# taz.de -- Sahelzone: Wie Afrika gegen Sklaverei kämpft | |
> In der Sahelzone zwischen Mauretanien und Sudan existiert die | |
> traditionelle Sklaverei bis heute. Jetzt gibt es immer mehr Versuche, das | |
> zu beenden. | |
Bild: Eines der letzten Länder, in denen Bewohner von Sklaverei bedroht sind: … | |
Aminata ist neun Jahre alt. Sie ist das jüngste von 15 Kindern. Sie lebt | |
bei ihrer Tante in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott. Während die Kinder | |
der Tante sich morgens auf die Schule vorbereiten, macht Aminata ihnen | |
Essen. Tagsüber putzt sie das Haus, wäscht und geht einkaufen. Wenn abends | |
die Familie vor dem Fernseher sitzt, steht Aminata am Herd und kocht. Sie | |
geht als Letzte zu Bett und steht morgens als Erste auf. Aminata ist | |
Haussklavin in Mauretanien, dem letzten Land der Welt, in dem die Sklaverei | |
offiziell abgeschafft wurde. | |
Seit dem historischen Gesetz vom 8. August wird in Mauretanien über diese | |
Zustände breit diskutiert. Meist sind es Familien ehemaliger Sklaven, die | |
ihre Töchter als unbezahlte Bedienstete in Familien früherer Sklavenhalter | |
schicken - sodass Sklavenverhältnisse von Generation zu Generation | |
weitergetragen werden. "Das Schicksal dieser Mädchen ist ein Bruch des | |
neuen Gesetzes gegen die Sklaverei", dozierte letzte Woche die | |
mauretanische Zeitung Nouakchott Info. "Sklaverei findet nicht nur auf | |
Palmenplantagen oder unter Kameltreibern statt. Manchmal gibt es sie auch | |
bei den Nachbarn. Der Einsatz von Dienstmädchen ist so verbreitet, dass bei | |
konsequenter Anwendung des Gesetzes zahlreiche ,respektable' Familien auf | |
der Anklagebank sitzen würden." | |
Sklaverei - der Zustand, dass ein Mensch formell Eigentum eines anderen ist | |
- gibt es in der Sahelzone Afrikas seit Menschengedenken. Vor hundert | |
Jahren, bei Anbruch der französischen und britischen Kolonisation, war im | |
Sahelgürtel von Mauretanien bis Sudan die Mehrheit der Bevölkerung Eigentum | |
der wenigen reichen und anerkannten Familien und Clans. Muslimische | |
Großreiche, die den Transsaharahandel kontrollierten und im 19. Jahrhundert | |
in Kriegen auch nach Süden vordrangen, versklavten nichtmuslimische | |
Bevölkerungen entweder zum Eigengebrauch in der Familie, auf Pflanzungen | |
oder als Viehhirten oder zum Export in den arabischen Raum. Auch weiter | |
südlich, im schwarzafrikanischen Küstengürtel Westafrikas, war der Export | |
von Sklaven an europäische Händler gang und gäbe, bis zu dem Verbot, das | |
Großbritannien vor genau 200 Jahren als erste Nation verfügte und das in | |
den nachfolgenden Jahrzehnten durchgesetzt wurde. | |
Als 1906 das neue Kolonialgebiet Französisch-Westafrika die Sklaverei für | |
"unvereinbar mit dem Gesetz" erklärte, begaben sich in weiten Landstrichen | |
die meisten Menschen sofort auf Wanderschaft, weil sie dachten, sie seien | |
jetzt frei. Die einstigen Sklavenhalter reagierten, indem sie die | |
verlassenen Felder bei der Kolonialbehörde als ihr Eigentum anmeldeten, | |
wodurch die fortgelaufenen Sklaven zu einem landlosen Proletariat wurden. | |
Viele von ihnen verdingten sich später bei der französischen Armee oder | |
wanderten auf die Kakaoplantagen der Elfenbeinküste, wo ihre Nachfahren bis | |
heute um die vollen Bürgerrechte kämpfen. | |
In Regionen, wo saisonale Migration durch Nomaden mit sesshaftem Bauerntum | |
koexistieren muss, wo Wasser und fruchtbares Land knappe Güter sind - da | |
erwies es sich immer als vorteilhaft, wenn die uralten Festlegungen | |
unangetastet bleiben: Wer hat ein Recht auf Landbesitz, wer ist davon | |
ausgeschlossen? Wer darf sich zu welcher Jahreszeit wo aufhalten und | |
welcher Beschäftigung nachgehen? | |
Die Sklaverei war da immer nur eines von vielen Elementen, die die sozialen | |
Beziehungen regelten. Die Sklaverei in Afrikas Sahelzone dauert zum Teil | |
bis heute an - als Minderheitenphänomen, nach außen kaum zu durchschauen, | |
aber tief im kollektiven Selbstverständnis eingegraben. Der Sklavenstatus, | |
so erklären Organisationen wie SOS-Esclaves in Mauretanien oder Timidira in | |
Niger, bedeutet, dass man weder vererben noch erben kann. Sklaven haben | |
keine eigene Familie; sie gehören einer anderen Familie. Kinder von Sklaven | |
sind besitzlos und daher auch dann weiter in Abhängigkeit, wenn sie | |
rechtlich frei sind. | |
Der Sklave mit dem Status eines Haustieres ist inzwischen selten. Den | |
Sklaven als Abkömmling einer Sklavenfamilie, der das Land eines | |
Grundbesitzers beackert, dem dann die Ernte gehört, gibt es viel häufiger - | |
vor allem bei Grundbesitzern, die als Händler oder Regierungsbeamte weit | |
weg leben. Die Sklavin, die ihrem Herrn sexuell zu Diensten sein muss, weil | |
ihm schon ihre Eltern "gehörten", ist die düsterste Seite der modernen | |
Sklaverei. | |
Nach Untersuchungen in Niger und Mauretanien zeigt sich der Sklavenstatus | |
heutzutage außerdem in zwei Bereichen: bei der Entscheidung darüber, ob und | |
wie lange ein Kind zur Schule geht, und bei der Wahl eines Ehepartners. Es | |
ist nach wie vor undenkbar, dass jemand aus einer Sklavenfamilie jemanden | |
aus einer anderen sozialen Schicht heiratet. | |
"Der Sklave hat kein Recht, sich am bürgerlichen Leben zu beteiligen", | |
resümiert eine Studie der Antisklavereiorganisation Timidira aus Niger den | |
gegenwärtigen Zustand. "Der Sklave ist kein vollwertiger Mensch - in der | |
Songhai-Kultur nennt man ihn ,Neun' und der vollwertige Mensch heißt | |
,Zehn'. Der Sklave hat keinen Grundbesitz. Dem Sklaven gehören keine Tiere, | |
denn er gehört selbst als Tier einem anderen. Der Sklave kann nur eine | |
Sklavin heiraten und Sklaven zeugen. Der Sklave kann nicht das Gebet | |
leiten, wie gebildet er auch sein mag. Sexuelle Übergriffe auf Sklaven | |
bleiben ungesühnt." Diese Zustände gelten, so die Studie, nach wie vor für | |
bis zu 200.000 Menschen im 13 Millionen Einwohner zählenden Niger. | |
Diese Phänomene erklären, warum die Sahelstaaten bis heute die niedrigsten | |
Einschulungs- und Alphabetisierungsraten der Welt haben und warum der | |
Aufstieg des Einzelnen aus der Armut meist nur durch Auswanderung zu | |
realisieren ist. Neben der Migration in Richtung Europa ist in ganz | |
Westafrika die Zwangsverschickung von Kindern verbreitet; jedes Jahr sind | |
davon mehrere hunderttausend betroffen. Sie werden bei der Hausarbeit oder | |
auch der Arbeit auf Zucker- und Kakaoplantagen in Kamerun, Gabun, Nigeria | |
oder der Elfenbeinküste eingesetzt. | |
In Mauretanien wird nun nach dem formellen Verbot der Sklaverei über | |
positive Diskriminierung zugunsten der Nachkommen ehemaliger Sklaven | |
nachgedacht. Unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit als "Haratin" | |
(Mehrzahl: Hartani) bekannt, sind sie die mittellose Unterschicht des | |
Landes. Ihre Slumviertel am Rande der Hauptstadt und auch ihre Dörfer, | |
genannt adwaba, sind die ärmsten. Viele besitzen nach wie vor kein Land und | |
arbeiten auf Feldern anderer Landbesitzer. | |
Bei der Debatte über das Sklavereiverbot wurden nun Quoten für Hartani in | |
Schulen oder Verwaltungsposten ins Gespräch gebracht. Nur wenn alle Kinder | |
der Nation zur Schule gehen, so ein Argument, können sie sich alle als | |
gleichberechtigte Bürger fühlen. Ein anderer Vorschlag war, einen | |
Kompensationsfonds für Sklaven einzurichten. | |
Die Frage der Entschädigung ist die heikelste bei der Diskussion über die | |
Überwindung der Sklaverei. Auf einem Kongress in Timbuktu in Mali | |
verlangten ehemalige Tuareg-Sklaven, die dort als "Bellahs" bekannt sind, | |
das Recht auf Grundbesitz an den fruchtbaren Ufern des Nigerflusses. In | |
Niger, dem ärmsten Land der Welt, erstritt die 18-jährige Sklavin Houalata | |
Ibrahim am 25. Juli umgerechnet 1.500 Euro Entschädigung von ihrem Besitzer | |
Seidimou Hiya. | |
Politisch heikel wird die Debatte über Sklaverei in der Sahelzone durch | |
andauernden Sklavenhandel in Sudan, dem größten Land der Region. Während | |
des Krieges im Südsudan, als die dortige nichtislamische | |
schwarzafrikanische Bevölkerung gegen Sudans muslimisches und arabisches | |
Regime rebellierte, sollen regelmäßig Angehörige des Dinka-Volks, das die | |
Führung der Südsudan-Rebellen stellte, von Sicherheitskräften der Regierung | |
als Kriegsbeute verschleppt und verkauft worden sein - bis zu 14.000, | |
schätzt der britische Sudan-Experte Peter Moszyinski. Es gibt Mutmaßungen, | |
dass damit auch der Bedarf an Dienstpersonal in Saudi-Arabien auf der | |
gegenüber liegenden Seite des Roten Meers befriedigt wurde. | |
Laut der deutschen Sudan-Expertin Annette Weber war die Eisenbahnlinie in | |
die südsudanesische Stadt Wau, die wichtigste Versorgungslinie der | |
Regierungsarmee in der Region, auch die wichtigste Route des | |
Sklaventransits nach Norden. Milizionäre u. a. aus Darfur schützten die | |
Züge auf dieser Linie vor Südsudans Rebellen und durften im Gegenzug | |
Sklaven erbeuten. Milizionäre des Fur-Volks aus Darfur stellen jetzt | |
wiederum das Rückgrat der bewaffneten Rebellion in Darfur gegen Sudans | |
Zentralregierung dar - dies erklärt, warum das seit 2005 autonome Südsudan | |
so zurückhaltend dabei ist, den Aufstand in Darfur und den Kampf gegen | |
Vertreibung dort aktiv zu unterstützen. | |
Darfur ist ein Brennglas der Spannungen des Sahel geworden. Söldner aus | |
Tschad, Niger und Mauretanien sollen bei den regierungstreuen | |
Janjaweed-Milizen kämpfen; Sudans Regierung unterstützt Rebellen im Tschad, | |
und in Niger hat sich eine neue Rebellenbewegung unter den Tuareg-Nomaden | |
gebildet. Sollten sich die vielen lokalen Konflikte der Sahelzone weiter | |
ausbreiten, könnten auch die Konflikte um das Erbe der Sklaverei wieder | |
virulent werden. | |
22 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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