# taz.de -- Göttingen spart Gas: Appell zeigt Wirkung | |
> In der Göttinger Zentralmensa sind dauerspülende Riesenmaschinen in | |
> Betrieb und verbrauchen jede Menge Energie. Die Mensa macht nun früher | |
> zu. | |
Bild: Auf dem Weg zur Mensa in Göttingen | |
GÖTTINGEN taz | So groß wie zwei Seminarräume zusammen ist der Spülbereich | |
der Göttinger Zentralmensa. Jörg Magull hat sich einen weißen Kittel | |
übergeworfen und führt entlang der zwei Spülmaschinensysteme, die jeweils | |
rund acht Meter lang und vier Meter breit sind. „Ich brauche Ihnen gar | |
keine konkreten Zahlen zur Leistung nennen, Sie sehen ja die Dimensionen“, | |
sagt der Geschäftsführer des [1][Studentenwerks Göttingen]. Silbern glänzen | |
die Abdeckungen der einzelnen Spülschrittanlagen, Wasserdampf zischt, | |
Geschirr klirrt. Doch zur Anschauung, wie das Tablett mit schmutzigem | |
Geschirr nun seinen Spülweg durch die einzelnen Stationen nimmt, braucht es | |
ein bisschen Wartezeit – es hat gerade anscheinend niemand ein Tablett auf | |
das Laufband gestellt, das das dreckige Geschirr aus der Mensa über ein | |
Förderband nebenan in den Spülbereich transportiert. | |
Aber es ist auch erst halb zwölf vormittags, die Zentralmensa der | |
Universität Göttingen – kurz: Z-Mensa – öffnet gerade ihre Türen. Es ist | |
Montag, seit heute läuft kein Gas mehr über die Pipeline Nord Stream 1. Ob | |
durch sie nach der angekündigten Wartung wieder Gas nach Deutschland | |
geliefert wird, ist unklar. Erst in ein paar Tagen wird darüber Gewissheit | |
herrschen, wenn die Wartungsarbeiten abgeschlossen sind und sich zeigt, ob | |
Putin den Hahn zugedreht lässt. | |
Beim Studentenwerk Göttingen herrscht nicht erst seit Montag mittelschwere | |
Panik. Vorige Woche beschloss Magull, die Öffnungszeiten der Z-Mensa zu | |
verkürzen. Statt um 17 Uhr schließt das Mensapersonal die Glastüren zur | |
Essensausgabe nun schon um 14.30 Uhr. | |
Eine Lappalie, mag man sich denken. Fies vielleicht für langschlafende | |
Langzeitstudent:innen. Jörg Magull nimmt diese Änderung jedoch ziemlich | |
ernst, er hat sie schließlich zu verantworten. | |
## Wegen der angespannten Lage | |
Denn einerseits: [2][Da war der Appell] von Wirtschaftsminister Robert | |
Habeck (Grüne). „Er hat alle aufgerufen, Gas zu sparen“, sagt Magull. „D… | |
machen wir nun.“ In Deutschland herrscht seit dem 23. Juni die Alarmstufe | |
des Notfallplans Gas. Die Versorgungssicherheit sei zwar gegenwärtig | |
gewährleistet, aber die Lage angespannt, sagte Habeck an jenem Tag. Die | |
Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen des Notfallplans. Ende März war | |
bereits die erste, die Frühwarnstufe, ausgerufen worden. | |
Zum anderen ist es nicht allein die Überzeugung, dass Habecks Appell | |
sinnvoll ist. Die nackten Zahlen der Tabelle, die in Magulls Händen auf | |
einem Zettel stehen, sprechen für ihn eine klare Sprache. Bei rund 300.000 | |
Euro lagen die Energiekosten zum Betrieb der Uni-Gastronomie bislang pro | |
Jahr. Nach gegenwärtigem Stand müsse das Studentenwerk ab dem 1. Januar | |
2023 mit etwa 460.000 Euro rechnen. „Ob Gas, Strom oder Fernwärme – uns | |
wurden schon massive Preiserhöhungen von unseren Versorgern angekündigt“, | |
sagt Magull. | |
Nach Habecks Appell und den gleichzeitig eintrudelnden Mitteilungen | |
[3][über die Preiserhöhungen] rief Magull seine Energieexperten zusammen. | |
Wo können wir Energie sparen, sollte die Runde beantworten. | |
In der Mensa ist es der Dampf, der zum Kochen und Spülen gebraucht wird. | |
Erhitzt wird der Dampf durch Gas. Die geschirrspülenden Riesenmaschinen | |
müssen durchgehend laufen, solange Tabletts mit Tellern und Schüsseln voll | |
Mahlzeiten ausgereicht werden. Denn auch wenn gerade kein Geschirr | |
gewaschen werden muss, laufen die Rollbänder weiter, wird Dampf produziert, | |
muss das Spülwasser auf nahezu 100 Grad Celsius weiterbeheizt werden. | |
Der Betrieb dieser Ungetüme ist das Problem, seitdem Energie aus Gas | |
plötzlich nicht mehr spottbillig und ohne Ende verfügbar ist. Am Nachmittag | |
ist die Auslastung nicht sonderlich hoch, auch immer noch ein wenig wegen | |
der Folgen der Pandemie. Jeder Kubikmeter Gas, den das Studentenwerk jetzt | |
einspart, hilft, dass drastischere Maßnahmen ab dem kommenden Jahr | |
verhindert werden, so Magulls Überzeugung. | |
## Viele Gespräche geführt | |
Die Befürchtung, dass die Maßnahme nicht gut ankommt, merkt man Magull an. | |
Die Empörung schlägt im Universitätsstädtchen schnell hoch: Dass in der | |
Z-Mensa die Currywurst künftig vegan ist, hat im vergangenen Herbst für | |
eine mittelschwere Empörungswelle bei Teilen der rund 40.000 Studierenden | |
gesorgt. Dieser Schreck steckt dem Göttinger Studentenwerk noch in den | |
Knochen. | |
Viele Gespräche hat Magull deshalb in den vergangenen Tagen geführt, | |
wiederholt er mehrfach, und es wurde versucht, die Maßnahme umfassend auf | |
den relevanten Kanälen zu begründen. „Instagram, Facebook, Youtube“, zäh… | |
Magull auf. | |
Diesmal bleibt der Aufschrei aus. Fragt man die kleineren und größeren | |
Gruppen von Studierenden, die vom Unifoyer die Treppe hoch zur Mensa | |
nehmen, was sie von der Maßnahme halten, erntet man kollektives | |
Schulterzucken. „Gibt Schlimmeres“, sagt einer von ihnen und erzählt seinen | |
Kommiliton:innen dann weiter davon, dass er gerade – hoffentlich im | |
Rahmen des Medizinstudiums – einen Darm seziert habe. | |
## Das Gas in Niedersachsen | |
Alle brauchen jetzt dringend Gas, nicht nur in Göttingen, der Unistadt in | |
Niedersachsen. Dabei spielt die Debatte über den richtigen Weg aus der | |
Gaskrise vor allem in diesem Bundesland: Der Bau des LNG-Terminals zum | |
Import von Flüssigerdgas läuft im niedersächsischen Wilhelmshaven nun auf | |
Hochtouren und die überwiegende Menge heimischen Gases lagert in | |
Niedersachsen. [4][Auch mittels Fracking] soll dieser Schatz nach dem | |
Willen mancher geborgen werden, um das russische Gas zu ersetzen. | |
Alles lieber weiter wie gehabt, bitte – das ist das Credo der einen Seite. | |
Und andererseits wird gesagt: Wir müssen jetzt überall einsparen, soweit | |
das möglich ist. Eine Einsicht, die sich dieser Tage immer mehr | |
durchzusetzen scheint, nicht nur in der Göttinger Mensa. Kommunen kündigen | |
an, die Wassertemperatur in den Schwimmbädern niedriger zu halten, Ampeln | |
sollen nachts abgeschaltet werden. Der Bundestag und die Länderparlamente | |
äußerten sich ebenfalls über erste Pläne, dass ja die Raumtemperatur in den | |
Abgeordnetenbüros etwas weniger gekühlt sein könnte. | |
Jeden Tag ploppen nun ähnliche Meldungen überall aus Deutschland auf. Das | |
Göttinger Studentenwerk war eine der ersten öffentlichen Einrichtungen, die | |
Einsparungen ankündigten. | |
Es sind die ersten Zeichen, die öffentlichkeitswirksam gesetzt werden. Wie | |
hoch die Gaseinsparung durch die Maßnahme sein wird, weiß Magull noch | |
nicht. Es gebe wegen der vergangenen beiden Pandemiejahre keine sinnvollen | |
Vergleichswerte. „Es ist, wie es ist“, sagt er schulterzuckend. „Wir | |
schauen jetzt jeden Tag, was wir noch machen können.“ Später zeigt er im | |
großen Speisesaal an die Decke. „Was fällt Ihnen auf?“ Ah, die | |
Deckenbeleuchtung ist gar nicht angeschaltet. Beschwert habe sich darüber | |
bislang auch noch niemand. | |
Um 14.28 Uhr tritt eine der Mensaangestellten zur Eingangstür. „Wer noch | |
etwas zu essen haben will, hat noch zwei Minuten, dann schließe ich“, ruft | |
sie gut gelaunt. Eineinhalb Minuten später: „Schnell!“, ruft sie einer | |
jungen Frau laut zu, die gedankenverloren die Treppe hinaufspaziert. Die | |
schaut entsetzt hoch und beschleunigt ihr Schritttempo. „Wir haben doch nur | |
noch bis 14.30 Uhr auf“, erklärt ihr die Mensafrau, als sie an ihr | |
vorbeihechelt. Auch die Mensaangestellte – an deren Arbeitszeit trotz der | |
verkürzten Öffnungszeiten aber nicht gespart wird – entschwindet danach zur | |
Essensausgabestelle und schließt die Glastür hinter sich ab. Einige | |
Sekunden später steht eine andere Studentin vor der verschlossenen Tür und | |
dreht entnervt ab. | |
Um kurz nach 15 Uhr stellen die letzten Studierenden ihre Tabletts auf das | |
Förderband. Keine drei Minuten dauert es, bis sie eine der Spülmaschinen | |
durchlaufen haben. Dann können sie für heute abgestellt werden. | |
17 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.studentenwerk-goettingen.de/ | |
[2] /Energie-sparen-in-Kriegszeiten/!5861271 | |
[3] /Hohe-Energiepreise-in-Deutschland/!5864052 | |
[4] /Energiegewinnung-durch-Fracking/!5848832 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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