Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Historische Medaille im Turnen: Solo für das Team
> In der deutschen Riege werden die Turnerinnen an allen Entscheidungen
> beteiligt. Der Lohn für diese Praxis der Mitbestimmung ist Bronze bei der
> EM.
Bild: Maximale Konzentration: Elisabeth Seitz punktet für das deutsche Team am…
München taz | Es gibt im Sport manchmal solche Momente: Momente, in denen
man unweigerlich den Eindruck gewinnt, der Ablauf eines Wettbewerbs folge
einem Drehbuch. Das Teamfinale der Turnerinnen bei der EM in München, das
mit der ersten Medaille für ein deutsches Team in der Historie dieses
Wettbewerbs endete, war ein solcher Moment. Eine EM vor heimischem
Publikum, [1][der letzte Auftritt von Kim Bui], ein idealer Einstand für
Bundestrainer Gerben Wiersma. „Es ist großartig“, sagte der Niederländer:
„Ich freue mich unglaublich für die Turnerinnen und auch für die anderen
Trainer, es ist ein wunderbares Team.“
Das Team – um dieses Wort herum war das Drehbuch für den Samstagnachmittag
konzipiert. Dabei ist Turnen ja gerade keine Mannschaftssportart, eine ohne
Pässe, ohne Spielzüge. Es wird auch kein Staffelstab übergeben, der in
anderen Disziplinen aus Solisten zumindest für den Moment ein voneinander
abhängiges Ensemble formt. Die Turnerin betritt allein das Podium und
präsentiert ihr Können. Ein Teamwettbewerb wird das Ganze nur dadurch, dass
am Ende die Summe der einzeln abgelieferten Leistungen addiert wird. So ist
es zumindest auf dem Papier.
Dass die Realität komplexer ist, das erklärten die deutschen Turnerinnen im
Anschluss: „Wir haben uns gegenseitig durch den Wettkampf getragen“,
formulierte es eine überglückliche Kim Bui. Dass es ausgerechnet für sie –
die immer Teamplayerin und so gut wie nie erfolgreiche Solistin war – bei
ihrem letzten Wettbewerb die erste Teammedaille gibt – fast eine zu
perfekte Pointe in einem Drehbuch. „Jeder wusste, dass sein Rücken durch
das Team gestärkt wird, das war heute ausschlaggebend“, urteilte
[2][Pauline Schäfer], die mit einer weltmeisterlichen Balkenübung
beeindruckte.
Elisabeth Seitz erklärte es so: „Klar, sobald man aufs Podium geht, steht
man da alleine. Aber wenn man weiß, dass das ganze Team hinter einem steht,
dann ist das so ein wahnsinnig gutes und beruhigendes Gefühl, dass die
Übung einfach noch besser läuft.“ Sarah Voss, der am Ende des Wettkampfs
ihr Sprung gelungen war, sagte: „Ich hatte vom ersten Schritt bis zur
Landung das Gefühl, dass mein Team mich da durchschreit und mich schweben
lässt.“
## Spannung bis zum Sprung
Am letzten Gerät hatte es auch nicht an filmreifer Spannung gefehlt: An
Italiens Überlegenheit bestand kein Zweifel, aber die Entscheidung um die
Plätze dahinter fiel mit den letzten drei Übungen. In solchen Momenten ist,
auch das mag kurios anmuten, die richtige Strategie gefragt. Was können die
anderen zeigen? Was muss man riskieren, um im Spiel zu bleiben?
Im konkreten Fall: Soll die durch eine Wadenverletzung gehandicapte Sarah
Voss ihren Jurtschenko-Sprung mit einer oder zwei Längsachsendrehungen
anmelden. Eine Drehung, die acht Zehntelpunkte im Schwierigkeitswert
bedeutet. „Unsere Strategie ist voll aufgegangen.“ Gerben Wiersma wirkte
ein wenig erleichtert. Er wusste um die deutlich schwierigeren Sprünge der
Französinn. „Wir haben entschieden, es zu versuchen, das war wirklich
aufregend.“
[3][Gerben Wiersma verfolgt ein Konzept], in dem dieses „Wir“ im
Teamwettbewerb eine entscheidende Rolle spielt. „Ich mache die Vorschläge,
und dann besprechen wir das gemeinsam, insbesondere was die Reihenfolge am
Gerät betrifft, denn ich will, dass die Turnerinnen sich in ihrer Rolle
wohlfühlen.“ So war es dazu gekommen, dass Emma Malewski an zwei Geräten
als erste Turnerin startete.
Die mit 18 Jahren Jüngste hatte diese schwierige Aufgabe nach ein wenig
Bedenkzeit angenommen und bravourös gemeistert. „Ich bin gern am Anfang
dran, dann ist es vorbei“, hatte sie erklärte. Am Samstag blickte Emma
immer wieder ungläubig auf diese Medaille. Auf Nachfrage bekräftigte
Wiersma: „Ja, die Turnerinnen werden in alle wichtigen Entscheidungen
einbezogen.“ Eine klare Haltung, nicht zuletzt angesichts der jüngsten
Debatten über grenzüberschreitendes Trainerverhalten im Frauenturnen. Eine
Haltung, die in Zukunft in keinem Drehbuch fehlen sollte.
14 Aug 2022
## LINKS
[1] /Turnerin-Kim-Bui/!5870733
[2] /Europameisterschaften-im-Turnen/!5762511
[3] /Trainer-Wiersma-ueber-Turnen-und-Qual/!5859625
## AUTOREN
Sandra Schmidt
## TAGS
Turnen
Fußball-EM 2024
Leistungssport
Turnen
Turnen
Turnen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Rudern
Turnen
Turnen
Turnen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Turn-WM in Liverpool: Mit Anlauf zu Olympia
Karina Schönmaier hat sich von einer kleinen Halle in Bremen zur WM
geturnt. Jetzt soll die 17-Jährige endlich an einen großen Turnstandort
wechseln.
Weltmeisterschaften im Turnen: Der vierte Merksatz
Lukas Dauser ist der einzige aus der deutschen Männer-Riege mit
Medaillenchancen bei der WM. Das weiß er und tut alles, um nicht daran zu
denken.
Der Sport und der Globale Süden: Die Welt sind nur wir
Bei der Turn-WM in Liverpool ist nur ein einziges Team aus Afrika
vertreten. Europa durfte mit 13 Equipes anreisen. Der Weltverband will das
so.
Sprinterin mit EM-Ambitionen: Eine Fetzngaudi für Olympia dahoam
Sommer- und Winterolympionikin Alexandra Burghardt träumt nicht nur von
einer Sprintmedaille. Sie wirbt für Olympische Spiele in München.
Enttäuschung bei der Ruder-EM: Verlorener Anschluss
Einmal Bronze – das ist die deutsche EM-Bilanz im Rudern. Die massive
Systemkritik von Ex-Weltmeister Oliver Zeidler wird erst mal abgebügelt.
Turnerin Kim Bui: Letzter Abgang nach fast 30 Jahren
Bei den Europameisterschaften in München verabschiedet sich Kim Bui. Sie
ist die wohl konstanteste deutsche Turnerin der vergangenen Jahre.
Trainer Wiersma über Turnen und Qual: „Spitzenturnen mit Spaß möglich“
Bundestrainer Gerben Wiersma spricht vor den Deutschen Meisterschaften über
Grenzüberschreitungen. Und er erzählt, welche Fehler er gemacht hat.
Europameisterschaften im Turnen: Gegen das Gefühl der Nacktheit
Turnerin Sarah Voss zieht im Ganzkörperanzug die Blicke auf sich. Die
jüngsten Misshandlungsvorwürfe werfen einen Schatten auf die EM.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.