# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Blinder und ein Sehender | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (147): Partnergrundeln | |
> und Knallkrebse leben in einer merkwürdigen Symbiose. | |
Bild: Ein Zebraknallkrebs auf Partnergrundelsuche | |
„Ein ganz besonderes Schauspiel im Aquarium sind Partnergrundeln und | |
Knallkrebse“, schreibt meerwasser-guide.de. Dieser tropische Fisch kann | |
nicht ohne den Krebs leben. Im Aquarium ist er es, „der sich dem Krebs | |
aufdrängt. Haben die beiden sich gefunden, leben sie fortan zusammen in | |
einer Höhle und halten ständig Kontakt.“ | |
Die Grundel hält mit ihren guten Augen Ausschau nach Feinden und Beute, | |
während der fast blinde Krebs an ihrer gemeinsamen Höhle baut. Bei Gefahr | |
zittert die Grundel mit dem Schwanz, den der Krebs mit seinen „Antennen“ | |
berührt, und zieht sich gegebenenfalls in die Höhle zurück, die vom Krebs | |
über Nacht verschlossen wird. | |
Auf biologie-seite.de heißt es: „Die Knallkrebse, die zur sehr artenreichen | |
Familie der ‚Garnelen‘ gehören, graben umfangreiche Gänge, die eine Länge | |
bis zu einem Meter unter der Sandoberfläche haben. Der Sand wird von dem | |
Knallkrebs auf seiner großen Schere aufgehäuft und nach draußen getragen. | |
Zuvor versichert sich der Knallkrebs durch Berührung seiner Antennen mit | |
dem Schwanz der Grundel, dass vor der Höhle keine Gefahr droht. Die Grundel | |
bewacht den Eingang der Höhle und signalisiert dem Knallkrebs durch ihr | |
Verhalten, dass es draußen sicher ist.“ | |
Überraschenderweise gibt es auch ein umgekehrtes Verhältnis, wie die | |
biologie-seite weiß: „Die blinde Grundel ‚Typhlogobius californiensis‘ l… | |
in den Gangsystemen des Maulwurfkrebses (Callianassa affinis).“ Diese | |
Partnergrundel kann nur so lange sehen, bis sie ihren Knallkrebs gefunden | |
hat, dann erblindet sie. | |
## Feind und Beute | |
Es finden immer nur bestimmte Arten zueinander. Der Maulwurfkrebs gräbt | |
„komplexe Gangsysteme“, wie es im Lehrbuch „Biologische Meereskunde“ von | |
Ulrich Sommer heißt, wobei er im Schlamm auch nach Nahrung sucht. Trotz | |
dieser unterirdischen Tätigkeit ist der Maulwurfkrebs nicht blind, sodass | |
er es also in dieser Symbiose ist, der Feinde und Beute rechtzeitig | |
erkennen muss, soll ihre Kooperation Bestand haben. | |
Auf Wikipedia heißt es über die zu den „Hippoidea“ zählenden | |
Maulwurfkrebse: „Die Antennulen – das erste Antennenpaar – kann bei tief | |
grabenden Arten verlängert sein, um einen Atmungstunnel zu formen. Die | |
Augen der Hippoidea sind variabel. So reicht die Form der Stiele, auf denen | |
die ‚Cornea‘ (die Hornhaut) aufsitzt, von lang, stielförmig bis | |
vergleichsweise kurz und tellerförmig.“ | |
In Gefangenschaft lebt die Partnergrundel mit ihrem Knallkrebs vom selben | |
Fertigfutter und von Krill, wobei der Krebs nachts auf Nahrungssuche geht, | |
im Aquarium hat er normalerweise keine Feinde. Man muss jedoch viel Sand | |
und Korallenbruch ins Becken geben, „sodass er Platz zum Graben hat“. Wenn | |
nicht, sucht er sich das Material mühsam aus den Ecken zusammen. | |
Das Fachmagazin für Meerwasseraquaristik, Koralle, zählt in seiner Ausgabe | |
über „Partnergrundeln“ (6/2017) 14 Arten auf, die Korallenriffe bewohnen | |
und 12, die auf Schluffböden siedeln. Aber es gibt wahrscheinlich noch | |
mehr. Und alle tun sich mit Knallkrebsen zusammen. Da die | |
Partnergrundel-Arten verschiedenen Gattungen angehören, gehen die | |
Wikipedia-Autoren davon aus, dass sich „dieses Verhalten mehrmals | |
unabhängig voneinander entwickelt hat“. | |
Im Handel findet man vor allem „Randall’s Partnergrundel“, die etwa zwölf | |
Zentimeter lang wird, und die etwas kleinere „Wheelers’s Partnergrundel“, | |
beide sind bunt gestreift. Über Erstere heißt es auf riffgrotte.de, dass | |
man sie „auch gut mit größeren Fischen im Aquarium halten kann, sie ist, | |
gerade in Verbindung mit einem Knallkrebs, weniger schreckhaft als andere | |
Grundelarten“. | |
Auf meerwasserforum.de fragt jemand, mit welcher Knallkrebsart er seine | |
Grundel am besten vergesellschaften sollte. Er habe ein Video über diese | |
„Symbiose“ gesehen, aber den Namen des Krebses dabei nicht erfahren. Ihm | |
antwortete eine der in Deutschland eher seltenen Aquarianerinnen, in diesem | |
Fall eine namens „Gaby“, nachdem sie sich das Video ebenfalls angesehen | |
hatte: „Könnte Alpheus ochrostriatus sein. Lebt oft auch mit der | |
Zitronengrundel zusammen. Meiner ist hell mit etwas gelb.“ | |
## Taucher und Schnorchler | |
Über die frei lebenden Grundeln und Krebse schreibt jemand im Forum | |
tauchen-fischbestimmung.de: „Wenn Ihr das nächste mal über eine Sandfläche | |
taucht, haltet einmal Ausschau nach diesen beiden auf dem Photo – der | |
Partnergrundel und ihrem ‚Schatten‘, dem Knallkrebs. Die beiden verbindet | |
eine intensive Symbiose, die leicht von uns übersehen wird, da sie oft auf | |
Sandböden zu finden ist und viele Taucher und Schnorchler die Sandflächen | |
zwischen Korallenblöcken als eher langweilig empfinden … Fehler!“ | |
Was hat es nun mit einer Beziehung auf sich, in der ein Sehender sich mit | |
einem Blinden zusammentut – oder umgekehrt: ein Blinder sich einem Sehenden | |
anschließt? | |
Wir wissen von Hunden, die einen blinden Hund, ihren Freund, über Jahre | |
hinweg begleitet und geleitet haben. Ähnliches gibt es gelegentlich auch | |
bei Huftieren und bei Walen. Ausgerechnet 1933 entstand in Deutschland eine | |
„Abrichte-Methode“ für Hunde, bei der man vom scharfen Hundeführer zum | |
mitdenkenden Führhund (für Blinde) fortschritt. Dem Hund wurde beigebracht, | |
mindestens acht Stunden am Tag sich in der „Umwelt“ wie ein Mensch zu | |
verhalten. | |
Diese „wissenschaftliche Ausbildungsmethode“ wurde am Institut für | |
Umweltforschung in Hamburg von dem Biologen Jacob von Uexküll und seinem | |
Assistenten Emanuel Sarris entwickelt. Laut Uexküll ging es darum, „die | |
Führhundausbildung auf eine ganz neue Basis zu stellen und an Stelle der | |
Dressur die Erfahrung zu setzen …“ Joseph Goebbels tat diese Idee im | |
Völkischen Beobachter als „Kötereien eines deutschen Professors“ ab. | |
Ein Schüler Uexkülls, Heinz Brüll, entwickelte dessen Ausbildungsmethode | |
nach dem Krieg weiter. Auf Basis dieser Arbeiten gibt es heute die „Schulen | |
der Jakob von Uexküll-Gesellschaft für Qualitätsausbildung von | |
Blindenführhunden“. Die Ausbildung eines anerkannten Blindenführhundes | |
beginnt bereits als Welpe, dann kommt er ein Jahr zu einer Adoptionsfamilie | |
und dann braucht sein neuer Herr, der Blinde, noch ein Jahr, bis er sich | |
einigermaßen auf den Hund verlassen kann. | |
Silvana Calabrò bezeichnet seine „Ausbildung“ im Unterschied zum | |
„Abrichten“ (von Hunden für Sehende) in ihrer veterinärmedizinischen | |
Dissertation „Der Blindenführhund – Aspekte einer besonderen | |
Mensch-Tier-Beziehung in Geschichte und Gegenwart“ (1999) als ein | |
„Objekt-verknüpftes Lernen im Gegensatz zum Mann-verknüpften-Lernen“. Das | |
Herr-Knecht-Verhältnis bleibt dabei bestehen, die Beziehung von | |
Partnergrundeln und Knallkrebsen scheint gleichberechtigter zu sein. | |
13 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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