# taz.de -- Die Wahrheit: Jagd auf den russischen Seebären | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (150): Die | |
> nordpazifische Ohrenrobbe ist oft historisch zwischen die Fronten | |
> geraten. | |
Man nennt diese Ohrenrobbe mit wolligem Fell auch „Nördlicher Seebär“. Sie | |
lebt in großen Herden im Nordpazifik und verpaart sich auf den zwei | |
russischen Kommandeurinseln bei Kamtschatka, auf der Tjuleni-Insel vor | |
Sachalin und auf den Pribilof-Inseln nahe Alaska, das bis 1867 russisch | |
war. | |
Die Männchen sind sehr viel größer als die Weibchen, beide haben eine spitz | |
zulaufende Schnauze. Außerhalb der Fortpflanzungszeit ziehen die Seebären | |
weit umher. [1][Laut Wikipedia] legen sie dabei Strecken von 10.000 | |
Kilometern und mehr zurück. Zur Fortpflanzungszeit im Juni finden sich die | |
Bullen auf den Inseln ein. Sie versuchen, sich ein Stück Küste zu sichern. | |
Wenn der Platz eng wird, kommt es zwischen rivalisierenden Männchen zu | |
Kämpfen. Etwa zwei Wochen nach den Bullen treffen die Weibchen ein. Die | |
Stelle, an der sie an Land gehen, bestimmt, zu welchem Harem sie gehören. | |
Ein durchschnittlicher Harem umfasst vierzig Weibchen. | |
Das Fell der russischen Seebären galt den Pelzjägern als das wertvollste | |
unter allen Robben. Im späten 18. Jahrhundert wurden ihre großen | |
Insel-Kolonien im Nordpazifik entdeckt. Während sich die Seebären im Winter | |
zerstreuten, konnten russische, amerikanische, kanadisch-englische und | |
japanische Robbenjäger im Sommer einfach an den Küsten anlegen und Tausende | |
von Robben problemlos abschlachten, wozu sie Männer aus dem Volk der | |
Aleuten anstellten, die sie dafür zum Teil umsiedelten. | |
Verarbeitet wurden die Felle in London. „In der westeuropäischen und | |
US-amerikanischen Populärkultur avancierte die Jacke aus Robbenfell zu dem | |
erkennbaren Symbol der Reichen und Erfolgreichen“, schreibt der | |
Osteuropa-Historiker Robert Kindler in seinem Buch „Robbenreich – Russland | |
und die Grenzen der Macht am Nordpazifik“ (2022): eine „Mikrogeschichte der | |
Verwobenheit konkreter Orte und Akteure in die komplexen und | |
weltumspannenden Dynamiken des Pelzhandels“. | |
## Zwei Kriege mit Japan | |
Das Zarenreich konnte seine weit entfernte Außengrenze Beringmeer mit | |
Beringstraße und Sachalin am Ochotskischen Meer selten und während des | |
Bürgerkriegs sowie in zwei Kriegen mit Japan gar nicht vor den wildernden | |
Robbenschlächtern aus vielen Ländern schützen. Anfangs wurden die Bestände | |
nicht gefährdet, heißt es auf Wikipedia, da die russische Regierung die | |
Fangzahlen einschränkte und zum Beispiel das Töten junger Männchen verbot. | |
Als Alaska 1867 von den USA gekauft wurde, fielen solche Restriktionen weg. | |
Allein in den Jahren 1868 und 1869 wurden 329.000 Seebären auf den | |
Pribilof-Inseln erschlagen. Zudem wurden immer mehr Robben auf See | |
geschossen, wobei viele Tiere untergingen, bevor sie an Bord gehievt werden | |
konnten; zudem waren es oft Weibchen mit einem Kind an Land. | |
Für Robert Kindler war „der Kampf um die Robben ein Konflikt um Macht und | |
Einfluss im Nordpazifik“. Der Historiker David Igler schätzte, „dass die | |
Jagd auf die im Meer lebenden Säugetiere wesentlich dazu beitrug, dass sich | |
bereits im 18. Jahrhundert ‚europäische‘ Infrastrukturen im Pazifik | |
entwickelten.“ | |
## Meereslebewesen | |
Wobei „eine solche Geschichte das Verhalten der Meereslebewesen stets | |
mitdenken“ muss, wie Kindler hinzufügt, seine Archive gaben jedoch meist | |
nur ihre zu- und abnehmenden Zahlen her. Auf den Inseln im Pazifischen | |
Norden waren das neben den Zahlen für die Russischen Seebären die für | |
Seeotter und Blaufüchse. Die Stellerschen Seekühe waren bereits, 27 Jahre | |
nach ihrer Entdeckung 1741 durch den in russischen Diensten Alaska | |
erforschenden Botaniker Georg Wilhelm Steller, ausgerottet worden. Auf | |
einer der Kommandeurinseln hatte Steller selbst noch massenhaft Füchse | |
erschlagen, die ihnen die Vorräte stahlen. Weil sein Kapitän Vitus Bering | |
dort starb, wurde die Insel später nach ihm benannt. | |
Noch heute warnen Kreuzfahrt-Veranstalter ihre Kunden, dass die Füchse auf | |
der Beringinsel, die inzwischen ein Nationalpark ist, ihnen das Frühstück | |
klauen. Sie werden von ihnen inzwischen gefüttert. Auch die Seeotter wurden | |
wegen ihres wertvollen Fells nahezu ausgerottet. | |
Um 1900 waren von den Seebär-Herden auf den Kommandeurinseln und auf | |
Tjuleni nur noch wenige Einzeltiere übrig. Anders auf den von den USA | |
erworbenen Pribilof-Inseln, wo man das Robbenschlachten als erstes | |
verstaatlichte und reglementierte, so dass sich die Bestände der Robben | |
dort langsam erholten. | |
Hinzu kam dann 1911 die zwischen den USA, Russland, Japan und | |
Kanada/England geschlossene „North Pacific Fur Seal Convention“ mit der für | |
alle Robbenkolonien Beschränkungen eingeführt und das Töten auf See | |
verboten wurde. Bis 1940 stieg dadurch der Bestand wieder auf 2,5 Millionen | |
Tiere. Inzwischen ist ihre Zahl jedoch erneut wieder gesunken, was man auf | |
die Überfischung des Beringmeeres sowie auf die Schwertwale (Orcas), die | |
sich von jungen Robben ernähren, zurückführt, so dass die nördlichen | |
Seebären als gefährdet eingestuft wurden. | |
## Die Aleuten | |
Eng mit ihrem Schicksal verknüpft ist das der Aleuten, dem kleinsten Volk | |
der kleinen Völker Russlands, auf den Robbeninseln. Es gab Zeiten des | |
Überflusses und des Hungerns, ganze Dörfer gingen an Alkohol und Syphillis | |
zugrunde. | |
In seinem Buch „Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ | |
(1900) erwähnt Pjotr Kropotkin den Bischof von Ochotsk und Kamtschatka, | |
Venjaminoff: Dieser habe ihm 1864 persönlich versichert, dass er es | |
ablehne, die Aleuten zu taufen, „da die Bekehrten dann mit ihrer | |
eingeborenen Moral brechen, die unter ihnen sehr hoch entwickelt ist“. | |
Für Kindler entwickelte sich das Bewusstsein über die Gefährdung der | |
Pelzrobbe durch enthemmte Märkte paradoxerweise zusammen mit der | |
„Popularität der Robbenpelze“, konkret: die „Tierschutzbewegung“ ersta… | |
Bis hin zur erfolgreichen Brigitte Bardot, was ihr die ehemaligen | |
kanadischen „Robbenschlächter“ (sealer) bis heute nicht verzeihen: „Pelz | |
ist nicht ok!“ | |
Vorbereitet hatte das unter anderem Jack London mit seinem Roman „Der | |
Seewolf“, Rudyard Kipling mit einer Ballade und Herman Melvilles Novelle | |
„Benito Cereno“. | |
Beim Vertrag 1911 ging es zunächst und vor allem um die „Durchsetzung | |
russischer Herrschaftsansprüche am Nordpazifik“ – und das Abschlachten der | |
Robben ging danach auch weiter. Erst als 1993 ein „Naturschutzgebiet“ auf | |
den Kommandeurinseln eingerichtet wurde, war „der Kampf um die Robben | |
vorüber, nicht jedoch die Konflikte um die Zukunft der Inseln“. Ein erster | |
Schritt war, die Kommandeurinseln nach Auflösung der Sowjetunion als | |
„Destination“ vom internationalen Touristenstrom profitieren zu lassen. | |
Heute kommen die in- und ausländischen Touristen über aufgestelzte | |
Holzstege nahe an die Seebärenkolonien heran, ohne sie zu stören. Ein | |
Hubschrauber bringt Interessierte dann auf die Nachbarinsel, wo viele | |
seltene Vogelarten brüten. So eine Kreuzfahrt zwischen Tjuleni, den | |
Kommandeur- und den Pribilof-Inseln kostet rund 10.000 Euro. | |
25 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%B6rdlicher_Seeb%C3%A4r | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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