Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Netflix-Serie „King of Stonks“: „Wir sind die Geilsten!“
> Derbe und maximal hyperreferentiell. „King of Stonks“ portraitiert die
> Welt der Finanzdienstleistungen. Ähnlichkeiten zu realen Fällen wie
> Wirecard? Rein zufällig!
Bild: Porträtiert die Welt der Finanzdienstleistungen: Netflix' King of Stonks
„Ähnlichkeiten mit anderen Betrugsfällen sind rein zufällig.“ Wann immer
einem Programm so eine Einblendung vorangestellt ist, weiß man als
Zuschauer natürlich: Das Gegenteil ist der Fall. Auch in der neuen
Netflix-Serie „King of Stonks“, die sich einem Programmierer und einem CEO
widmet, der Finanzwelt und dem Betrug.
Die Ähnlichkeit des Global Economic Forum in Genf mit dem [1][World
Economic Forum in Davos] ist genauso „zufällig“ wie die der CableCash AG
mit einem realen, inzwischen abgewickelten Finanzdienstleister. Der
Betrugsfall ist – natürlich – der Fall Wirecard. Mehrere Dokumentationen
und ein leidlich misslungenes Doku-Drama mit Christoph Maria Herbst hat es
bereits gegeben. Was noch fehlte, war die grell-nihilistische Aufbereitung
der Posse à la „Schtonk!“ oder „[2][The Wolf of Wall Street]“. Genau an
diesen beiden Vorbildern scheinen sich die Macher von „King of Stonks“
orientiert zu haben. Und der Streaming-Anbieter Netflix – gerade hat er
einen Dokumentarfilm zum Geiseldrama von „Gladbeck“ in sein Sortiment
aufgenommen – taucht einmal mehr in die Untiefen der jüngeren deutschen
Vergangenheit ein.
Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer haben mit ihrer bildundtonfabrik für
Netflix bereits „[3][How to Sell Drugs Online (Fast)]“ besorgt – Käßboh…
ist nun auch der Headautor von „King of Stonks“. Als Regisseur haben sie
Jan Bonny engagiert, der an der Kunsthochschule für Medien Köln gerade
fertig war, als sie dort mit ihrem Studium anfingen. Bonny hat sich bislang
nicht eben mit leichter Kost profiliert – vielmehr gilt er nach seinem
„Polizeiruf“ „[4][Der Tod macht Engel aus uns allen]“ und der
Ani-Verfilmung „[5][Wir wären andere Menschen]“ als Fachmann für die
düstersten Seiten der Bundesrepublik. In beiden Filmen hieß der
Hauptdarsteller Matthias Brandt. Man kennt sich, das Casting dürfte sich
erübrigt haben – auch beim zweiten „King of Stonks“-Hauptdarsteller Thom…
Schubert, der bereits in Bonnys Film „Wintermärchen“ spielte.
Was soll man sagen: Die Papierform könnte vielversprechender kaum sein –
das Ergebnis bleibt hinter den Erwartungen nicht zurück (und wurde bereits
mit dem Bernd Burgemeister Fernsehpreis ausgezeichnet). „King of Stonks“
ist auf die denkbar derbste Weise komisch und dabei so maximal
hyperreferentiell, dass man irgendwann schon anfängt Referenzen zu sehen,
die vielleicht gar nicht als solche gemeint sind. Das falsche Gebiss und
die Grunzlaute von Matthias Brandt: Soll da etwa Horst Schlämmer zitiert
werden – oder hat man sich einfach nur – ironisch versteht sich – aus der
Mottenkiste des komischen Fachs bedient?
„Nicht gerade der CEO, den man im Vorstand eines deutschen
Finanzdienstleisters vermutet. Aber neben CEOs seiner Generation, die Autos
oder riesige Penis-Raketen ins All schießen, wirkt er doch eigentlich ganz
normal“, tönt es in einem kurzen Erklärstück aus dem Off. Dazu werden in
Staccato-Schnittfolge Bilder von Richard Branson, Elon Musk und Jeff Bezos
eingeblendet. Auf den extravaganten Mark-Zuckerberg-Ritt auf einem
Hydrofoil-Surfboard will dieser ganz normale CEO dann aber doch nicht
verzichten, zum Spott eines Late-Night-Show-Hosts, den Christian Tramitz
genau in der Mitte zwischen Harald Schmidt und Jan Böhmermann gibt. Und der
Hoodie, in den sich der CEO vor öffentlichen Auftritten zwängt, erinnert
schon sehr an den neuen Look des vorletzten Bild-Chefredakteurs nach dessen
Rückkehr von einer Dienstreise nach Palo Alto.
Apropos Bild: Einen Journalisten gibt es in der Serie auch. Der war, so das
Erklärstück, „Professor für Wirtschaftsjournalismus, bis er mit Sheila
geschlafen hat. Man darf ja gar nichts mehr heutzutage. Jetzt ist er freier
Wirtschaftskorrespondent, träumt aber immer noch davon, seinen Ruf
wiederherzustellen. Ein Artikel, der den größten Visionär des Landes als
Betrüger entlarvt, wäre dafür ein guter Anfang.“
Der völlig enthemmte Brandt als eben jener Visionär, Betrüger und CEO –
„Wir sind wirklich die Geilsten! Wir kaufen die Deutsche Bank!“ – braucht
ein bodenständigeres Gegenüber, mit dem der Zuschauer sich identifizieren
kann. Hier kommt nun Thomas Schubert als COO ins Spiel. Ob der ehemalige
Wirecard-COO Jan Marsalek sich die Serie in seinem mutmaßlichen Moskauer
Versteck ansieht? Er sollte sich nicht zu viel einbilden auf die
Darstellung des COO als „Brain“ des Unternehmens. Das hat hier rein
dramaturgische Gründe.
7 Jul 2022
## LINKS
[1] /Zukunft-des-Weltwirtschaftsforums-Davos/!5826302
[2] /Filmstart-The-Wolf-of-Wall-Street/!5051054
[3] /Serie-How-to-Sell-Drugs-Online-Fast/!5695830
[4] /Polizeiruf-110-aus-Muenchen/!5063338
[5] /Ani-Verfilmung-im-ZDF/!5700232
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Serien-Guide
Wirecard
Netflix
TV-Serien
Serien-Guide
Fake News
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Serie „Herzogpark“ bei RTL+: Schickeria ohne Schmäh
Morde und Geheimnisse: „Herzogpark“ will sich über die Münchner High
Society lustig machen. Doch die Serie auf RTL+ verhebt sich.
BBC-Serie „Chloe“ bei Amazon Prime: Stalkerin in Maske
In der Serie „Chloe“ legt sich eine junge Frau eine neue Identität zu und
versucht so den gesellschaftlichen Aufstieg. Das führt zu Problemen.
Netflix-Dokuserie „Web of Make Believe“: Fische im weltweiten Netz
Hass, Gewalt, Tote: „Web of Make Believe“ spürt den Folgen digital
verbreiteter Fehlinformationen nach – und fragt, wie man ihnen begegenen
soll.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.