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# taz.de -- Waffengesetze in den USA: „Wir verlangen Veränderung“
> Der US-Präsident hatte Hunderte Überlebende von Schusswaffenmassakern
> geladen. „Sie müssen mehr tun“, klagte der Vater eines getöteten Jungen.
Bild: Manuel Oliver im Garten des Weißen Hauses am Montag
New York taz | „Es gibt nichts zu feiern“, erklärte Manuel Oliver am
Montagmorgen in einem Interview des TV-Senders CNN. Wenige Stunden später
unterbrach der Vater des bei einem Schulmassaker im Februar 2018 in
Parkland (Florida) ermordeten Joaquin eine Rede von Joe Biden im Garten des
Weißen Hauses.
Während der US-Präsident ein Gesetz, das ein paar neue Kontrollen für
Schusswaffen einführt, als „echten Fortschritt“ pries, rief der Vater
dazwischen: „Nicht annähernd genug. Sie müssen mehr tun!“ Auf seinem
T-Shirt prangte das Bild seines toten Sohnes und die Aufschrift: „Wir
verlangen Veränderung!“
Biden hatte Hunderte Überlebende und Angehörige von Opfern von
Schusswaffenmassakern zu der Zeremonie geladen. Er wollte das Ende Juni in
Kraft getretene neue Gesetz feiern. In seiner Ansprache lobte der Präsident
eine „Kooperation beider Parteien“. Er sprach von einem „Berg, der in
Bewegung geraten“ sei.
Nach fast drei Jahrzehnten Blockade in den USA ist das Gesetz tatsächlich
die erste legislative Reform bei der Schusswaffenkontrolle, zu der sich der
Kongress zusammenraufen konnte. Aber es bleibt weit hinter den Hoffnungen
der Schusswaffengegner zurück.
## Kein Verbot halbautomatischer Waffen
Es sieht lediglich strengere Prüfungen von Waffenkäufern unter 21 Jahren
vor, öffnet den Weg, um potenziell gefährlichen Personen Schusswaffen
wegzunehmen und führt neue Strafen für illegale Schusswaffengeschäfte ein.
Darüber hinaus stockt es die Mittel für die Betreuung von psychisch Kranken
und für Programme gegen Gewalt an Schulen auf.
Aber das Gesetz enthält weder ein Verbot von halbautomatischen Sturmwaffen,
noch die Verpflichtung zu Backgroundchecks bei allen
Schusswaffentransaktionen.
Dem Gesetz gingen zwei schwere Massaker im Mai voraus. Am 14. Mai erschoss
ein Teenager in einem Supermarkt in Buffalo (Bundesstaat New York) zehn
Menschen. Wenige Tage später ermordete ein anderer junger Mann an einer
[1][Grundschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde] 19 Kinder und zwei
Lehrer. Beide Täter benutzten auch Sturmwaffen vom Typ AR-15.
Während die US-Öffentlichkeit erneut schockiert war, verlangte Präsident
Biden vom Kongress das lang überfällige Verbot von halbautomatischen
Sturmgewehren und strengere Background-Checks. [2][Beide Forderungen sind
in den USA mehrheitsfähig]. Sie werden seit Jahren von Schusswaffengegnern
formuliert.
## Elf Millionen Sturmgewehre in privater US-Hand
Die meisten Politiker der Demokratischen Partei sowie eine Mehrheit der
US-Bevölkerung unterstützen sie. Selbst eine Mehrheit von privaten
Schusswaffenbesitzern hat Verständnis dafür. Doch die Umsetzung im Kongress
scheitert regelmäßig am Widerstand fast aller Republikaner und einiger
weniger Demokraten.
Anders als seine Amtsvorgänger schaffte Biden es immerhin, im Kongress eine
Mehrheit für eine Schrumpfversion des von ihm gewünschten Gesetzes zu
bekommen. Doch er gesteht selbst ein, dass sehr viel mehr nötig ist.
Schon mehrere US-Präsidenten haben versucht, halbautomatische Sturmgewehre
aus dem Verkehr zu ziehen. 1994 unterzeichnete Bill Clinton ein
entsprechendes Gesetz. Doch es war auf zehn Jahre befristet. Seit 2004
dürfen die Waffen, die ursprünglich für militärische Kampfsituationen
entwickelt worden sind, in den USA wieder verkauft werden.
Nach Schätzungen des TV-Senders CBS befinden sich heute weit über elf
Millionen dieser Sturmwaffen in den Händen von Privatleuten im Land. Die
Industrie und ihre verschiedenen Lobbyorganisationen, die insbesondere auf
der politischen Rechten großen Einfluss haben, verteidigen den Besitz
dieser und anderer Schusswaffen als ein Grundrecht.
Das mehrheitlich konservativ besetzte [3][Oberste Gericht] unterstützt sie
darin. Erst im Juni erklärte es ein Gesetz im Bundesstaat New York für
verfassungswidrig, weil es das verdeckte Tragen von Schusswaffen strengen
Regeln unterwirft.
## Mehr als 120 Schusswaffen auf 100 US-Bürger
Die USA haben die am stärksten privat bewaffnete Bevölkerung des Planeten.
Da es keine lückenlose Erfassung von Schusswaffen gibt, kann die Gesamtzahl
in den Händen von Zivilisten nur geschätzt werden. Im Jahr 2018 fand das im
schweizerischen Genf ansässige Forschungsinstitut Small Guns Survey heraus,
dass sich 393 Millionen Schusswaffen in US-Privathaushalten befanden. Damit
kamen schon damals mehr als 120 Schusswaffen auf 100 Einwohner. Seither hat
der Schusswaffenverkauf in den USA weiter zugenommen.
Auch die Zahl der Schusswaffenopfer in den USA erklimmt jedes Jahr neue
Höhen. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC kamen im Jahr 2010
insgesamt 30.000 Menschen an Schusswaffengewalt (Selbstmorde inklusive) ums
Leben. 2018 waren es bereits 38.000.
Bei seiner Zeremonie für das neue Gesetz versprach der US-Präsident, dass
er sich weiter für ein Verbot von Sturmwaffen einsetzen wird. Den
Republikanern warf er „Skrupellosigkeit“ vor. Unterdessen wurde der Vater
des ermordeten Jungen, der nicht länger auf die Reform warten will, aus dem
Garten des Weißen Hauses heraus geleitet.
12 Jul 2022
## LINKS
[1] /Massaker-an-Grundschule-in-Texas/!5857166
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
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