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# taz.de -- Wohnsituation von Geflüchteten: Mehr als fünf Jahre im Heim
> Familie Hejazi könnte längst raus aus der Container-Unterkunft und eine
> eigene Wohnung beziehen. Doch sie finden einfach keine Wohnung.
Bild: Sieht so ein schönes Zuhause aus?
Berlin taz | An einem nicht allzu heißen Sommertag empfängt Familie Hejazi
die taz zu Besuch. Zwei „Wohneinheiten“ in einem „Tempohome“ in
Steglitz-Zehlendorf sind seit fast fünf Jahren das „Zuhause“ der sechs
SyrerInnen. Diese Provisorien für Geflüchtete haben immer denselben
Schnitt: Der mittlere Container besteht aus Mini-Küche und WC/Bad (zusammen
14 Quadratmeter), von dort geht es rechts und links in
Wohn-Schlaf-Container von ebenfalls je 14 Quadratmetern.
Mutter Rania (43) führt in den linken Raum, wir quetschen uns zu sechst auf
zwei Betten und drei herbeigebrachte Stühle, der Vater ist beim Sprachkurs.
Draußen sind angenehme 25 Grad, hier drinnen ist die Luft – trotz offener
Türen – zum Schneiden.
„Im Sommer ist es wie im Backofen“, beschreibt die 19-jährige Rana treffend
das Raumklima, im Winter sei es eiskalt trotz Heizung. Ihr Bruder Mohamad
(21) weist mit der Hand durch den Raum. „Kein Wunder, hier ist alles aus
Metall: Metalldecke, Metallwände, Metallbetten, Metallschränke,
Metallstühle.“
Tatsächlich erinnert die Ausstattung deprimierend an Gefängnis, das einzig
nichtmetallene Möbelstück im Raum ist ein Regal aus Holzfurnier. Die Eltern
haben es für Mahmoud gekauft, der Zehnjährige bewahrt hier seine Schul- und
Spielsachen auf, alles ordentlich sortiert. Überhaupt ist alles penibel
aufgeräumt, nichts Überflüssiges liegt herum – sogar die Plätzchen auf der
Etagère auf dem Tisch liegen in Reih und Glied.
## Seit Jahren auf Wohnungssuche
Im Februar 2017 kamen die vier Geschwister und die Mutter nach Berlin.
Vater und Onkel waren ein halbes Jahr zuvor über die Balkanroute hierher
geflohen, dann konnte Nazir Hejazi, der in Syrien ein kleines Geschäft
hatte, seine Familie nachholen. Nach ein paar Monaten in einer Erstaufnahme
wurde ihnen vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) diese
Unterkunft zugewiesen. Längst sind ihre Asylanträge anerkannt, doch sie
finden einfach keine Wohnung.
Damit stehen sie nicht allein: Von den rund 25.000 Geflüchteten, die
derzeit in Unterkünften des LAF leben, könnten theoretisch die meisten eine
Wohnung beziehen. Denn sobald man aus der Erstaufnahme einer
Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen wurde, entfällt die „Wohnverpflichtung“.
Der Auszug gelingt jedoch nur wenigen: So sind laut LAF im Jahr 2021 exakt
467 Menschen im Asylverfahren über private Wohnungssuche fündig geworden
und konnten aus ihrem Heim ausziehen, 2020 waren es 730. Etwa gleich groß
ist die Zahl der „Glücklichen“, die eine der jährlich rund 300 Wohnungen
ergattern, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaften im Rahmen des
Programms „Wohnungen für Flüchtlinge“ (WFF) zur Verfügung stellen. 2021
bekamen so 600 Menschen eine Wohnung, 2020 waren es 503.
Obwohl es also für alle schwierig ist, scheinen die Hejazis besonders
großes Pech zu haben. In ihrem Heim, sagt Rana, sind sie inzwischen die
„ältesten“ BewohnerInnen. „Dabei haben wir angefangen zu suchen, sobald …
uns ein bisschen auskannten in Berlin und etwas Deutsch konnten“, erzählt
Ranas Bruder Mohamad (21). Das war vor über vier Jahren.
## Hunderte Bewerbungen
Seither fragen sie jeden, den sie kennen, suchen sie in Internetportalen
und direkt auf den Seiten von Großvermietern wie Deutsche Wohnen, viele
hundert Bewerbungen haben sie nach eigener Aussage geschrieben. Manchmal
seien sie zu Besichtigungsterminen eingeladen worden, erinnert sich Rana.
„Seit Corona“ jedoch gar nicht mehr, und nur manchmal bekomme man eine Mail
mit einer Absage.
Immer teurer würden die Wohnungen zudem, seufzt Mohamad, meist zu teuer,
wenn man von Hartz IV lebt. Etwa 1.300 Euro Warmmiete sei die Obergrenze
des Jobcenters für einen 6-Personen-Haushalt, sagt er – ganz genau weiß er
es nicht. Tatsächlich ist die Berechnung kompliziert und verschieden je
nach Gebäude und Heizungsart: Der [1][Richtwert in der „AV Wohnen“] für d…
Bruttokaltmiete bei sechs Personen liegt bei rund 950 Euro, dazu kommen
noch Heizkostenerstattungen von maximal 210 Euro bei sechs Personen und der
teuersten Heizart Fernwärme.
Zudem wird die Suche nicht einfacher, wenn man für sechs Personen sucht,
weiß Rana – obwohl ihnen 4 Zimmer reichen würden, je zwei Geschwister
könnten sich ein Zimmer teilen.
Besonders bedrückend war das Leben im Container während der
Corona-Lockdowns. „Es ist schwer zu lernen in dieser Enge“, sagt Mohamad:
Schlafen, Essen, Leben – alles spielt sich im selben Raum ab. Zudem habe es
bis voriges Jahr, berichtet er, kein Internet im Wohnheim gegeben. Seither
gebe es zwar WLAN, aber nur sehr langsames.
## „Besuch ist mir unangenehm“
Dennoch hat die 19-jährige Rana, die wie ihre Geschwister gut Deutsch
spricht, im Frühjahr Abitur gemacht und will bald „etwas mit Technik
studieren oder Informatik“. Raneem (22) hat das Homeschooling im Container
nicht ausgehalten und die Schule geschmissen. Jetzt will sie ein
Freiwilliges Soziales Jahr machen, am liebsten in einem Kindergarten, und
dann ihr Abi nachholen. Mohamad (21) hat auf Rat seines Lehrers wegen
Corona ein Jahr wiederholt und hofft nächstes Jahr die Hochschulreife zu
schaffen.
Gäste laden die Hejazis nie ein, höchstens ab und an Verwandte. „Besuch ist
mir unangenehm, weil es so eng und ungemütlich ist“, gibt Mohamad zu. Rana
nickt: „Niemand aus meiner Schule wusste, dass ich in einem Wohnheim lebe,
nur enge Freunde.“ Aber die trifft sie lieber draußen oder geht zu ihnen.
Zumal sich Besuch bei der Security am Eingang anmelden muss. „Sie wissen,
wer zu uns kommt, und wann wir kommen und gehen“, sagt Rana. Mohamad
ergänzt: „Manchmal sagen wir, es ist wie ein Gefängnis, wo man rein und
raus kann.“ Zur Überwachung kommt die Bevormundung: Gäste müssen späteste…
um 22 Uhr raus. „Um 10 nach 10 rufen die Securities laut vor der Tür, dass
die Leute gehen müssen“, berichtet Rana. „Man braucht doch ein bisschen
Privatsphäre. Teils kommt der Besuch von weit her und würde gerne
übernachten.“
## Beratungsangebote sind nicht durchgedrungen
Diese Regelung, die in allen LAF-Heimen gilt, ärgert nicht nur die Hejazis:
Die Besuchszeiten und das Übernachtungsverbot sind eines der großen
Probleme für Heimbewohner, wie ein [2][Pilotprojekt der
Integrationsverwaltung für ein besseres Beschwerdemanagement] in Heimen
2019 zutage brachte. Dass aus dem Projekt inzwischen eine Unabhängige
Beschwerdestelle geworden ist, an die sich Flüchtlinge bei Missständen in
ihrem Heim wenden können, wissen die Hejazis nicht – niemand hat ihnen
davon erzählt.
Es hat ihnen auch niemand gesagt, dass es das erwähnte Programm „Wohnungen
für Flüchtlinge“ gibt. Auch wenn die Hejazis dafür kaum in Frage kommen, da
sie für das LAF vermutlich kein medizinischer oder sozialer „Härtefall“
sind – und nur dann kämen sie auf die WFF-Warteliste. Sie wissen auch
nicht, dass es eine [3][Mietberatung beim LAF] gibt, wo man laut Webseite
Tipps zur Wohnungssuche bekommen oder zum Beispiel erfahren kann, dass für
Flüchtlinge in Heimen, die eine Wohnung finden, die Mietobergrenze 20
Prozent über der „normalen“ Obergrenze liegt.
Ein bisschen mehr Hilfe wäre gut, sagt Mohamad. „Inzwischen kennen wir uns
ganz gut aus, aber das hat uns auch noch nicht geholfen.“
31 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/sen/soziales/soziale-sicherung/grundsicherung-fuer-ar…
[2] /Unterbringung-von-Fluechtlingen/!5615624
[3] https://www.berlin.de/laf/wohnen/informationen-fuer-fluechtlinge/wohnungen/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Mietenwahnsinn
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Unterbringung von Geflüchteten
Minderjährige Geflüchtete
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Flüchtlinge
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