# taz.de -- Lohnverhandlungen bei der Lufthansa: Selbstbewusstsein für die dri… | |
> Die Beschäftigten haben maßgeblich zur Rettung der Lufthansa beigetragen. | |
> Fraglich ist, ob das in den laufenden Tarifverhandlungen belohnt wird. | |
BERLIN taz | Seit Mittwochmorgen wird wieder verhandelt. Bei ihren auf zwei | |
Tage angesetzten Gesprächen in einem großen Hotel am Frankfurter Flughafen | |
versuchen die Unterhändler:innen der Lufthansa und der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sich auf einen neuen Tarifvertrag für | |
die rund 20.000 Bodenbeschäftigten der Kranich-Linie zu verständigen. | |
Der Einigungswillen auf beiden Seiten ist groß. Denn die Stimmung an den | |
deutschen Flughäfen ist sowohl bei den Passagier:innen als auch den | |
Beschäftigten aufgrund der chaotischen Zustände vielerorts schon schlecht | |
genug. Weit mehr als 5.000 Flüge muss die Lufthansa im Juli und August | |
wegen Personalmangels streichen. Da sollen jetzt nicht noch weitere | |
streikbedingte Flugausfälle hinzukommen. | |
Nach den zwei harten Coronajahren 2020 und 2021, die die Lufthansa nur dank | |
eines milliardenschweren staatlichen Rettungspakets überstehen konnte, ist | |
die Lufthansa Gruppe inzwischen wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt. An | |
diesem Donnerstag will sie zwar erst ihre finalen Quartalsergebnisse | |
vorstellen, aber nach den bisher bekannt gewordenen Geschäftszahlen wird | |
sich der Gewinn vor Zinsen und Steuern zwischen 350 und 400 Millionen Euro | |
bewegen. | |
Bereits auf der Jahreshauptversammlung Mitte Mai verkündete der | |
Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr, der Konzern habe die schwere Krise | |
nicht nur bewältigt, sondern „als Chance genutzt“. Dank nunmehr | |
effizienterer Strukturen und geringerer Ausgaben sei die Lufthansa „heute | |
besser denn je für die Zukunft gerüstet“. So sei es gelungen, die Kosten | |
strukturell – also nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft – um fast 3 | |
Milliarden Euro jährlich zu reduzieren. | |
Entscheidend dazu beigetragen hat ein drastischer Personalabbau. Vor Corona | |
arbeiteten weltweit rund 138.000 Menschen für den Luftfahrtkonzern, | |
inzwischen sind es nur noch etwas mehr als 100.000. Jeder vierte | |
Beschäftigte musste gehen. Anders als unter anderem von der Linkspartei | |
gefordert, hatte die damalige schwarz-rote Koalition darauf verzichtet, | |
Beschäftigungsgarantien zur Bedingung ihrer hohen finanziellen | |
Unterstützung zu machen. | |
Das Hilfspaket der Bundesregierung war 9 Milliarden Euro schwer. Die | |
dazugehörigen Kredite und Stillen Beteiligungen hat die Lufthansa | |
inzwischen getilgt. Dass der Bund mittels seines | |
Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) für 300 Millionen Euro zudem zum | |
größten Lufthansa-Aktionär wurde, hat sich für ihn finanziell gelohnt. Denn | |
mittlerweile hat er in zwei Margen etwa die Hälfte seines | |
20-Prozent-Anteils wieder verkauft – und alleine für das Ende Juli | |
verkaufte Aktienpaket rund 300 Millionen Euro bekommen. | |
Bis spätestens Oktober 2023 muss der WSF auch noch den verbliebenen | |
9,9-Prozent-Anteil verkauft haben. Der Lufthansa-Vorstand hat ein großes | |
Interesse daran, dass das wesentlich früher geschieht. Denn vertraglich | |
vereinbart ist, dass keine Dividende an die Aktionäre und keine Boni an | |
Führungskräfte ausgeschüttet werden dürfen, solange der Bund noch an dem | |
Konzern beteiligt ist. | |
Jenseits der spezifischen staatlichen Finanzhilfen profitierte die | |
Lufthansa von den aufgrund der [1][Coronapandemie] erweiterten | |
Kurzarbeiter:innenregelungen. In der Spitze hatte sie mehr als | |
80.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, die Agentur für Arbeit übernahm also den | |
Großteil von deren Bezahlung. Der Konzern stockte nur auf, gemäß den | |
Vereinbarungen mit den Gewerkschaften auf zwischen 87 und 90 Prozent des | |
Nettogehalts. | |
Nicht nur dadurch haben die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen | |
maßgeblich zur Rettung der Lufthansa beigetragen. So vereinbarte der | |
Konzern mit Verdi, der Unabhängigen Flugbegleitergewerkschaft UFO und der | |
Vereinigung Cockpit jeweils Krisenpakete, die der Airline Einsparungen in | |
Höhe von insgesamt mehr als einer Milliarde Euro ermöglichten. Dazu gehörte | |
der Wegfall des Urlaubs- und Weihnachtsgelds sowie die temporäre | |
Verringerung des Arbeitgeberanteils zur betrieblichen Altersvorsorge. | |
Bei den Pilot:innen und den Kabinenmitarbeiter:innen kam noch | |
die Aussetzung von vereinbarten Vergütungsanhebungen hinzu. Das war beim | |
Bodenpersonal anders – jedoch nicht zu dessen Vorteil: Im Februar 2018 | |
hatte Verdi mit der Lufthansa für die Beschäftigten am Boden einen aus | |
heutiger Sicht unvorteilhaften Tarifvertrag abgeschlossen. | |
Der Vertrag mit der ungewöhnlich langen Laufzeit von 33 Monaten sah zwei | |
bescheidene Gehaltssteigerungen um je 3 Prozent 2018 und 2019 vor, wobei | |
die zweite Erhöhung gekoppelt war an das Ergebnis der jeweiligen | |
Konzerngesellschaft, bei der die oder der Beschäftigte gearbeitet hat. Das | |
war eine trickreiche Vereinbarung zulasten der Beschäftigten, weil die | |
Lufthansa Gruppe Rekordgewinne schrieb –, aber eben nicht in jeder | |
Tochtergesellschaft. Wer in der „falschen“ war, bekam nur 1,8 Prozent. | |
Warum es Verdi 2018 – einem Jahr, das mit einem Gewinn von knapp 2,2 | |
Milliarden Euro eines der erfolgreichsten in der Geschichte der Lufthansa | |
war – nur bei einer Streikandrohung beließ und die Gewerkschaft damals | |
nicht in einen Arbeitskampf für einen besseren Abschluss ging, ist nicht | |
nachvollziehbar. Die Folgen waren jedenfalls fatal. | |
Denn das hat dazu geführt, dass es bis heute bei Lufthansa-Gesellschaften | |
immer noch Menschen gibt, die für einen Bruttostundenlohn von unter 12 Euro | |
arbeiten müssen, also unter dem ab Oktober geltenden gesetzlichen | |
Mindestlohn. Als der Tarifvertrag Ende September 2020 auslief, war an neue | |
Gehaltstarifverhandlungen nicht zu denken, da ging es nur noch um das | |
Überleben des Arbeitgebers. Statt Lohnerhöhungen gab es Lohneinbußen. | |
Dass nach nur zwei Tarifverhandlungsrunden Verdi das Bodenpersonal für | |
Mitte vergangener Woche zum Warnstreik aufgerufen hat, ist von daher auch | |
als Einlösung einer Bringschuld zu verstehen. Die Gewerkschaft wollte | |
demonstrieren, dass sie es diesmal besser machen wird. Für das | |
Selbstbewusstsein der Bodenbeschäftigten sollte [2][der Warnstreik von | |
Mittwoch]- bis Donnerstagmorgen nicht unterschätzt werden. Mehr als 1.000 | |
Flugausfälle haben sie mit ihrer Arbeitsniederlegung verursacht, betroffen | |
waren rund 134.000 Passagier:innen. | |
Ende Juni hat sich Lufthansa-Chef Spohr in einem Schreiben an die | |
Belegschaft entschuldigt, dass es der Vorstand „an der ein oder anderen | |
Stelle“ mit dem Sparen übertrieben habe. Zu welchen Konsequenzen diese | |
Einsicht führt, wird sich an dem Tarifvertrag ablesen lassen, den Verdi und | |
die Lufthansa möglicherweise an diesem Donnerstag präsentieren werden. Und | |
dann gibt es noch die Verhandlungen mit der Pilot:innengewerkschaft | |
Vereinigung Cockpit. Auch hier wird sich die Lufthansa kräftig bewegen | |
müssen, um einen Streik abzuwenden. | |
3 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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