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# taz.de -- Prozess gegen Online-Mobber in Kanada: Gerechtigkeit für Amanda To…
> Vor zehn Jahren hatte sich Amanda Todd nach Belästigung durch einen
> Cyber-Stalker das Leben genommen. Jetzt wurde ihr Peiniger in Kanada
> verurteilt.
Bild: Carol Todd hält ein Foto ihrer verstorbenen Tochter Amanda
Calgary taz | Das [1][Video von Amanda Todd] ging um die Welt. Stumm, nur
mit beschriebenen Karteikarten in der Hand, hatte die Teenagerin die
Öffentlichkeit über Youtube teilhaben lassen an ihrer Tortur. Neun Minuten
lang, Karteikarte für Karteikarte. „Ich habe niemanden“, hatte sie in
kugeliger Mädchenschrift geschrieben „Ich brauche Hilfe.“ Es war ihr
letzter Aufschrei, bevor sie sich ein paar Tage später das Leben nahm.
Knapp zehn Jahre sind vergangen, seit die damals 15-Jährige ihren Hilferuf
ins Netz gestellt hatte und so zum wohl bekanntesten Gesicht der Opfer von
[2][Cyber-Mobbing] wurde. Jetzt wird Todd späte Gerechtigkeit zuteil. Am
Samstag verurteilte ein Geschworenengericht in Kanada den Online-Stalker,
der Todd seinerzeit das Leben zur Hölle gemacht und sie in den Suizid
getrieben hatte.
Das Urteil der Geschworenen war einstimmig, unmissverständlich und kam nach
nur wenigen Stunden Beratung zustande: Am Ende des siebenwöchigen Prozesses
sah es die Jury als erwiesen an, dass der Niederländer Aydin Coban das
Mädchen zwischen 2010 und 2012 online verführte, erpresste, kriminell
belästigte sowie pornografisches Material von ihr gesammelt und
weitergereicht hatte. Das genaue Strafmaß wird später festgelegt.
Coban nahm das Urteil im Gerichtssaal in der westkanadischen Stadt New
Westminster ohne erkennbare Regung auf. In dem Prozess hatte er auf „nicht
schuldig“ plädiert, sich aber zu keinem Zeitpunkt selbst zu den Vorwürfen
geäußert. Seine Verteidiger hatten darauf verzichtet, eigene Zeugen zu
laden, sondern lediglich versucht, Zweifel an der Täterschaft ihres
Mandanten zu wecken. Ohne Erfolg.
## „Hast du mich verstanden, du Miststück?“
Dagegen hatten die Ankläger mit Hilfe von Dutzenden Zeugen und Experten aus
Kanada und den Niederlanden die Leidensgeschichte Todds noch einmal
nachgezeichnet. Anhand von Textnachrichten hatten sie aufgezeigt, wie Coban
das Mädchen aus der westkanadischen Stadt Port Coquitlam erst überredete,
vor der Webcam ihre Brüste zu zeigen, und sie dann ein Jahr später vor
Familie und Freunden bloßstellte, weil sie ihm nicht weiter gefällig war.
„Hast du mich verstanden, du Miststück? Zehn private Shows, dann
verschwinde ich für immer“, soll Coban dem Mädchen unter anderem gedroht
haben. „Hahaha, was für eine H--- sie doch ist“, heißt es in einer anderen
Nachricht Cobans, die den Geschworenen vorgelesen wurde. „Ich hoffe, sie
stirbt“, hatte eine Mitschülerin nach der Veröffentlichung der
Nacktaufnahmen geschrieben.
Vor Gericht hatten Todds Eltern ausführlich geschildert, wie ihre Tochter
von ihren Schulkameraden gehänselt und verspottet wurde. Wie sie fast
täglich Schmähmails bekam, wie sie verzweifelt versuchte, in einer anderen
Schule einen neuen Anfang zu machen, wie sie unter Depressionen,
schlaflosen Nächten und Alkoholsucht litt und einen ersten Suizidversuch
mit Bleichmittel überlebte.
Die leitende Staatsanwältin Louise Kenworthy hatte den Geschworenen 22
virtuelle Identitäten vorgelegt, mit deren Hilfe Coban das Mädchen von
einem Campingplatz in den Niederlanden aus unter Druck gesetzt hatte. Auf
zwei Festplatten des Täters hatten die Ermittler zudem Spuren von Dateien
gefunden, die mit der Teenagerin in Verbindung gebracht werden konnten.
## Für Todds Familie ist der Schuldspruch eine Genugtuung
Für Coban ist das Urteil vom Samstag nicht der erste Schuldspruch: In den
Niederlanden war der heute 44-Jährige bereits 2017 zu zehn Jahren und acht
Monaten Haft wegen Cyber-Mobbing verurteilt worden. Laut dem dortigen
Gericht hatte Coban neben Amanda Todd 34 weitere Mädchen und fünf schwule
Männer aus mehreren Ländern mit Fotos erpresst und zu sexuellen Handlungen
vor der Webcam gedrängt.
Im Dezember 2020 war Coban von den Niederlanden nach Kanada ausgeliefert
worden. Cobans Anwälte wollen nun eine Berufung prüfen.
Für Todds Familie ist der Schuldspruch eine große Genugtuung. In einem
getrennten Verfahren hatte sich die Eltern des Mädchens dafür eingesetzt,
dass trotz der strengen Jugendschutz-Regeln in Kanada über die Details des
Prozesses berichtet werden darf. Damit wollten sie ihrer Tochter posthum
eine Stimme verleihen und andere Jugendliche vor den Gefahren von
Cyber-Mobbing warnen. In Justizkreisen gilt das Verfahren als eine Art
Musterprozess im Kampf gegen Online-Stalking.
Vor dem Gerichtssaal in New Westminster sprach Mutter [3][Carol Todd] am
Samstag von einer gerechten Entscheidung, die es ihrer Familie ermögliche,
nach vorne zu blicken: „Wenn ich Amanda heute eine Botschaft sagen könnte,
dann wäre es die, dass wir immer an sie geglaubt haben. Sie ist nicht mehr
unter uns, aber vielleicht beobachtet sie uns jetzt irgendwo. Das ist heute
ihr Moment.“
7 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=vOHXGNx-E7E
[2] /Mobbing-an-Schulen/!5591659
[3] https://www.youtube.com/watch?v=KcU_20FnESg
## AUTOREN
Jörg Michel
## TAGS
Cybermobbing
Stalking
Kriminalität
Pornografie
Kanada
Niederlande
Urteil
GNS
Schule
Spielfilm
Cybermobbing
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