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# taz.de -- US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan: Zwischenstopp mit Folgen
> Noch ehe US-Demokratin Nancy Pelosi in Taipeh eintraf, ließ Chinas Armee
> Kampfflugzeuge aufsteigen. Und in Taiwan selbst? Gibt man sich gelassen.
Bild: Taipeh am 2. August 2022 vor dem Besuch von US-Demokratin Nancy Pelosi
Seoul taz | Es war der wohl am stärksten antizipierte Flug seit Jahren: Auf
den Online-Tracking-Diensten verfolgten am Dienstag Millionen Nutzer die
„Spar19“-Boeing der US-Luftwaffe, wie sie sich ihren Weg von Kuala Lumpur
nach Taipeh bahnte. Mit im Gepäck: Nancy Pelosi, immerhin dritthöchste
Regierungsvertreterin aus Washington. Ihr seit Wochen hitzig debattierter
Taiwan-Besuch lässt die bilateralen Spannungen zwischen den zwei führenden
Weltmächten auf ein bedrohliches Maß ansteigen. Am Mittwoch soll die
Demokratin gar auf Präsidentin Tsai Ing-wen treffen.
In Peking ließ die Staatsführung keinen Zweifel daran, dass die Vereinigten
Staaten damit eine ihrer berüchtigten „roten Linien“ übertreten.
Außenamtssprecherin Hua Chunying betonte, dass man „entschlossene Maßnahmen
ergreifen wird, um unsere Sicherheitsinteressen zu gewährleisten“. Die
US-Seite werde den Preis dafür zahlen, Chinas Souveränität zu untergraben.
Doch auch unabhängige Beobachter werten Pelosis Reisepläne als überaus
heikel: Staatschef Xi Jinping wirft der US-Regierung bereits seit Jahren
vor, systematisch an der diplomatischen Anerkennung Taiwans zu arbeiten.
[1][Er hat also derzeit einige Gründe, ein nachhaltiges Machtwort zu
sprechen.]
Welche Form dies annehmen wird, lässt sich kaum seriös beantworten – zumal
viele Beobachter erwarten, dass sich die Maßnahmen der Volksrepublik über
Wochen, möglicherweise Monate erstrecken werden. „Die Reaktion Chinas wird
mit ziemlicher Sicherheit auch eine militärische Komponente beinhalten,
sogar Raketentests“, kommentiert Taylor Fravel, Leiter am Institut für
Sicherheitsstudien des MIT.
Die wirtschaftliche Vergeltung hat bereits begonnen. Am Dienstag verbot die
chinesische Zollbehörde kurzerhand 100 taiwanesischen
Lebensmittelexporteuren, Waren in die Volksrepublik einzuführen – angeblich
wegen „veralteter Informationen zu Importdokumenten“. Doch ganz
offensichtlich ist dies nur ein vorgeschobener Grund, denn Peking lässt
immer dann seine ökonomischen Muskeln spielen, wenn ein anderer Staat nicht
nach der eigenen Pfeife tanzt. Zuletzt wurden litauische Firmen mit einem
Importverbot belegt, nachdem Vilnius ein Taiwan-Büro eröffnet hatte.
## Der Zeitpunkt ist besonders heikel
Doch auch die militärische Drohkulisse ist beachtlich. Chinas
US-Botschafter Qin Gang, ansonsten eher moderat im Tonfall, warnte, dass
die Volksbefreiungsarmee einem Besuch Pelosis „nicht tatenlos zuschauen“
werde. Und Journalisten der Staatsmedien debattierten bereits offen
darüber, dass man Pelosis Boeing mit Kampfflugzeugen eskortieren solle oder
gar eine Flugverbotszone rund um Taiwan einrichten müsse.
Der Zeitpunkt von Pelosis Besuch ist auch aus einem trivialen Grund
besonders heikel. Chinas Volksbefreiungsarmee befindet sich nämlich gerade
am Ende ihrer halbjährlichen Übungseinsätze, viele Einheiten sind also
gerade aktiv im Feld – und könnten derzeit problemlos für zusätzliche
Operationen mobilisiert werden. Am Dienstag waren die sozialen Medien
bereits gefüllt mit Handyvideos, auf denen zu sehen ist, wie
Panzerhaubitzen und weitere Militärausrüstung demonstrativ durch die
südöstliche Küstenstadt Xiamen rollt, um sich in Stellung zu bringen. Wenig
später flogen mehrere chinesische Kampfflugzeuge ungewöhnlich nah an die
inoffizielle Mittellinie heran, die als Puffer zwischen Taiwan und China
dient.
Auf Chinas führender Online-Plattform Weibo überbieten sich die politischen
Kommentatoren mit immer kühneren Aussagen. Der Blogger Zhan Hao mit seinen
knapp viereinhalb Millionen Followern schreibt etwa: „China braucht eine
gute Gelegenheit, um Taiwan zu vereinen. Eine gute Gelegenheit ist, wenn
Chinas Volksbefreiungsarmee zum Handeln gezwungen wird – und die Schuld der
militärischen Vereinigung ausschließlich den Regierungen der USA und
Taiwans angelastet werden kann.“ Seine Schlussfolgerung lautet: Der
Pelosi-Besuch ist eine „gute Chance“ für China, der Inselstaat wird Xi
Jinping also de facto auf dem Präsentierteller serviert.
In Taiwan hingegen verfangen die Drohungen überraschend wenig. Auf der
vorgelagerten Insel Kinmen, von deren Küste aus man das chinesische
Festland mit bloßem Auge sehen kann, ließen sich die Touristen zwischen
Museen und Restaurants treiben, so als könnte die geopolitische Krise
gefühlt nicht weiter entfernt sein. In Taipeh verteilten ein halbes Dutzend
Politiker auf offener Straße Tüten mit gebratenem Hühnchen – weil sie in
öffentlichen Wetten die Ankunft Pelosis falsch vorhergesagt hatten. Für die
rhetorischen Warnungen Chinas zeigt man sich vor allem deshalb taub, weil
die kriegspsychologischen Störgeräusche bereits seit Jahrzehnten
unweigerlich zum Alltag auf der Insel gehören.
## Keine gesichtswahrende Lösung
„Die USA sollten sich nicht von einer Diktatur bedrohen lassen“,
kommentiert auch Fang Chen-Yu, Professor an der Soochow-Universität in
Taipeh. Das potenzielle Risiko, welches der Besuch Pelosis darstellt, sei
laut dem Politikwissenschaftler „gering“. Denn noch sei Chinas Militär
nicht stark genug, den Inselstaat einzunehmen. Und die Drohungen, die
Pekings Staatsführung regelmäßig gegen Taiwan ausspricht, würden ohnehin
anhalten: „ob sie nun kommt oder nicht“.
[2][Doch natürlich stellt sich die Frage, was Nancy Pelosi mit ihrer
vorrangig symbolischen Reise nach Taiwan überhaupt bezwecken möchte.] Es
ist zumindest davon auszugehen, dass Pelosi zu gewissen Teilen auf
„persönlich motivierter Mission“ unterwegs ist. Nur zwei Jahre nach der
blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung besuchte die US-Politikerin
den Pekinger Tiananmen-Platz, um vor den Fernsehkameras ein Banner zu Ehren
der verstorbenen Demonstranten zu hissen. 2009 hat sie sich vehement für
die Freilassung des damals inhaftierten Dissidenten und späteren
Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo eingesetzt, der schließlich hinter
Gittern starb. Insofern ist ihr Taiwan-Besuch vor allem ein Zurschaustellen
von Solidarität gegenüber dem demokratisch regierten Eiland. Substanzielle
Zugeständnisse wird Pelosi hingegen nicht liefern können.
Doch die Gefahr besteht nun vor allem darin, dass beide Seiten nur schwer
eine gesichtswahrende Lösung finden werden, um die Krise ohne eine weitere
Eskalation zu beenden. Das gilt auch für Xi Jinping, der wenige Monate vor
dem 20. Parteikongress in Peking seine größte politische Herausforderung
meistern muss. Diese hat mit der stillstehenden Wirtschaft daheim zu tun:
Die „Null Covid“-bedingten Lockdowns und anhaltende Immobilienkrise drohen
die Volksrepublik mittelfristig in eine Rezession zu stürzen. Allzu bequem
wäre es da, die Nationalismus-Karte zu spielen und einen externen
Sündenbock auszumachen.
2 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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