| # taz.de -- taz-Sommerserie Nah am Wasser: Irgendwas ist da unten | |
| > Ein Seemonster in Berlin? Merkwürdige Geräusche im Tegeler See haben | |
| > Soundkünstler auf den Plan gerufen: Sie wollen das Untier mit Musik | |
| > anlocken. | |
| Bild: Ist das Ungeheuer im Tegeler See vielleicht nur ein Wels? Und ist es musi… | |
| Berlin taz | Ein Blubbern und Schnarren ist zu hören, dann ein lang | |
| gezogenes Seufzen, fast schon ein Brüllen. Am 11. Juni dieses Jahres wurden | |
| Unterwasser-Tonaufnahmen im Tegeler See gemacht, auf denen diese seltsamen | |
| Geräusche unklaren Ursprungs festgehalten wurden. Womit haben wir es hier | |
| zu tun? Wer oder was keuchkrächzt da vor sich hin? Sind wir vielleicht | |
| etwas wirklich Außergewöhnlichem auf der Spur? Einem unbekannten Wesen, | |
| einem Seeungeheuer, einem Monster? | |
| Den Komponisten Nico Sauer haben diese Fragen geradezu elektrisiert – er | |
| will es jetzt genauer wissen. Schnell hat er eine Gruppe von Biologen, | |
| Linguisten und Klangforschern um sich geschart und Anfang Juli eine | |
| Forschungsstation im Strandbad Tegelsee eröffnet. Ziel: Kontaktaufnahme mit | |
| dem vermuteten Ding aus den Untiefen – immerhin bis zu 16 Meter – des | |
| Tegeler Sees. | |
| Und wie lässt sich besonders gut mit Wesen unbekannter Herkunft | |
| kommunizieren? Natürlich mit Musik. Das wussten schon die Alien-Forscher | |
| der Nasa, die in den späten Siebzigern ihre Raumsonden Voyager 1 und 2 ins | |
| Weltall schickten, um extraterrestrisches Leben zu erkunden. Mit an Bord | |
| jeweils ein Exemplar der berühmten „Goldenen Schallplatte“: In der | |
| Hoffnung, dass die Aliens schon kapieren, wie sie sich zum Hören ein | |
| passendes Abspielgerät bauen können, wurden darauf Musikstücke von Ludwig | |
| van Beethoven, Chuck Berry und anderen gepresst. | |
| Jetzt müssen die Außerirdischen bloß noch voll auf „Johnny B. Goode“ | |
| abgehen und sich denken: Die Wesen, die so tolle Musik machen, möchten wir | |
| unbedingt mal kennenlernen. Bislang sind auf der Erde nicht viele | |
| Rock’-n’-Roll-Verrückte aus fremden Galaxien aufgetaucht. Kommt aber | |
| vielleicht noch, die Raumsonden sind ja weiterhin unterwegs. | |
| ## Luft holen und hören | |
| Nico Sauer und sein Team haben nun analog zur Nasa-Idee einen wasserdichten | |
| Lautsprecher in den Tegeler See gehängt, aus dem rund um die Uhr 20 | |
| Kompositionen zu hören sind, die von unterschiedlichen Musikern und | |
| Klangforschern angefertigt wurden. Kompositionsauftrag: Die Musik soll | |
| Monster anlocken. 30 Sekunden sind die einzelnen Stücke lang, sodass man | |
| gut mit einmal Luftholen vom Strandbad Tegelsee aus pro Tauchgang je eine | |
| der Nummern unter Wasser hören kann. Mit etwas Glück oder Pech – so ganz | |
| klar ist ja noch nicht, auf was für eine Art Ungeheuer man hier stoßen | |
| könnte – ist man live dabei, wenn zum ersten Mal das Monster oder | |
| vielleicht sogar gleich eine ganze Monsterfamilie heranschwimmt. | |
| Sauer sagt, Gerüchte und Geschichten darüber, dass da irgendwas im Tegeler | |
| See sein könnte, gebe es schon länger. Seit er die Forschungsstation | |
| eröffnet hat, seien auch einige Angler zu ihm gekommen und hätten ihm von | |
| Sichtungen erzählt, die sie sich nicht so genau erklären könnten. Auch | |
| Kinder hätten von unerklärlichen Erlebnissen berichtet. Eines meinte, es | |
| sei im See von etwas an der Wade gezwickt worden, eines will rote Augen | |
| gesehen und eines gehört haben, wie etwas murmelte: „Ich bin so allein.“ | |
| Letztere Aussage würde eher die Theorie vom Einzelmonster bestätigen. | |
| So sehr würde einen auch nicht wundern, ausgerechnet hier auf etwas | |
| Mysteriöses zu stoßen, wenn man bedenkt, dass es in Tegel auch mal gespukt | |
| haben soll. Gemäß dem „Spuk von Tegel“ soll Ende des 18. Jahrhunderts im | |
| Haus des Oberförsters ein Poltergeist dessen Nachtruhe gestört haben. Ein | |
| Ereignis, mit dem sich sogar Goethe in seinem „Faust“ beschäftigte. | |
| ## Nessie und Nahuelito | |
| Eigentlich braucht jeder anständige See ein Monster. Loch Ness hat Nessie, | |
| der amerikanische Eriesee Bessie und im patagonischen Nahuel Huapi soll | |
| Nahuelito sein Unwesen treiben. Dass in japanischen Sümpfen kuriose | |
| Wasserwesen hausen, die Kappas, weiß in Nippon jedes Kind. Sogar über deren | |
| Vorlieben ist einiges bekannt: Sie sollen auf Gurken und Nudeln stehen und | |
| dem Sumo-Ringen einiges abgewinnen können. | |
| Bei der Erforschung seines Seegeschöpfs ist Nico Sauer noch nicht so weit | |
| wie die Japaner. Ihm liegen ja bisher nur die Tonaufnahmen vor. Aber sein | |
| Forschungsteam hat diese ausgiebig ausgewertet. Sein Fazit: Das Monster im | |
| Tegeler See hat wahrscheinlich keinen Fressfeind, kann Schwimmblasen | |
| erzeugen und könnte eine Art reptilienartiger Fisch mit Schnabel sein. Ein | |
| argentinischer Paläokünstler hat auf Basis der Aufnahmen eine spekulative | |
| Zeichnung des Berliner Unterwasserwesens angefertigt: Sie zeigt ein | |
| schuppiges Echsenwesen mit kleinen Reißzähnen. | |
| Auch dass es in anderen Berliner Badeseen Monster geben könnte, wird immer | |
| mal wieder vermutet. Vor ein paar Jahren etwa wurde eine Frau beim Baden im | |
| Schlachtensee von etwas gebissen, seitdem wird gelegentlich von „Nessie vom | |
| Schlachtensee“ geraunt. | |
| Vor allem während des jährlichen Sommerlochs nehmen die gruseligen | |
| Geschichten über Ungeheuer in den Berliner Gewässern zu. Da verirrt sich | |
| beispielsweise ein Pudel im Nass und taucht nicht mehr auf. Meist heißt es | |
| dann, das könne ein Riesenwels gewesen sein, eines dieser Geschöpfe, die | |
| bis zu drei Meter lang werden können und auch auf manchen Angler ganz schön | |
| monstermäßig wirken. Aber machen wir uns nichts vor: Wahrscheinlich muss | |
| man in Berliner Badeseen trotz aller urbanen Legenden immer noch mehr Angst | |
| vor den nervigen Blaualgen als vor irgendwelchen Ungeheuern haben. | |
| Was freilich nicht heißt, dass da doch etwas sein könnte im Tegeler See. | |
| Man kann ja nie wissen. Britische Behörden haben beschlossen, das Monster | |
| von Loch Ness im Fall der Fälle schützen zu wollen. Vielleicht sollte man | |
| auch im Bezirk Reinickendorf schon mal prophylaktisch tätig werden und sich | |
| überlegen, wie mit einem Ungeheuer im Tegeler See umzugehen wäre. | |
| Nico Sauer glaubt jedenfalls daran, dass die erste Monstersichtung kurz | |
| bevorsteht. „Die Intervalle der Lautäußerungen sind kürzer geworden“, | |
| erklärt er. Und sein Team will sogar berechnet haben, dass das Ding genau | |
| am 14. August aus dem Tegeler See auftauchen wird. Man werde es dann | |
| anständig und, wie es sich gehört, mit einem Konzert begrüßen. | |
| „Monstercall“: täglich von 12 bis 20 Uhr im Strandbad Tegelsee. Am 14. | |
| August findet am selben Ort von 14 bis 20 Uhr das Monsterkonzert statt | |
| 7 Aug 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
| ## TAGS | |
| Sommerserie | |
| Gewässer | |
| Tegeler See | |
| Monster | |
| Fische | |
| taz Plan | |
| Wasser | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Sommerliche Fischattacken: Die Welslage | |
| Ein Riesenfisch mit grusligen Barteln macht Schlagzeilen. Dabei geht es dem | |
| Wels bei uns eigentlich sehr gut, profitiert er doch vom Klimawandel. | |
| Kinotipp der Woche: Ungewisse Zone | |
| Das Lichtblick-Kino zeigt mit „Stalker“, „Solaris“ und „Nostalghia“… | |
| Filmklassiker des sowjetischen Sci-Fi-Meisters Andrei Tarkowski. | |
| taz-Sommerserie Nah am Wasser: Schicht für Schicht zum neuen Eis | |
| In den Trainingshallen im Sportforum Hohenschönhausen machen Eismeister aus | |
| Wasser den passenden Untergrund für Eiskunstlauf oder Eishockey. | |
| Sommerserie Nah am Wasser: Kaltes klares Wasser | |
| Rechenaufgabe: 26 Grad in Berlin, die Autorin hat beim Verfassen dieses | |
| Textes drei Liter Wasser getrunken. Wie lang hat das Schreiben gedauert? | |
| Sommerserie Nah am Wasser: Kalt, keimfrei, kostenlos | |
| Der Trinkbrunnenausbau soll in Berlin Zugang zu Wasser für alle | |
| ermöglichen. Zugleich ist er Teil einer politischen Agenda. |