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# taz.de -- Destilleriebesuch in Schottland: Schnaps für Ökos
> Auf der westschottischen Halbinsel Morvern wird der nachhaltigste Whisky
> Großbritanniens produziert. Aber die Branche wacht nun auf.
Bild: Die Schnaps-Brennerei auf Morvern: Produziert wird mit 100 Prozent erneue…
Movern taz | Der Ort, an dem Whisky grundlegend neu gedacht wird, sieht
aus, als könne er eigentlich nicht in Europa liegen. Tiefgrüne Wiesen
zwischen kargem Fels, Wälder mit riesigen Bäumen, zwischen deren Stämmen
gigantische Farne, Schilfe, Kletterpflanzen und Moose wuchern: Die heute
kaum bewohnte Morvern-Halbinsel an der schottischen Westküste hat etwas von
„Jurassic Park“, sie ist gesegnet mit einem Mikroklima ständigen Regens,
der überall kleine Bäche sprudeln und das Grün wuchern lässt. Und während
der Rest Europas [1][unter Hitzewellen ächzt], liegen die Temperaturen hier
bei etwa 16 Grad. Es sind die kalten Tropen Europas.
Auf Morvern leben gefährdete Wildkatzen und Steinadler, vor dem lokalen B&B
äst auch schon mal ein Hirsch im Garten oder laufen Otter über den Weg. Die
Geschichte dahinter ist weniger romantisch. Denn dass Morvern heute so leer
und wild ist, liegt auch an den berüchtigten Highland Clearances im 19.
Jahrhundert, als Gutsherren und -damen aus dem englischen und schottischen
Süden die armen Bewohner:innen zugunsten der Schafzucht enteigneten und
vertrieben. Auch auf dem 7.000 Hektar großen Drimnin Estate fielen dem
Hunderte Pächter zum Opfer.
Dass auf diesem Estate nun Schottlands erste Biowhiskydestillerie steht,
gegründet von der nahe London geborenen Tochter der Landbesitzer, ist auch
eine Klassengeschichte. Und eine grüne Revolution. Der Ökowhisky von der
wilden Halbinsel [2][heißt Nc’nean]: eine Kurzform von Neachneohain, der
gälischen Göttin, die die Natur schützt.
Annabel Thomas weiß, dass ihre Geschichte gut klingt. Die Gründerin von
Nc’nean – Enddreißigerin, eine der wenigen weiblichen CEOs in dieser
männerdominierten Branche – hat 2013 ihren Job als Strategy Consultant
gekündigt, um auf dem Anwesen ihrer Eltern, Drimnin Estate, Whisky
herzustellen. Und Dinge anders zu machen. „Auf den Destillerietouren sagen
sie alle dasselbe: Wir machen Whisky so, wie wir das immer gemacht haben,
nach alter Tradition und so weiter“, erzählt sie. „Niemand sprach über
Nachhaltigkeit. Ich dachte: Das ist ein Problem.“
## Am Sprit experimentieren
Also machte sie es anders: Produziert wird mit 100 Prozent erneuerbarer
Energie. Nc’nean nutzt einen Biomasseboiler mit lokalem Holz sowie ein
umweltfreundliches Kühlbecken statt eines Kühlturms. Boiler und Becken
seien allerdings sehr teuer gewesen, und für die regionale Biogerste zahle
man 25.000 Pfund im Jahr an Zusatzkosten. Im Betrieb sei das Kühlbecken
aber viel günstiger als ein Turm, und dass der Boiler Holz statt Öl
verbraucht, erwies sich auch ökonomisch als kluge Wahl.
Schwerer wird der Einfluss auf die Lieferkette: Wie bekommt man eine
italienische Glasfabrik dazu, auf erneuerbare Energie umzustellen? Immerhin
sind die Flaschen aus recyceltem Glas. Und die Abfälle der Whiskyproduktion
werden als Kuhfutter und Dünger wiederverwendet.
Durch all diese Maßnahmen ist Nc’nean die erste Whiskydestillerie in
Großbritannien, die bei den Scope-1- und -2-Emissionen (Standards zur
Messung der Emissionen von Unternehmen) als „net zero carbon“ zertifiziert
ist, also alle direkt erzeugten CO2-Emissionen auf den niedrigstmöglichen
Punkt heruntergefahren hat. Bei den Scope-3-Emissionen, jenen aus der
Lieferkette, ist sie CO2-neutral; alle Emissionen werden kompensiert.
Nach eigenen Angaben liegt der jährliche CO2-Abdruck bei weniger als einem
Hin- und Rückflug zwischen London und New York – bei einer Produktion von
96.000 LPA (purer Alkohol in Litern) im Jahr.
Der erste Single Malt, drei Jahre alt, kam 2020 auf den Markt. Fruchtig ist
dieser Nc’nean, mit Noten von Pfirsich, Karamell und Vanille und einem
Hauch Kräuter. Hergestellt aus schottischer Biogerste, gereift
ausschließlich in der Destillerie vor Ort in ehemaligen Bourbonfässern und
STR-Ex-Rotweinfässern.
STR steht dabei für „shaved, toasted and re-charred“: Die Fässer werden
dabei erst innen ausgeschabt, um das Rotweinaroma zu schwächen und Aromen
aus frischem Eichenholz zu erhalten. Anschließend werden Eichenchips aus
alten Whiskyfässern verbrannt, um Zucker und Vanillin im Holz des Fasses zu
karamellisieren. Zuletzt wird die Innenseite des Fasses noch mal
ausgebrannt. Annabel Thomas fordert dazu auf, die beiden Anteile einzeln zu
verkosten: Der Nc’nean aus den Rotweinfässern schmeckt voll und kräftig,
der aus den Bourbonfässern schwächer, dafür fruchtiger mit einer
Zitrusnote.
Thomas und ihr Team wollen am Sprit selbst experimentieren, statt nur über
Fässer zu reden: Während des sechsstündigen Maischens, wenn die im
Gerstenschrot enthaltene Stärke in Zucker umgewandelt wird, ruht der
Nc’nean eine Stunde. Das erzeuge tieferen, intensiveren Geschmack. Im Rest
der Branche ruhe der Whisky üblicherweise gar nicht, da die Unternehmen
viel Alkohol so schnell wie möglich erzeugen wollten. Um die fruchtigen
Noten zu schaffen, nutzt die Destillerie zwei verschiedene Hefen statt
einer. Und hat eine der längsten Fermentierungszeiten der Branche.
## Warum Whisky Bio kaufen?
Was verändert nun ein Unternehmen wie Nc’nean? Erst mal profitiert die
Firma aktuell ja von seinem Alleinstellungsmerkmal. Nc’nean will glaubhaft
die Branche unter Druck setzen. Zugleich aber soll das Unternehmen
natürlich wachsen. Aus ökologischen Gründen fokussiere man sich außerhalb
Großbritanniens auf den nordeuropäischen Markt, um die Transportwege kurz
zu halten. Und wenn nun woanders die Nachfrage steigt? Dass Wachstum und
Klimaverantwortung zusammen möglich sind, muss Nc’nean noch belegen.
Die Whiskyindustrie ist indes aufgewacht. Viele Destillerien wollten nun
wissen, wie sie dies oder jenes machten, erzählt Thomas. Die Branche sei
dabei so langsam wie die meisten anderen auch, sagt sie, doch „im Gegensatz
zu anderen Branchen gibt es hier sehr wenige neue Player auf dem Markt,
weil es sehr teuer ist, in den Whiskymarkt einzusteigen und eine
Destillerie zu bauen“.
Und noch etwas sei anders in ihrem Wirtschaftszweig: „Kunden verstehen
heute, warum man Biomöhren kauft, auch wenn sie sich nicht dafür
entscheiden. Beim Whisky verstehen sie das noch nicht.“ Sie kriege dann
Bemerkungen wie: Sind nicht alle Whiskys bio? „Viele Leute haben nicht im
Kopf, dass Whisky aus Gerste hergestellt wird und wie viel Energie die
Herstellung verbraucht. Nc’nean will sichtbar machen: Whisky heißt zwar
Wasser des Lebens. Aber ein Ökoprodukt ist er damit noch lange nicht.
Transparenzhinweis: Dieser Text ist mit finanzieller Unterstützung von
Visit Scotland entstanden.
28 Aug 2022
## LINKS
[1] /Hitzewelle-in-Europa/!5865654
[2] https://ncnean.com/
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schnaps
Alkohol
Nachhaltigkeit
Großbritannien
Kolumne Abgefüllt
Wein
Schnaps
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