# taz.de -- Nachruf auf Politologen Kurt Lenk: „Rechts, wo die Mitte ist“ | |
> Der Politologe Kurt Lenk hat Grundlegendes zur Geschichte von Parteien | |
> und der Theorie der Rechten erforscht. Nun ist er 93-jährig gestorben. | |
Bild: Kurt Lenk in den 80er Jahren | |
Der Wandel der Politikwissenschaft von der Staats- und Institutionslehre | |
hin zu einer kritischen Gesellschaftswissenschaft in der alten | |
Bundesrepublik war eng mit dem Namen Kurt Lenk verbunden. Seine kritischen | |
Impulse waren auch biografisch motiviert: Als Sohn einer deutschen Familie | |
1929 in Böhmen geboren, irritierte ihn, wie schnell zahlreiche | |
Sudetendeutsche zu Anhängern Hitlers geworden waren, seitdem trieb ihn die | |
Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Ideologie um. | |
Nach der Promotion am Frankfurter Institut für Sozialforschung Mitte der | |
fünfziger Jahre habilitierte er sich in Marburg bei Wolfgang Abendroth, | |
gemeinsam gaben sie eine bedeutende Einführung in die politische | |
Wissenschaft heraus. Lenks Blick galt vor allem Bedingung und Wandel von | |
politischen Konzepten, seine Wissenssoziologie stand im Spannungsfeld von | |
Karl Marx, Karl Mannheim und Max Horkheimer. | |
Lenk klärte Begriffe und politische „Denkstile“, wobei er sich auch gegen | |
die modische Verwendung revolutionären Vokabulars verwahrte. Dafür war ihm | |
Marx zu wichtig, Lenk blieb Materialist, die alten Meister interessierten | |
ihn aus dem Blickwinkel der Gegenwart. Zum Voluntarismus der Neuen Linken | |
hielt er Distanz, durch die Zivilisationsskepsis der siebziger und | |
achtziger Jahre sah er mitunter den Geist Oswald Spenglers durchscheinen. | |
## Scharfer Kontrast | |
Nach Marburg lehrte er zunächst in Erlangen, 1972 übernahm er die Leitung | |
des Instituts für politische Wissenschaft an der RWTH Aachen. Die Wahl war | |
ein scharfer Kontrast zu Arnold Gehlen und Klaus Mehnert, die zuvor in | |
Aachen einen wesentlich konservativeren Geist geprägt hatten. | |
Vor allem die Gefährdung der Gesellschaft, in Krisenzeiten auf | |
völkisch-autoritäre Muster zurückzugreifen, rückte in den Mittelpunkt von | |
Lenks Arbeit. „Rechts, wo die Mitte ist“, lautete der Titel einer | |
Publikation. Nie unterschätzte er die Kräfte der Gegenaufklärung, seine | |
grundlegende Arbeit „Deutscher Konservatismus“ widmete sich gerade den | |
Anpassungsleistungen konservativen Denkens über zwei Jahrhunderte. | |
Stets suchte er den Horizont nach der „kommenden Reaktion“ ab, so war ihm | |
die Neue Rechte längst vor ihrer Konjunktur vertraut. Auf Lenks Schultern | |
entstand viel Instruktives. AfD & Co hätten es wesentlich schwerer gehabt, | |
wäre diese Forschung nach seiner Emeritierung 1994 systematisch fortgesetzt | |
worden. | |
Dies oblag nun kleineren Einrichtungen wie dem Duisburger Institut für | |
Sprach- und Sozialforschung. Dort wurde zu seinem 80. Geburtstag unter dem | |
Titel „Von Marx zur Kritischen Theorie“ eine Auswahl seiner Essays | |
publiziert. Lenk starb im Alter von 93 Jahren am 11. August in Erlangen. | |
18 Aug 2022 | |
## AUTOREN | |
Volker Weiß | |
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