# taz.de -- Youtube-Format „Callspiracy“: Seelsorge mal anders | |
> Menschen helfen, deren Angehörige an Verschwörungen glauben. Das versucht | |
> „Callspiracy“ der Bundeszentrale für politische Bildung. | |
Bild: Hendrik Bolz zu Gast in der Sendung | |
Erik hat ein Problem: seine Mutter. Die glaubt zwar nicht an Putins | |
[1][Angriffskrieg auf die Ukraine], dafür aber, dass man sich nicht gegen | |
Corona impfen lassen sollte – und das sagt sie auch ihrer 12-jährigen | |
Enkelin. „Die nimmt das relativ ungefiltert auf“, erklärt Erik am Telefon. | |
„Mein Sorge ist, dass sie das in der Schule weitergibt.“ Kontaktabbruch? | |
Ständige Kontrollen? Oder doch die Oma als Märchenerzählerin | |
diskreditieren? Erik sucht nach einer Lösung. | |
Die kann ihm Experte Tobias Meilicke nicht geben. Dafür beruhigt der | |
Politikwissenschaftler Erik. Erklärt ihm, wie Resilienz gegen | |
Verschwörungserzählungen bei Kindern gestärkt werden kann. Gibt ihm das | |
Signal, dass er als ansprechbarer Elternteil, als stabile erwachsene | |
Bezugsperson bereits sehr viel gibt. Meilicke arbeitet bei [2][veritas], | |
einer Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen. Und als | |
Experte bei der Call-in-Sendung „Callspiracy“. | |
Vier Folgen hat Turbokultur („Freitagnacht Jews“) für die Bundeszentrale | |
für politische Bildung (bpb) produziert. Moderiert wird die Sendung von | |
Journalistin Eva Schulz, außerdem ist in jeder Folge ein Gast geladen: | |
Vegan-Influencer und Arzt Aljosha Muttardi, Podcasterin Laura Larsson, | |
Model Vanessa Tamkan und Hendrik Bolz, besser bekannt als Testo des | |
Rap-Duos Zugezogen Maskulin. Im Mittelpunkt stehen aber vor allem die | |
beiden Menschen, die pro Folge anrufen und Hilfe suchen, weil Angehörige | |
von ihnen an Verschwörungserzählungen glauben. Leopold zum Beispiel, der | |
als Journalist für seine Eltern zur [3][Lügenpresse] gehört. Oder Chrissie, | |
die jahrelang ein Vertrauensverhältnis zu ihrer Therapeutin aufgebaut hat – | |
die sie nun mit Verschwörungserzählungen konfrontiert. | |
Meilicke versucht die Menschen an einen Punkt zu bringen, an dem sie selber | |
überhaupt merken, was sie sich in der Beziehung wünschen. Und auch zu | |
verstehen, was in den anderen Personen vielleicht gerade vor sich geht. | |
Sein Weg ist dabei häufig nicht, die Verschwörungsgläubigen aus ihrem | |
Glauben zu reißen, sondern die Beziehung zwischen den beiden Personen | |
wieder zu stärken. | |
## Wiederholung ist eine Gefahr | |
Um nicht nur die Anrufenden, sondern auch jene, die zuschauen, zu stärken, | |
spielt Moderatorin Eva Schulz mit jedem Gast ein kleines Spiel, das so auch | |
in Workshops zu diesem Themenfeld angewendet wird. So wird deutlich, wo die | |
eigenen Stärken und Schwächen liegen. Wo und wie man Grenzen ziehen kann. | |
Und wieso es so leicht ist, an eine Verschwörung zu glauben. | |
Leider zeigt sich, dass diese Spiele nicht unbedingt in einer Sendung | |
funktionieren. Gerade Rollenspiele verlangen eine enge Betreuung aller | |
Teilnehmenden, die hier nicht gegeben ist. | |
Was „Callspiracy“ jedoch hervorragend gelingt: die Verschwörungserzählung… | |
werden nur kurz angerissen, damit Zuschauer*innen verstehen, in welcher | |
Denkwelt sich die Person befindet, sie werden jedoch nicht detailliert | |
erklärt. Denn: Die Wiederholung von Verschwörungserzählungen ist eine | |
Gefahr. Je häufiger man eine Geschichte hört, desto einfacher verfängt sie | |
sich – das ist der Scheinwahrheitseffekt. Meilicke weist auch auf diesen | |
Effekt in der Popkultur hin, in der Verschwörungen immer wieder Thema sind, | |
wie etwa bei „Akte X“ und „Matrix“. | |
## Schnelleres Konzept nötig | |
An dieser Stelle zeigt sich aber auch eine der großen Schwächen der | |
Sendung: Sie verpasst es, lockere Elemente einzubauen. Serien und Filme | |
vorzustellen, die Verschwörungen beinhalten, hätten einen guten Zweiminüter | |
hergegeben, der zwischen den beiden mitreißenden Geschichten der Anrufenden | |
für einen kurzen Moment der Erholung sorgen könnte. Dass das bisherige | |
Konzept der Sendung nicht funktioniert, dafür sind auch die geringen | |
Klickzahlen auf Youtube ein Indiz: sie bewegen sich zwischen 1.700 und | |
23.000 Views. | |
Besser aufgehoben wäre diese Sendung – mit einem leicht überarbeiteten, | |
schnelleren Konzept – bei einem öffentlich-rechtlichen Sender und auf | |
größeren Instagram- und Tiktok-Kanälen. Denn das, was in dieser Sendung | |
verhandelt wird, sollte man nicht erst sehen, wenn man gezielt danach | |
sucht. Im Gegenteil: Ein Format mit dieser Themensetzung sollte uns allen | |
regelmäßig beim Zappen oder Scrollen reingespült werden, damit wir – egal | |
ob Angehörige an Verschwörungserzählungen glauben oder nicht – verstehen, | |
welchen Einfluss Verschwörungserzählungen auf die Gesellschaft haben können | |
und wie wir damit umgehen und einander helfen können. | |
29 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Propaganda-im-Ukraine-Krieg/!5861625 | |
[2] https://veritas-beratung.de/ | |
[3] /Angriffe-auf-Journalistinnen/!5851889 | |
## AUTOREN | |
Johannes Drosdowski | |
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