# taz.de -- Dance-Band Hot Chip über neues Album: „Wir machen keine Machopos… | |
> Die Dancepop-Band Hot Chip veröffentlicht das neue Album | |
> „Freakout/Release“. Ein Gespräch über Gitarren, toxische Männer und | |
> Rassismus in England. | |
Bild: Underground-Perspektive passt: Hot Chip mit Alexis Taylor und Joe Goddard… | |
taz: Alexis Taylor, Joe Goddard, als Sie im Jahre 2000 Hot Chip gegründet | |
haben, war die britische Indie-Musikszene dominiert von Gitarren. Wie | |
fühlte sich das an, dass Sie mit Ihrem elektronischen Dancefloorsound deren | |
Vormachtstellung gebrochen haben? | |
Joe Goddard: Als wir im Freundeskreis begannen, Musik zu machen, gingen wir | |
noch zur Schule. Als Teenager spielten wir auch Gitarre und waren | |
inspiriert von den Songs der Beatles und The Velvet Underground. Zugleich | |
hatten wir ein massives Interesse an HipHop, wie etwa von den Beastie Boys. | |
Damals habe ich auch begonnen, Musik mit dem Computer zu machen, wobei | |
Musiksoftware erst rudimentär entwickelt war. Ich tappte bei dem, was ich | |
da mit den Loops anstellte, weitgehend im Dunkeln. Aber dadurch fußte | |
unsere Musik von Beginn an auf digitalen Klangerzeugern. Und zur selben | |
Zeit schaffte es auch einiges an Elektronik in die UK-Charts; etwas das | |
Basement-Jaxx-Debütalbum 1999. Und tolle UK-Garage-Tracks. Das hat uns auch | |
enorm geprägt. Genau wie US-R&B von Timbaland und Destiny’s Child. Die | |
fanden wir aufregender als vieles, was es damals an Indiegitarrenmusik gab. | |
Wie haben Sie es also angestellt? | |
Joe Goddard: Mit „San Frandisco“ zum Beispiel, einem unserer frühesten | |
Songs, haben wir musikalisch einen Garagehouse-Track imitiert, der in den | |
Charts war. Durch Alexis’ Stimme, einen Gitarrenhook und Klangelemente, die | |
ziemlich over-the-top waren, haben wir dann doch einen eigenwilligen Sound | |
kreiert. Rock trifft Elektronik. | |
Alexis Taylor: Wir haben ziemlich viel unter dem Radar ausprobiert, bevor | |
wir bekannt wurden. Wir haben stets [1][das Musikmagazin The Wire ] gelesen | |
und uns dort Anregungen geholt, was es Neues an elektronischer Musik gab. | |
In jedem Fall war das noch sehr anders als das, was wir inzwischen machen. | |
Wir haben uns seither stärker Richtung Pop bewegt. Dass wir uns damals | |
schon auf US-R&B bezogen, hat viele in unserem Rock-Umfeld irritiert. | |
Garage-MCs waren wir aber auch nicht. Wir saßen also mit unserer Vision | |
zukünftiger Musik noch zwischen den Stühlen. In den Anfangsjahren haben wir | |
viel Kritik einstecken müssen – eben weil wir aus einem Indie-Background | |
kamen, aber dann doch The Neptunes zitiert haben. Inzwischen ist das ja das | |
Normalste überhaupt, so querbeet Musik zu machen. | |
Dem amtlichen Britpop haftet ja ein notorisches Lad-, also Macho-Image an. | |
Sie haben von Anfang an alternative Männlichkeit gelebt, oder? | |
Joe Goddard: Niemand in der Band pflegt einen konservativen Begriff von | |
Männlichkeit. So sind wir nicht drauf! Obwohl wir durchaus auch Fans von | |
Oasis waren. Die klangen auf ihrem Debüt ja wie die Beatles! Aber schon | |
ihr zweites Album war öde. Blur entsprachen uns schon mehr. Aber | |
Macho-Posen sind so gar nicht unser Ding. Deshalb mochte uns ein Teil der | |
britischen Presse nicht: Wir waren ihnen zu wenig männlich. | |
„The Evil That Men Do“ auf dem neuen Album, zusammen mit dem kanadischen | |
Rapper Cadence Weapon, setzt sich kritisch mit Machismo auseinander. | |
Joe Goddard: Als wir die neuen Songs im Studio aufnahmen, war toxische | |
Männlichkeit ein großes Thema in Großbritannien. Da gab es zum Beispiel in | |
London Proteste gegen einen Bobby, der eine Frau entführt, vergewaltigt und | |
anschließend ermordet hatte. Kein Einzelfall. Frauen gehen nun damit | |
verstärkt an die Öffentlichkeit, um gegen toxische Maskulinität zu | |
demonstrieren. Das spielte in den Songtext mit rein. Wobei wir darin auch | |
britischen Imperialismus und die unbewältigte Kolonialgeschichte | |
anprangern. Darum gibt es ebenfalls eine kontroverse Debatte im Land. In | |
Bristol wurde von Demonstranten als Reaktion auf die Tötung von George | |
Floyd in Polizeigewahrsam 2020 die Statue eines Sklavenhändlers ins | |
Hafenbecken gekippt. Ich kann die Wut der Menschen nachvollziehen, die sich | |
kritisch mit der Vergangenheit unseres Landes auseinandersetzen. Als Brite | |
finde ich wichtig, dass wir uns antiimperialistisch und antirassistisch | |
positionieren. Es gibt vieles, woran wir weißen Männer an uns arbeiten | |
müssen – und das sollten wir auch unseren Kindern mitgeben. Der Umgang mit | |
Frauen muss viel besser werden. Und wie man Machtstrukturen zerbricht. Da | |
gibt noch viel zu tun! | |
Alexis Taylor: Aus meiner Sicht handelt der Song aber auch davon, sich | |
seinen eigenen Widersprüchen zu stellen. Es ist ein innerer Monolog | |
darüber, manchmal nicht den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Daraus | |
folgen Widrigkeiten im eigenen Denken und Handeln. Für mich steht dieser | |
Song paradigmatisch dafür, was wir diesmal in vielen Texten des Albums | |
behandeln: Zunächst, was im eigenen Oberstübchen vor sich geht, angesichts | |
des Klimas um einen herum. Aber dann geht es auch um das Bedürfnis, wieder | |
mit anderen Individuen und der Gesellschaft in Verbindung zu treten. Also, | |
wir thematisieren durchaus persönliche Krisen – aber zeigen dann auch ihren | |
größeren gesellschaftlichen Rahmen auf. | |
„Broken“ handelt davon, eine befreundete Person auf ihre mentalen Probleme | |
hin anzusprechen. Quasi der Gegenpart zu „Help!“ von den Beatles. | |
Alexis Taylor: Man kann unseren Songtext auch auf geistige Gesundheit | |
beziehen. In jedem Fall geht es mir um die Momente, in denen Sprache | |
versagt, um das Seelenleben auszudrücken. Schwierig zu benennen, wenn es | |
dir den Boden unter den Füßen wegzieht. Dann jemandem aktiv zur Seite zu | |
stehen – das ist eine echte Herausforderung, aber lebenswichtig. Dann muss | |
man aber erst mal eine gemeinsame Sprache finden, um die Dinge | |
anzusprechen. | |
Einer Ihrer größten Hits, „Ready for the Floor“ (2008), beinhaltet die | |
Zeile „You’re my Number-One Guy“. Herr Taylor, Sie haben mal gesagt, das | |
sei ein „Batman“-Zitat. Aber viele haben das auch als Statement queerer | |
Liebe verstanden. | |
Alexis Taylor: Ich mag solche Doppeldeutigkeiten. Manchmal sind meine Texte | |
aber im Sinne der Wortbedeutung gemeint; gerne mache ich auch um die Ecke | |
gedachte popkulturelle Referenzen. In dem Fall war es so, dass ich zwar aus | |
„Batman“ zitiere, aber auf diese Weise meine Bandkollegen anspreche: Lasst | |
uns zusammenhalten. Der Song handelt von einem Moment der Anspannung, der | |
sich nicht durch Stille lösen lässt – sondern nur durch Kommunikation. | |
Darin kommt auch Bewunderung zum Ausdruck, für Menschen im eigenen Umfeld. | |
Aber ich finde es toll, wenn Leute in dem Songtext noch mehr sehen. Ich mag | |
es, Dinge zu sagen, die nicht macho-heterosexuell auslegbar sind. | |
Sie beziehen sich auf der Klangebene auf Deephouse und setzen in den neuen | |
Songs diesmal verstärkt auf Disco. Ist Dancefloorsound für Sie eine Form | |
von Eskapismus? Oder ein Weg, zu sich selbst zu finden? | |
Joe Goddard: Definitiv beides. Wobei ich das manchmal problematisch an | |
Dancefloor-Kultur finde, wenn sie zu eskapistisch ist. Sicherlich brauchen | |
wir Menschen die Möglichkeit, dem Alltag entfliehen zu können und beim | |
Tanzen Befreiung zu spüren, Spaß zu haben. Aber ich denke, es stimmt auch, | |
dass man im Club mehr über sich selbst erfahren kann. Das mag ich sehr. Mit | |
19 bin ich exzessiv ausgegangen. In Berlin erlebe ich das Nachtleben als | |
enorm politisiert. Das ist eine starke Community, die widerständig ist und | |
Aktivismus zulässt. Das ist der Teil von Dance-Kultur, den ich mag. Denn | |
ihr Fokus liegt nicht ausschließlich auf Konsum und Hedonismus. | |
Sie sind beide auch als DJs aktiv. In Berlin traten Sie zuletzt bei der | |
CSD-Party im Ritter Butzke auf. Bringt Ihnen das Spaß? | |
Alexis Taylor: Ja, das fühlt sich für uns ganz selbstverständlich an, als | |
DJ die Musik anderer Leute aufzulegen, aber auch als Band eigene Songs zu | |
komponieren. Diese Gemengelage formt massiv den Sound unserer Musik. Wobei | |
Joe mehr als Produzent agiert und ich mich mehr als Songwriter sehe. | |
Letztens beim Festival Primavera-Sound in Spanien war es super, ziemlich | |
nüchtern Musik auf einer fetten Anlage zu hören. Ich mach so was nicht mehr | |
so oft wie früher – aber es bereitet mir noch immer sehr viel Freude. Da | |
ich keine Drogen nehme, ist es dann wirklich nur die Musik, die verbindet. | |
Und Tanzmusik kann mich tatsächlich zur Ekstase treiben. | |
19 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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