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# taz.de -- Jagd auf Krähen: Zum Abschuss freigegeben
> Jedes Jahr werden viele Tausend Krähen abgeschossen. Naturschützer
> kritisieren die Jagd als unethisch und sinnlos.
Bild: Mehrere Saatkrähen attackieren einen Greifvogel
Göttingen taz | „Sind Sie ein begeisterter Krähenjäger?“, fragt
„Hubertus-Fieldsports“, ein Jagdausrüster in Bovenden bei Göttingen, auf
seiner Homepage. „Bei uns finden Sie alle erforderlichen
Jagdausrüstungsgegenstände, die zu einer effektiven Jagd auf die schwarzen
Gesellen beitragen.“ Und weiter heißt es: „Wie reizvoll Krähenjagd ist,
kann man meist erst nachvollziehen, wenn man schon mal im Tarnschirm
gesessen hat, während zehn Meter davor eine Krähe ahnungslos im Lockbild
landet und anfängt, nach Fraß zu suchen.“
Jedes Jahr, so der Naturschutzbund Nabu, werden in Deutschland viele
Tausend, teils sogar mehr als hunderttausend Rabenvögel abgeschossen. In
nahezu allen Bundesländern können Krähen von August bis Februar bejagt
werden. Lediglich für [1][Kolkraben] gibt es eine ganzjährige Schonzeit. Im
Internet tauschen sich selbst ernannte „Crowbusters“ über die Wirksamkeit
waidmännischen Zubehörs aus, sie prahlen mit der Zahl erlegter Krähen und
posten lange Fotostrecken von sich und ihren Opfern.
Warum die Vögel „reguliert“, also abgeschossen werden dürfen und auch
sollen, erklären die Behörden mit dem Schutz der Nester von Singvögeln:
„Krähen plündern bei den anderen Tieren, sie rauben aus fremden Nestern und
dadurch sind dann vor allem die Bodenbrüter in Gefahr“, erklärt etwa das
Landratsamt im bayrischen Dachau. Zu den Bodenbrütern zählen
Braunkehlchen, Rebhuhn und Kiebitz. Weiter behaupten Behörden, Jäger und
Agrarlobby, dass Krähen Samen von den Feldern pickten und damit Schäden an
landwirtschaftlichen Kulturen verursachten.
Aus Sicht des Nabu sind das „veraltete und wissenschaftlich längst
widerlegte Argumente“. Für den Rückgang verschiedener Bodenbrüter seien
nicht die Krähen verantwortlich, sagt Frederik Eggers vom Nabu
Niedersachsen: „Die Gefahr für die Bodenbrüter kommt nicht aus der Luft,
sondern von verschiedenen vierbeinigen Beutegreifern am Boden.“ Die
Hauptursache für den Rückgang von Bodenbrütern sei allerdings der
zunehmende Verlust von Lebensräumen, Rückzugsmöglichkeiten und
Nahrungsquellen, was wiederum auf die intensive landwirtschaftliche Nutzung
von Flächen zurückzuführen sei.
Die von Krähen verursachten Schäden in der Landwirtschaft beschränken sich
Eggers zufolge vorrangig auf die Beschädigung von Silofolien. Zudem werde
häufig vergessen, dass Krähen auch Insekten und Mäuse auf ihrem Speiseplan
hätten, die von den Landwirten ebenfalls nicht gerne auf ihrem Feld gesehen
würden.
Als „sinnlos und unethisch“ kritisieren die Naturschützer deshalb die
Krähenjagd. Als „besonders perfide“ bezeichnen sie die von Fachgeschäften
wie Hubertus-Fieldsports für die Jagd auf [2][Rabenvögel] angepriesenen
Lockinstrumente. So simulieren auf Feldern aufgestellte Attrappen Krähen
bei der Nahrungssuche und locken so weitere Krähen an, die dann
abgeschossen werden.
Andere Geräte imitieren den Angstschrei einer sterbenden Krähe oder den
Klageschrei, den eine Krähe erzeugt, wenn eine andere stirbt. Die
Artgenossen reagieren auf die Geräusche und versammeln sich bei dem
vermeintlich schreienden Vogel, um ihm zu helfen.
In der Argumentation sowohl der [3][Jagdfreunde wie auch der -gegner:innen]
kommt zu kurz, dass Krähen und Raben außergewöhnlich intelligente Tiere
sind. Schon der griechische Dichter Äsop wusste um die Intelligenz von
Rabenvögeln. In einer Erzählung schrieb er von einer Krähe, die in einen
Krug Steine warf, um den Wasserstand zu erhöhen, so dass sie daraus trinken
konnte.
Ein Forscherteam aus Neuseeland überprüfte 2014, ob das auch stimmen kann.
Sie präsentierten sechs Krähen einen mit Wasser gefüllten Zylinder, in dem
ein Stück Futter schwamm. Dieses konnten sie nur erreichen, wenn sie Steine
oder andere schwere Objekte in den Zylinder hineinwarfen. Die cleveren
Vögel meisterten das so gut wie siebenjährige Kinder.
Überhaupt zeigen die Allesfresser großen Einfallsreichtum, um an Nahrung zu
gelangen. Nebelkrähen in Finnland etwa haben gelernt, unbewachte
Angelleinen von Eisfischern aus den Löchern zu ziehen, um die daran
zappelnden Fische zu fressen. Und die in den USA und Kanada vorkommenden
Amerikanerkrähen warten darauf, dass Grauhörnchen Futter aus einem für die
Vögel unzugänglichen Mülleimer holen, um es ihnen anschließend abzujagen.
Krähen können sich offenbar auch Gesichter merken, so etwas wie Gefühle
entwickeln und diese Emotion an andere Krähen weitergeben. Der
US-amerikanische Ornithologe John M. Marzluff fing 2011 zahlreiche Krähen
ein, um sie zu markieren. Zwei Wochen später beschimpften ihn ein Viertel
der Vögel, nach 15 Monaten waren es 30 Prozent, drei Jahre später sogar
zwei Drittel.
2016 wurde nachgewiesen, dass Rabenvögel die Fähigkeit der so genannten
Theory of Mind besitzen. Das heißt, sie können erkennen, was in anderen
Krähen vorgeht und sie können diesen mentalen Zustand mit ihrem eigenen
vergleichen. Kognitionsbiologen der Uni Wien ließen Raben nacheinander
durch ein Guckloch in einen anderen Raum spähen, in dem ein Artgenosse
Futter versteckte. Dann wurden die Vögel in das jeweils andere Zimmer
gebracht. Der Rabe, der vorher den anderen beobachten konnte, beeilte sich
dann, sein Fressen ebenfalls zu verstecken: Er wusste durch seine eigene
Erfahrung, dass er beobachtet werden konnte.
Schwedische Forscher:innen zeigten, dass Raben auch strategisch denken
können. Wenn sie einen bestimmten Gegenstand in einen Apparat warfen,
bekamen sie schmackhaftes Futter vorgesetzt, ohne die vorherige Anstrengung
gab es weniger leckeres Essen. In den meisten Fällen entschieden sich die
Tiere tatsächlich für den größeren Aufwand und den Gegenstand – auch wenn
ihnen das erst im Nachhinein die Belohnung einbrachte.
In der schwedischen Stadt Södertälje will man sich dieses Verhalten der
Krähen nun zunutze machen und sie als Müllsammler einsetzen. Konkret sollen
sie die Straßen und Plätze von Zigarettenstummeln befreien. Herzstück des
Projekts ist ein Automat, der für jeden eingeworfenen Zigarettenstummel und
andere kleine Müllteile etwas Futter herausrückt. Der Plan ist kein Gag,
denn die Stadt hat ein Kostenproblem. Für die Reinigung der öffentlichen
Verkehrswege und Plätze berappt die Kommune jährlich umgerechnet 1,9
Millionen Euro. Und der häufigste Müll sind weggeworfene Kippen. Jeder von
den Krähen aufgepickte und in den Automaten eingeworfene Stummel, so
Initiator Christian Günther-Hansen, könnte der Stadt eine Einsparung von
zwei Cent bringen.
5 Sep 2022
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## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Naturschutz
Vögel
Jagd
Ornithologie
Biodiversität
Schwerpunkt Stadtland
Umweltforschung
Protestantismus
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