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# taz.de -- Die Wahrheit: Flieg, Russischer Bär, flieg!
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (149): Der auffällig
> gefärbte Nachtfalter ist die Attraktion einiger griechischer Inseln.
Bild: Vagabundiert gern: Der Russische Bär
Der Russische Bär (Euplagia quadripunctaria) ist ein Nachtfalter, eine
Motte also, und gehört zu den Bärenspinnern. In Europa gibt es etwa 3.500
Schmetterlingsarten, von denen 90 Prozent nachtaktiv sind. Der
„vagabundierende Wanderfalter“ Russischer Bär hat schwarze Vorderflügel m…
weißen Streifen und orange Hinterflügel mit schwarzen Flecken und ist vor
allem in Süd- und Mitteleuropa verbreitet, nach Norden hin soll es ihn bis
zum Harz geben. Der Nabu schreibt über ihn: „Die auffällige Färbung ist ein
Warnsignal an potenzielle Feinde und soll Ungenießbarkeit oder sogar
Giftigkeit signalisieren.“
In Deutschland gilt der Russische Bär als gefährdete Art, dort hat er zudem
mehrere Namen, die laut zobodat.at für Verwirrung sorgen: „Die EU hat
Euplagia quadripunctaria in die FFH-Artenschutzrichtlinien aufgenommen. Man
munkelt, dass sie nicht ‚Russischer Bär‘ in ihrem Regelwerk stehen haben
wollte.“
Wir sahen den Russischen Bären kürzlich auf der kleinen griechischen Insel
Paros. Dort ist er eine Attraktion, die in jedem Reiseführer erwähnt wird,
denn die Insel hat ansonsten nicht viel mehr zu bieten als die Schiffe, den
Hafen und das Meer.
Erst eroberten die Phönizier Paros, dann die Athener, dann die Perser, die
Makedonier, die Römer, die Goten, die Byzantiner, die Sarazenen und Araber,
die Venezianer, die Türken, die Russen, dann erneut die Türken. Und
zwischendurch überfielen immer wieder Piraten die Insel. Nach der
Griechischen Revolution wurde Paros 1830 dem griechischen Nationalstaat
angeschlossen, im Zweiten Weltkrieg besetzte die italienische Armee
mithilfe der deutschen Wehrmacht die Insel.
## Oase im Schmetterlingstal
Von 5.000 v. Chr. bis ins 19. Jahrhundert hatten es beinahe alle Eroberer
außer auf einige Erzlager und Marmor auf die Bäume dort abgesehen – für den
Bau ihrer Schiffe, die sie dann gegeneinander kämpfend im Mittelmeer
versenkten. Übrig blieb ein weitgehend karges Land, nur stellenweise
bewachsen von Dornensträuchern und Sukkulenten – bis auf ein winziges Tal,
in das sich ein Gebirgsbach ergießt. Dort stehen zwischen bunten Blumen
alte Bäume, Zypressen, Lorbeer und Feigen, aber auch Olivenbäume, Platanen
und Obstbäume. Ein kühles Wäldchen, das ist das „Schmetterlingstal
Petaloudes“, in dem sich ab Juni, wenn es drückend heiß wird, einige
Tausend Russische Bären versammeln. Mit den Worten von natura2000.rip.de:
„Während der heißen Jahreszeit wechseln sie ihren Aufenthaltsort. Sie
fliegen zu schattigen, feuchten Stellen, um der Hitze und intensiver
Sonnenbestrahlung zu entgehen“ – eben in diese kleine Oase.
Die Falter kommen einzeln oder in kleinen Gruppen und fliegen im Tal ihrer
Wahl dann nicht mehr gern herum, sondern sitzen am liebsten auf den
Efeublättern an den Baumstämmen und kommunizieren schweigend über Gerüche,
weswegen Besucher, die auf Eseln nach sieben Kilometern vom Hauptort
Parikia dort hingelangen, gebeten werden, „nicht zu pfeifen und nicht in
die Hände zu klatschen oder sie sonst wie zu stören“.
Im August verpaaren sich die Russischen Bären, danach verschwinden sie aus
dem Tal, um irgendwo auf der Insel ihre Eier an Pflanzen abzulegen. Die
behaarten Raupen schlüpfen im September und überwintern, bevor sie sich im
Frühjahr des folgenden Jahres in einem weiß-grauen Gespinst am Boden
verpuppen. Ihre Metamorphose zum Schmetterling ist im Mai abgeschlossen.
Dann machen sie sich nächtens auf den Weg in ihr Tal. Wir sahen einen auf
den Nadeln einer großen Pinie im Bergdorf Lefkes sitzen, wo er anscheinend
einen Zwischenstopp eingelegt hatte.
Die Bewohner von Paros sind wohl gerade wegen der Kargheit ihrer Insel
große Floraliebhaber: Überall um und an ihren Häusern wachsen die schönsten
blühenden Pflanzen, die zum großen Teil mit Leitungen automatisch bewässert
werden. Gewächse, die wir nur als kümmerliche Topfpflanzen kennen, wachsen
sich hier zu hohen Bäumen aus, wir saßen mehrmals in einem Restaurant unter
zwei Gummibäumen, deren Stämme unten so dick waren, dass eine Person sie
nicht umfassen konnte.
Auf der einst mit Paros verbundenen und jetzt vorgelagerten kleinen Insel
Antiparos ist es architektonisch sogar strikt vorgeschrieben, dass die
Häuser weiß, die Fenster und Türen blau und die Höfe und Gärten „full of
flowers“ sein müssen, wie es in einem Reiseführer heißt. Vielleicht liegt
diese gestalterische Strenge daran, dass auf Antiparos Hollywoodprominenz
Urlaub macht und Tom Hanks ein Haus auf der Insel besitzt, weswegen der
lokale Buchladen seine Autobiografie gleich ein halbes Dutzend Mal anbietet
und alle Waren dort inzwischen sehr viel teurer als auf der Hauptinsel
sind.
## Insel ohne Möwen
Neben den vielen Pflanzen findet man auf Paros und Antiparos an jedem Haus
mindestens anderthalb Katzen sowie einige Spatzen und Tauben. Das ist schon
fast die gesamte Fauna der zwei Inseln, von ein paar kleinen Eidechsen
abgesehen, die gelegentlich einen Russischen Bären fressen. Da das Meer
überfischt ist, gibt es auch so gut wie keine Möwen mehr.
Im Tal der Schmetterlinge findet sich auf einer Informationstafel der
Hinweis, dass nur die Raupen nachts fressen – und zwar Blätter von
unterschiedlichen Pflanzen, anfangs vor allem Kräuter. Die ausgewachsenen
Schmetterlinge nehmen keine Nahrung und auch kein Wasser mehr zu sich. Auf
Wikipedia heißt es jedoch: „Im Gegensatz zu anderen Bärenspinnern besitzen
sie, wie auch der verwandte Schönbär, einen gut ausgebildeten Saugrüssel,
der es ihnen ermöglicht, Nektar von Blüten zu saugen, was diese so
auffällig gefärbten Nachtfalter regelmäßig auch tagsüber tun.“ Man sollte
meinen, dass die im Schmetterlingstal von Paros Beschäftigten es besser
wissen als die Wikipedia-Autoren.
Es gibt noch ein weiteres kühles Tal für die Russischen Bären – auf Rhodos.
Dort, so heißt es auf schmetterlingeinwildauundberlin.de, „bietet der
Orientalische Amberbaum sowohl den Schmetterlingen als auch ihren Raupen
Nahrung“. Das vergrößert die Verwirrung jedoch eher, ebenso wie die
dazugehörige Bemerkung des Nabu: „Der Russische Bär gilt bei uns nicht
unbedingt als gefährdet, er findet sich aber regional in den Roten Listen.
Zudem hat er EU-weit besondere Bedeutung im Naturschutz, denn er ist in der
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) als sogenannte prioritäre Art
aufgeführt – möglicherweise ein Irrtum, weil man eigentlich nur eine auf
Rhodos vorkommende Unterart meinte.“
Auf dem sieben Kilometer langen Weg zum Tal der Schmetterlinge auf Paros,
den man ab Mitte Juni auch auf einem Esel erreichen kann, befindet sich ein
Café. Es öffnet aber leider erst, wenn alle Russischen Bären in ihrem Tal
angekommen sind und der Esel-Shuttle dorthin in Betrieb genommen wird. An
der Mauer des Cafés hatte jemand einen Spruch gesprüht – auf Griechisch.
Wir fotografierten ihn und ließen ihn uns übersetzen. Da stand der berühmte
Satz von Wolfgang Schäuble: „Ein Giros-Konto ist bei uns nicht Ouzo.“
11 Jul 2022
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Tiere
Biologie
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