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# taz.de -- Pressefreiheit in Syrien: Parteiisch, aber unabhängig
> Im Vergleich zu den Nachbarländern herrscht im Nordosten Syriens
> Pressefreiheit. Ein entscheidender medialer Akteur ist das Rojava
> Information Center.
Bild: Ahin Musa (r.) will verlässliche Infos aus dem Krisengebiet liefern
Qamişlo taz | „Manchmal haben wir keinen Strom oder kein Internet,
regelmäßig kommt es zu Schießereien. Das ist zwar meist nichts Großes, aber
man muss immer wissen, was passiert. Dafür ist es wichtig, mit den Menschen
verbunden und für alle Fälle vorbereitet zu sein.“ Diese Sätze sagt,
selbstsicher vorgetragen, Sascha Hoffmann. Der 27-jährige Deutsche lebt
seit eineinhalb Jahren in Nordostsyrien und arbeitet im Rojava Information
Center (RIC). Die unabhängige Medienorganisation mit Sitz in der Großstadt
Qamişlo koordiniert die Arbeit internationaler Journalist*innen und
veröffentlicht auch eigene Inhalte. Seit seiner Gründung 2018 hat sich das
Center zu einem bedeutenden Akteur der [1][lokalen Presselandschaft]
entwickelt.
Eine der Freiwilligen vom RIC ist die Kurdin Ahin Musa, die aus der rund 30
Kilometer von Qamişlo entfernten Stadt Amude stammt und seit drei Jahren im
RIC arbeitet. „Als ich hier angefangen habe, gab es gerade die türkische
Invasion in Serê Kanîyê und Girê Spî. Dabei habe ich selbst gesehen, wie es
zu massiver Gewalt gegen Zivilisten gekommen ist – das wollte ich der
Außenwelt mitteilen.“ Ein politischer Anspruch und Sympathien für Rojava
leiten das RIC.
Rojava – das sind die vorwiegend [2][von Kurd*innen bewohnten Gebiete] im
Norden und Osten Syriens, die sich vor zehn Jahren unabhängig erklärten.
Seitdem versucht dort eine Selbstverwaltung eine basisdemokratische,
geschlechtergerechte und ökologische Gesellschaft aufzubauen, die von
Kommunen und Räten verwaltet wird. Zahlreiche Freiwillige engagieren sich
vor Ort. Dabei spielt auch Medienarbeit eine entscheidende Rolle.
Rojava – das ist aber auch Bürgerkrieg, der Kampf gegen den sogenannten IS,
Besatzung durch die Türkei, Flüchtlingslager, Wasserknappheit sowie weit
verbreitete Armut. Verlässliche Informationen aus Krisengebieten sind
besonders schwer zu bekommen, sagt die 28-jährige Ahin Musa, vor allem wenn
neben seriösen Meldungen gleichberechtigt Desinformationen stehen.
## Angriff und Aufbau
Daher sammelt das RIC Informationen über die Entwicklungen vor Ort und
stellt diese internationalen Journalist*innen zur Verfügung, und zwar
meistens gratis. Man wolle Journalist*innen die Möglichkeit zur
Berichterstattung geben, „vor allem auch kleineren Medienhäusern, die
selbst keine eigenen finanziellen Mittel haben“, sagt Hoffmann. Finanziert
wird das Center hauptsächlich über Spenden, Großspender gibt es nicht. „Wir
wollen nicht an unserer Arbeit verdienen, aber auch wir brauchen Geld,
gerade die lokalen Mitarbeiter. Nur größere Auftragsarbeiten lassen wir uns
bezahlen“, so Hoffmann.
Das RIC entstand nach dem türkischen Angriff auf Afrin 2018. Für die Türkei
ist Rojava ein Ableger der als terroristisch eingestuften Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK). Sie ist daher dreimal völkerrechtswidrig einmarschiert
und hält große Teile der Region besetzt. Das RIC berichtet über
Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Angriffe. Ein weiterer
Schwerpunkt der Berichterstattung ist der Aufbau der Selbstverwaltung:
Berichte gibt es über Genossenschaften, ethnische Minderheiten oder die
lokale Frauenbewegung.
Damit ist das RIC erfolgreich – und international anerkannt: Die Arbeiten
werden von großen Medieninstitutionen wie BBC, CNN oder Zeit zitiert. In
einer Whatsapp-Gruppe mit knapp 400 Journalist*innen veröffentlicht das
RIC regelmäßig eigene Berichte.
Aus [3][Sicherheitsgründen] macht Hoffmann keine Angaben über die Anzahl
der Mitarbeiter*innen, fügt aber mit süffisanten Lächeln hinzu: „Es sind
weniger, als man denkt.“ An Arbeit mangelt es dem RIC nicht. In einem
unscheinbaren Bürogebäude, dass es sich mit anderen Institutionen teilt,
die der kurdischen Freiheitsbewegung nahestehen, sitzen die
Mitarbeiter*innen an ihren Laptops. In zwei Abteilungen wird die
Arbeit organisiert: eine arabisch/kurdisch- sowie eine englischsprachige
Gruppe. „Man hilft sich aber gegenseitig“, sagt Musa.
Der Arbeitsalltag unterscheidet sich dabei zunächst nicht wesentlich von
Medienhäusern in den USA oder Europa. Es wird viel telefoniert, die
Mitarbeiter*innen betreiben eine Homepage und Social-Media-Kanäle,
sitzen im Büro, erstellen Berichte und machen Übersetzungsarbeit. Manchmal
bedeutet dies auch tagelang Layoutarbeit und Fußnotenkorrektur – „aber hier
ist es revolutionär“, fügt Hoffmann lachend hinzu. Andere
Mitarbeiter*innen reisen für Recherchen durch Rojava, was in einem
Kriegsgebiet nicht ganz ungefährlich ist.
Neue internationale Kolleg*innen machen zuerst einen Sprachkurs. „Am
Anfang war es schwer, weil die Länder und Kulturen so verschieden sind“,
erinnert sich Ahin Musa. „Menschen sprechen nicht nur andere Sprachen,
sondern verhalten sich auch anders. Aber das hat sich verbessert.“ Sie
betont einen weiteren Aspekt: „Ich finde es sehr wichtig, das
Internationalisten hier sind. Das ist sowohl gut für die Arbeit, aber es
gibt mir auch viel Kraft, dass immer wieder Menschen nach Rojava kommen.“
Trotz einer politischen Nähe zur kurdischen Freiheitsbewegung betonen alle
Mitarbeiter*innen die Unabhängigkeit des Centers. „Unser Aktivismus,
besteht darin, die Wahrheit zu sagen“, so Hoffmann. Die Wahrheit ist hier –
wie überall – politisch umkämpft.
Vor allem kurdische Medien sind meist eindeutig politischen Akteuren
zuzuordnen. „Man kann relativ genau sagen, welches Medium zu welchem Akteur
gehört.“ Zu diesem Ergebnis kommt Kerem Schamberger und spricht dabei von
„externer“ und „interner Pluralität“. Damit meint er, dass sich politi…
Unterschiede in kurdischen Medien meist nicht innerhalb von Blättern oder
Sendern, sondern zwischen ihnen finden lassen. Der 1986 geborene
Kommunikationswissenschaftler hat jüngst seine Doktorarbeit zur
Medienlandschaft in Kurdistan veröffentlicht.
## Schutz und Zuschuss
Gerade im Vergleich zu den Nachbarländern und dem Rest Syriens besteht in
den Gebieten der Selbstverwaltung eine vielfältige und auch kritische
Medienlandschaft. „Journalist*innen können hier ihre Arbeit ohne große
Einschränkungen machen“, so Schamberger weiter. Die Pressefreiheit ist
sowohl im „Gesellschaftsvertrag“, der Verfassung Nordostsyriens als auch im
neu ratifizierten Mediengesetz vom Sommer 2021 festgeschrieben. Dort heißt
es, dass die Ausbildung von Journalist*innen unterstützt und finanziell
gefördert werden soll. Zudem können Medien von lokalen Minderheiten
bezuschusst werden.
Gleichzeitig ist die Medienlandschaft in Nordostsyrien hoch politisiert.
Mit seiner klaren politischen Haltung ist das RIC daher nicht allein. Auch
ein aktivistischer Hintergrund der Journalist*innen vor Ort ist nicht
selten.
Diese haben häufig selbst Unterdrückung und Vertreibung erfahren. Für Ahin
Musa ist es entscheidend, nicht nur über die lokale Bevölkerung zu
sprechen: „Für uns ist es wirklich wichtig, die Stimmen der Menschen zu
hören und ihre Sichtweisen in den Fokus zu rücken“, sagt sie. Auch Hoffmann
stimmt zu. Er hofft darauf, dass sich das RIC selbst überflüssig macht:
„Ich wünsche mir, dass man das RIC nicht mehr braucht, weil Journalisten
ohne Probleme selbstständig kommen und berichten können.“
7 Aug 2022
## LINKS
[1] /Journalistinnen-in-Syrien/!5851986
[2] /Kurdisch-verwaltete-Region-in-Syrien/!5827362
[3] /Reporter-in-Syrien/!5056160
## AUTOREN
Christopher Wimmer
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