# taz.de -- Befürchtetes Bahnchaos: Vorzug für Kohlezüge | |
> Der Bund will Energietransporten auf der Schiene den Vorrang geben. Das | |
> ist für Reisende beunruhigend, denn die Bahn ist jetzt schon zu | |
> unzuverlässig. | |
Bild: Die Bahn fährt pro Woche etwa 50 Kohlezüge – sieht mittlerweile nur a… | |
Wer in diesen Tagen mit dem Zug fährt, muss viel Zeit und noch mehr | |
Gelassenheit mitbringen. [1][Das Baustellenchaos der Deutschen Bahn] sorgt | |
für enorme Verspätungen, wegen technischer Probleme fahren etliche Züge | |
schon mit erheblicher Verzögerung los. Wer im Zug sitzt, ist froh, dass der | |
wenigstens da ist. Denn wegen Personalmangels fallen viele Verbindungen | |
einfach aus. Immerhin: Anders als am Flughafen können Reisende den nächsten | |
Anschluss nehmen, und im Abteil sitzend auf freier Strecke zu stehen ist | |
besser als im Auto im Stau zu stecken. Trotzdem: Angesichts der prekären | |
Lage sorgt jede Meldung über weitere mögliche Störfaktoren auf der Schiene | |
bei passionierten Bahnfahrer:innen für Unruhe. | |
Dass die Bundesregierung eine Verordnung in der Mache hat, mit der | |
Energietransporten auf der Schiene Vorrang eingeräumt werden soll, ist so | |
eine Meldung. Der Hintergrund: Mit Blick auf einen [2][möglichen | |
Energieengpass] arbeiten das Bundeswirtschaftsministerium und das | |
Bundesverkehrsministerium an einer Rechtsverordnung, die im Notfall | |
Güterzügen beim Transport von Brennstoffen Vorrang gegenüber anderen Bahnen | |
geben soll. Dabei geht es vor allem um den Transport von Steinkohle. | |
Einzelheiten werden erst nach dem Ende der Ressortabstimmung bekannt | |
gegeben, an der auch das Verbraucher:innenschutzministerium | |
beteiligt ist. | |
Die Initiative wird mitunter in Zusammenhang mit den niedrigen Pegeln auf | |
wichtigen Wasserwegen gestellt. Aber die Verordnung ist schon lange vorher | |
auf den Weg gebracht worden – auch wenn das Transportproblem wegen der | |
niedrigen Wasserstände beklemmend aktuell werden könnte. | |
Unabhängig vom Hintergrund der Verordnung: Die Aussicht auf noch mehr Chaos | |
bei der Deutschen Bahn ist nicht gut für den Blutdruck. Allerdings: Die | |
Zahl der Züge, um die es geht, ist offenbar überschaubar. Die Deutsche Bahn | |
fährt in der Woche etwa 50 Kohlezüge zur Versorgung von 15 Standorten, sagt | |
ein Sprecher von DB Cargo, der innerhalb des Konzerns für Güterzüge | |
zuständigen Unternehmenstochter. Die Kohlekraftwerke haben nach seinen | |
Angaben in der Regel vier bis fünf Blöcke, davon sind oft ein bis zwei in | |
Betrieb. Um die Kapazitäten hochzufahren, brauchen die Kraftwerke mehr | |
Kohle. Die Deutsche Bahn hat im Güterverkehr einen Marktanteil von 48 | |
Prozent. Ausgehend davon, dass sie und die Konkurrenten ihre Kapazitäten | |
verdoppeln, wären das in der Woche rund 200 Kohlezüge. „Das ist sehr | |
überschaubar“, sagt der Sprecher. Denn auf den Schienen sind Zehntausende | |
Züge in der Woche unterwegs. | |
## Das Vertrauen ist begrenzt | |
Doch Anhänger:innen der Schmetterlingstheorie wissen um die große | |
Wirkung, die ein kleiner Flügelschlag auf das Große und Ganze haben kann. | |
Die Sorge, dass sich die Deutsche Bahn ein Vorrangsystem mit erheblichen | |
Kollateralschäden ausdenkt, ist sicher nicht unbegründet. Das Vertrauen in | |
die Problemlösungskompetenz der Deutschen Bahn ist im Allgemeinen zu Recht | |
begrenzt. Wenig vertrauensfördernd ist auch der Schwenk der | |
Bundesregierung. Ursprünglich hieß es, der Personalverkehr werde von dem | |
Vorrang nicht berührt, es gehe nur um die Gütertransporte. Doch jetzt sagt | |
Bundesverkehrsminister Wissing: „Wenn es dazu kommen sollte, dass wir die | |
Priorisierung der Kohletransporte aktivieren müssen, dann kann es dazu | |
kommen, dass am Ende auch ein Personenzug warten muss, denn die Versorgung | |
der Kraftwerke ist vorrangig.“ | |
Eines wird so auf jeden Fall erreicht, sollte die Verordnung zum Einsatz | |
kommen: Die Bahnmanager:innen haben die perfekte Ausrede, wenn das | |
Chaos demnächst noch größer wird – egal ob Kohlezüge tatsächlich Vorfahrt | |
haben oder nicht. Wieso der Verkehrsminister ihnen diesen Gefallen tut, ist | |
schlecht nachvollziehbar. Stattdessen sollte er die Erwartung | |
signalisieren, dass die Deutsche Bahn einmal ein Problem löst, ohne es auf | |
die Fahrgäste abzuwälzen. | |
19 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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