geschlagen. Dazu sei die Einsamkeit
gekommen, niemand, mit dem sie hätte reden können, niemand, der auf ihrer
Seite gestanden hätte. Ann dachte daran, ihr Leben mit einem Sprung aus
einem Fenster zu beenden: „Ich dachte, hier werde ich sowieso langsam
sterben. Ich war so depressiv.“
Sie stieg, so erzählt sie, mit beiden Beinen auf den Fensterrahmen, hielt
sich mit einer Hand am oberen Rand fest und schloss die Augen. Unter ihr,
draußen, ein weißes Meer aus viereckigen Häusern auf dürrem Boden, so
anders als in ihrer Heimat. Dass Ann am Leben geblieben ist, verdankt sie
ihrer Familie. „Als ich im Fensterrahmen stand und die Augen schloss, habe
ich meine Geschwister gesehen, das Gesicht meines Opas, bei dem ich
aufgewachsen bin, der mich immer ermuntert hat, im Leben zu kämpfen. Dann
bin ich wieder ins Zimmer gestiegen.“
17 Jahre ist das jetzt her, aber die Erinnerung rührt sie immer noch zu
Tränen. Ann will sprechen, denn andere Hausangestellte sollen wissen, dass
sie mit ihren Problemen nicht alleine sind. Dass es Auswege gibt, selbst
wenn alles ausweglos erscheint. Heute hat Ann einen guten Job als
Kindermädchen, abends hilft sie ehrenamtlich Frauen, eine legale Lösung für
ihre Probleme zu finden.
## Ein weltweites Problem
Forscher Majd Al-Soleiti betont, dass das Problem von Hausangestellten
nicht an den Grenzen Jordaniens Halt macht: es sei ein [5][weltweites
Phänomen]. Nach Medienberichten starben etwa im Libanon 2017
durchschnittlich zwei Dienstmädchen in der Woche. Haushaltshilfen gehören
allgemein zu den vulnerablen Arbeitnehmer*innen. Jordanien gilt eigentlich
als Vorzeigeland, denn anders als in anderen arabischen Ländern werden
Hausangestellte seit 2009 vom Arbeitnehmergesetz in einer besonderen
Anordnung berücksichtigt. Sie haben Anspruch auf einen freien Tag, eine
60-Stunden-Arbeitswoche, Urlaub und Krankheitstage.
„Der rechtliche Rahmen ist der beste in der Region“, sagt
Tamkeen-Geschäftsführerin Linda Al-Kalash. Das Problem sei die Umsetzung.
Während wir reden, sitzt im Raum nebenan eine 29-jährige Frau aus Uganda,
Karo-Hemd und resignierter Blick, und drückt eine Plastiktüte an sich. Ein
Jahr und elf Monate habe sie unbezahlt gearbeitet, sagt sie, die Polizei
habe sie hierher gebracht. Mehr will sie nicht sagen.
Die Hindernisse sind vielfältig: Häufig werde der Reisepass vom Arbeitgeber
einbezogen. Die Hausangestellte dürfe das Haus nicht verlassen, sagt
Labadi. Das Kafala-System mache es schwer, den Arbeitgeber zu verlassen
oder zu wechseln. Inspektionen in privaten Wohnungen seien selten. Nach
Angaben des jordanischen Arbeitsministeriums gab es 2021 keine einzige
Hausinspektion. Dies sei nicht nötig gewesen, heißt es.
Die Haushaltshilfen sind nicht ausreichend über ihre Rechte, das Land und
seine Gesetze unterrichtet. Viele von ihnen beherrschten die Sprache nicht.
Sara, die 27-Jährige, die vor ihrem Arbeitgeber geflohen ist, sagt, das
Einzige, was sie vor ihrer Ankunft über Jordanien wusste, war, dass es ein
nettes Land sei und für Dienstmädchen angenehmer als Saudi-Arabien.
## Ohne Papiere überleben
Besonders für Menschen ohne Papiere ist die Lage schwierig. Al-Kalash
vermutet, dass gut 15.000 Haushaltshilfen in Jordanien illegal tätig sind.
Sie sind besonders anfällig für Ausbeutung. Nach einem Bericht der
Rechtshilfeorganisation Tamkeen von 2015 wurden 39 Prozent der Befragten
nicht regelmäßig bezahlt. 53 Prozent konnten das Haus nicht frei verlassen
und 71 Prozent mussten ihren Reisepass abgeben. 23 Prozent litten unter
Gewalterfahrungen.
Vermittlungsagenturen für Hausangestellte bewerten die Lage grundsätzlich
anders. Von sieben angefragten Organisationen sind jedoch nur zwei bereit,
mit der Presse zu reden. Das Thema ist heikel.
Die Herausforderung der Vermittler liege in der Rekrutierung in den
Heimatländern, sagt Feras Al-Huniti, Besitzer einer Agentur im wohlhabenden
Westen Ammans. Er sitzt in seinem Büro im dritten Stock, das Tageslicht
flutet den Raum durch eine verglaste Wand. Der Vermittler vor Ort gebe der
künftigen Hausangestellten Falschinformationen, erklärt er. Und die Familie
der Frau würde Druck machen, damit diese fährt, um an ihr Gehalt zu kommen.
Sie selbst, einmal in Jordanien angekommen, lüge über schlechte
Arbeitsbedingungen und knappes Essen. Al-Huniti sagt: „Ihr Gehalt muss sie
ihrer Familie geben, wie eine Sklavin. Wenn sie sehr intelligent ist, würde
sie nicht als Dienstmädchen arbeiten.“ Probleme mit den Arbeitgebern gebe
es manchmal, sie seien aber sehr, sehr selten.
Zu fliehen und anschließend in Teilzeit zu arbeiten sei oft viel lukrativer
als der Monatslohn als Dienstmädchen, der bei 180 bis 300 Dinar (250 bis
420 Euro) liegt. „Nach einigen Jahren gehen sie dann zur Polizei und lassen
sich abschieben“, sagt Al-Huniti. „Derjenige, der am meisten verliert, ist
das Vermittlungsbüro.“
Ihm pflichtet der Mitarbeiter einer weiteren Agentur bei: Geflohene
missbrauchten das Gesetz. Rechtsverletzungen könnten an mehreren Stellen
gemeldet werden, fügt er hinzu. „Sag mir nicht, dass all diese Menschen
deine Probleme nicht lösen können.“
## Die Sicht der Arbeitgeber
Auch für Arbeitgeber*innen ist das Thema nicht einfach. Jamal K. nimmt
sich die Zeit, redet lange und offen. K. hat ein schönes Haus, edel
eingerichtet mit Kristallleuchtern. Eine Schwester von ihm leidet unter
gesundheitlichen Problemen, die sie zum Betreuungsfall machen. Sieben
Haushaltshilfen hätten bei ihm in den vergangenen 15 Jahren gearbeitet,
sagt K. Manche seien gut, manche weniger gut gewesen.
Das Anwerbesystem sieht K. kritisch. „Das, was ich sage, wird vielen nicht
gefallen“, schickt er voraus. Die Frauen kämen oft aus so armen
Verhältnissen, dass sie leicht ausbeutbar wären. Viele seien schlecht
informiert, einige würden über ihre Kenntnisse aus Verzweiflung lügen,
andere seien aggressiv. So habe sich eine Art Sklavenhandel entwickelt, vor
allem mit Frauen aus Afrika.
K. sagt, er habe aus der Erfahrung gelernt und in den letzten Jahren mit
den Frauen gesprochen, ehe sie nach Jordanien gekommen sind. Ihnen genau
erklärt, was sie hier erwartet. „Unsere jetzige kommt aus Ghana und ist
seit drei Jahren bei uns. Sie ist großartig. Eine fleißige, aufrichtige
Arbeiterin.“ K. sagt, er versuche, ihr gute Arbeitsbedingungen anzubieten –
ein über dem Mindestlohn liegendes Gehalt, bezahlte Überstunden, einen
stets offenen Kühlschrank und Gratiskleidung. „Einige Arbeitgeber
behandeln sie nicht wie Menschen, sondern schauen nur aufs Geld“, bemängelt
K. Einen freien Tag, an dem de Hausangestellte unbegleitet das Haus
verlassen darf, bekommt sie aber nicht. Die Natur der Arbeit erschwere es,
sagt K.
Wie man das System der Hausangestellten in Jordanien verbessern könnte,
darüber gehen die Meinungen auseinander. Anlasslose Inspektionen, mehr
Bewusstsein für de Rechte und Pflichten und über die Stellen, bei denen sie
sich beschweren können, verlangen manche Nichtregierungsorganisationen.
Aufklärung über die Arbeit und die Zielländer, sagen andere.
Sara sagt, sie sei jetzt frei, und doch nicht ganz. Denn verstecken muss
sie sich immer noch. Einen Platz unter der Sonne hat sie noch nicht. Sie
sagt, dass sie sich wünsche, ihre rechtliche Lage in Ordnung zu bringen.
Raus aus dem Schatten.
13 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.ilo.org/beirut/countries/jordan/lang--en/index.htm
[2] https://namati.org/network/organization/tamkeen-for-legal-aid-and-human-rig…
[3] https://en.royanews.tv/
[4] http://ju.edu.jo/Home.aspx
[5] /Migration-von-Uganda-nach-Nahost/!5646191
## AUTOREN
Serena Bilanceri
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