# taz.de -- Regenerative Energien aus Marokko: Grün muss souverän sein | |
> Marokko verspricht sich vom Export klimaneutraler Energieträger nach | |
> Europa Wohlstand. Dabei darf das Land nicht zur Energiekolonie werden. | |
Bild: Solar Park in Quarzazate, Marokko | |
Die Ära des Kolonialismus ist vorbei!“, rief der marokkanische König | |
Mohammed VI. in seiner Eröffnungsrede der UN-Klimakonferenz 2016 in | |
Marrakesch. Hintergrund der königlichen Euphorie waren die sogenannten | |
Freiheitsenergien, wie Christian Lindner klimaneutrale Energiequellen Jahre | |
später taufen sollte. Der marokkanische König nahm den Begriff schon damals | |
wörtlich. Basis der neuen Unabhängigkeit Marokkos sollte seine Rolle als | |
Top-Exporteur von erneuerbaren Energien werden. Vor allem für Europa. | |
Schon früh hatten der Monarch und seine Berater erkannt, dass der | |
Wüstenstaat mit seinen hohen Windstärken und den zahlreichen Sonnenstunden | |
ideale Voraussetzungen zur regenerativen Energiegewinnung bietet. Bereits | |
2009 hatten sie mit der nationalen Energiestrategie die Ära der | |
Erneuerbaren eingeläutet. Mit Blick auf den Meereszugang, die Nähe zum | |
europäischen Kontinent und Löhne in den relevanten Bereichen Transport, | |
Dienstleistungen und Baugewerbe zwischen 360 und 570 Euro im Monat wird | |
klar, weshalb heute auch Deutschland und die EU im Maghrebstaat einen | |
günstigen Energieproduzenten erkennen. | |
Im Jahr 2020 gipfelte schließlich die Vorfreude des marokkanischen Königs | |
auf eine Zukunft als grüne Energiemacht. Die Bundesregierung und das | |
marokkanische Königshaus beschlossen die „deutsch-marokkanische Kooperation | |
zur Produktion von grünem Wasserstoff“. Bis zu 2 Milliarden Euro will | |
Deutschland im Zuge seiner [1][nationalen Wasserstoffstrategie] | |
investieren, um im Gegenzug große Mengen grünen Wasserstoffs aus seinen | |
Partnerstaaten zu importieren. Dieser stellt als Speichermedium und | |
Energieträger ein wichtiges Standbein der EU-Klimaneutralitätsziele für das | |
Jahr 2050 dar. In der Herstellung werden jedoch große Mengen an Solar- oder | |
Windenergie und Wasser benötigt. Zwar wackelte die Energiekooperation der | |
beiden Staaten bereits, weil sich die Bundesregierung kritisch zur | |
marokkanischen Besetzung der Westsahara positionierte, doch die deutschen | |
Bedenken scheinen im Zuge der Energiekrise in den Hintergrund gerückt zu | |
sein. | |
Es hat etwas Zynisches, dass Sonne und Wind, also eben jene Kräfte, die | |
Marokko als Produktionsstandort für Europas Erneuerbare attraktiv machen, | |
am Rande der Sahara immer häufiger für Wassermangel und Dürreperioden | |
sorgen. Franziska Fabritius von dem Ableger der Konrad-Adenauer-Stiftung in | |
Rabat verweist darauf, dass schon heute Marokkaner nunmehr unbewohnbare | |
Landstriche verlassen müssen. Damit trotz des Trinkwassermangels genug | |
Süßwasser für die Wasserstoffproduktion zur Verfügung steht, entstehen nun | |
Entsalzungsanlagen entlang der Mittelmeerküste. Das Fraunhofer Institut | |
kritisiert jedoch, dass diese „neben einem hohen Energieaufwand und | |
CO2-Emissionen auch große Mengen an Rückständen“ entstehen lassen. | |
Auch die Sozialwissenschaftlerin Simone Claar hat Bedenken. An der | |
Universität Kassel forscht sie zu der Frage, wie die „klimapolitische Kluft | |
zwischen Nord- und Südakteuren überwunden werden kann“. Sie treibt die | |
Sorge um, dass Marokko zu einer Energiekolonie Europas wird. Wie Bauke | |
Baumann, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rabat, erklärt, | |
kritisieren auch marokkanische Zivilorganisationen die staatliche | |
Energiepolitik, weil Megakraftwerke ohne Einbeziehung der lokalen | |
Bevölkerung geplant würden, vor Ort kaum Jobs schafften und große Flächen | |
Land unbenutzbar machten. | |
Die Befürchtung, dass ein Transfer von Wissen und Technologie ausbleibt und | |
sich die Abhängigkeit Marokkos von den Industrienationen des Globalen | |
Nordens nicht etwa verringert, sondern gar wächst, ist nicht aus der Luft | |
gegriffen. Obwohl das marokkanische Energieministerium als Betreiber immer | |
noch nahezu Monopolist am marokkanischen Energiemarkt ist, stammen | |
[2][Infrastruktur und Technologie fast ausschließlich aus dem Ausland]. So | |
zeigt eine Zielmarktanalyse der Deutschen Industrie- und Handelskammer aus | |
dem Jahr 2018, dass acht von zwölf marokkanischen Windparks mit Technik von | |
deutschen Unternehmen wie Enercon, Siemens und seinen Tochterfirmen | |
betrieben werden. Kein einziger von einem marokkanischen Unternehmen. | |
Ja, die internationale Zusammenarbeit in Fragen der klimaneutralen | |
Energieversorgung ist alternativlos. Die deutsch-marokkanische | |
Wasserstoffkooperation [3][hat insofern Vorbildcharakter]: Sie ist | |
tatsächlich ein Großprojekt mit dem Potenzial, große Mengen Solar- und | |
Windenergie sowie Grünen Wasserstoff zu produzieren. Es braucht jedoch | |
einen Technologie- und Wissenstransfer, die Einbindung von marokkanischen | |
Unternehmen und der Zivilgesellschaft sowie eine Garantie auf angemessene | |
Löhne und Arbeitsbedingungen im dortigen Energiesektor. Ansonsten könnten | |
zwar die Klimaneutralitätsziele Deutschlands und der EU erreicht werden, | |
das tradierte Abhängigkeitsverhältnis von Staaten des Globalen Südens, | |
denen nichts anderes übrig bleibt, als Arbeitskraft und Ressourcen | |
auszubeuten, um unverarbeitete Güter in den Norden zu exportieren, bliebe | |
jedoch bestehen. | |
Mit seiner Losung „Souveränität durch Ressourcenexport“ ist der | |
marokkanische König nicht allein. Auch der ehemalige ecuadorianische | |
Präsident Rafael Correa hat 2012 bereits angestrebt, durch den Export von | |
Steinkohle und Metallen vor allem in Richtung USA, Unabhängigkeit und | |
Wohlstand zu erreichen. Anfangs schien sein Plan aufzugehen, Armut und | |
Einkommensunterschiede sanken. Doch schließlich brachen die Rohstoffpreise | |
auf den Weltmärkten ein. Das Land war nicht in der Lage, sich neben dem | |
Rohstoffexport weitere lukrative Wirtschaftssektoren zu erschließen, und | |
rutschte in eine tiefe Krise. Sollte Marokko zum großen Energielieferanten | |
Europas werden, muss alles getan werden, um eine solche Entwicklung zu | |
verhindern. | |
7 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Junack | |
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