| # taz.de -- Steinmeier im Ahrtal: Leuchttürme und Schlammreste | |
| > Der Bundespräsident besucht das Ahrtal am Jahrestag der Flutkatastrophe. | |
| > Er trifft auf Hoffnung und bittere Enttäuschung. | |
| Bild: Malu Dreyer und Frank-Walter Steinmeier am Donnertag in Dernau | |
| Ahrtal taz | Der Bundespräsident spricht von „Leuchttürmen“ des | |
| Wiederaufbaus. Am ersten Jahrestag [1][der Flut, die allein im Ahrtal 134 | |
| Menschen das Leben gekostet hat], ist Frank-Walter Steinmeier an die | |
| Schauplätze der Katastrophe und des Neuanfangs gereist. Erste Station am | |
| Vormittag die Weinlounge Weineck in der Seilbahnstraße 15 in Altenahr. | |
| In dieser Ortsgemeinde an der spektakulären Ahrschleife war in der | |
| Flutnacht kaum ein Haus ohne schwere Schäden davongekommen. Gebäude wurden | |
| von den Wassermassen unterspült, auch drei massive Straßen- und | |
| Eisenbahnbrücken von der Flut weggespült. Viele Menschen kamen in den | |
| Fluten ums Leben. | |
| Auch die betagten Väter der Gastgeber, der Eheleute Andrea und Wilfried | |
| Laufer, haben die Sturzflut der Ahr am 14. Juli letzten Jahres nicht | |
| überlebt. Eine Inschrift „Ewig unvergessen Juli 2021“ neben dem Fenster im | |
| ersten Stock erinnert an den Seniorchef der Weinstube, der hier zuletzt | |
| lebend gesehen wurde. Er wurde Tage später ahrabwärts tot aufgefunden. | |
| An der Ahr ist der Jahrestag natürlich ein „Tag der Erinnerung und des | |
| Schmerzes“, wie der Präsident feststellt. Doch er will erkennbar mit seinem | |
| Besuch auch ein Signal der Hoffnung geben. In den 365 Tagen nach der Flut | |
| ist aus dem stark beschädigten und verschlammten Haus in der Seilbahnstraße | |
| eine schmucke Weinboutique entstanden. | |
| ## Nebenan die Ruinen | |
| Das Haus der Laufers war [2][nicht einmal versichert]. Doch gerade deshalb | |
| sind sie jetzt weiter als andere. Die üppigen Spenden und die beachtlichen | |
| staatlichen Hilfsfonds können nur ausgezahlt werden, wenn Versicherungen | |
| nicht einspringen. Bis die entsprechenden Bescheide vorliegen, können | |
| Monate vergehen. Doch Laufers konnten ohne Rücksicht auf eine Versicherung | |
| mit staatlicher Hilfe durchstarten. Zudem kam eine Crew von freiwilligen | |
| HelferInnen aus Dormagen in NRW an jedem Wochenende und packte an. Weil es | |
| die nötigen Bauhölzer nicht gab, besorgte sie Wilfried Laufer persönlich | |
| aus Österreich. | |
| Auf der mit großen roten Schirmen überdachten Terrasse trifft das | |
| Staatsoberhaupt in einer Runde mit der rheinland-pfälzischen | |
| Ministerpräsidentin Malu Dreyer ehrenamtliche Helfer, | |
| KommunalpolitikerInnen, den Geschäftsführer einer psychiatrischen Klinik | |
| und einen Seelsorger. Über eine Stunde berichten sie dem Präsidenten über | |
| ihre Erfahrungen. | |
| „Vieles ist neu entstanden, wir wissen, dass noch viel zu tun ist“, sagt | |
| der Präsident später in die Mikrofone der mitgereisten Journalisten. Rund | |
| um den „Leuchtturm“, die schicke Weinlounge, finden sie Anschauungsmaterial | |
| für die Ernüchterung. | |
| Das „Begegnungscafé“, das AktivistInnen vom „Hoffnungswerk“ auf der an… | |
| Straßenseite betrieben hatten, ist auch ein Jahr nach der Flut noch eine | |
| unansehnliche Baustelle. Türen und Fenster sind mit Spanplatten verrammelt. | |
| Das Nachbarhaus, von dessen Balkon ein Schild „Ferienwohnungen und | |
| Gästezimmer“ verspricht, sind mit Plastikplanen geschlossen. Das Weingut | |
| daneben ist schon ein bisschen weiter, das Wohnhaus ist eingerüstet, und | |
| vor einem halbwegs fertiggestellten Kellergebäude stehen neue Eichenfässer | |
| auf der Straße. | |
| ## Es fehlen Psychotherapeuten und Handwerker | |
| Gegenüber der liegt der Friedhof, den die Flut in eine Schlammwüste | |
| verwandelt hatte. Von der Friedhofsmauer sind nur Bruchstücke erhalten. Die | |
| Gräber dahinter sind allerdings gepflegt, Blumen blühen, die Grabsteine | |
| sind wieder aufgestellt. Am Ende der Straße sind dagegen Schutthaufen zu | |
| sehen und ein leerstehendes Haus mit gähnenden Fensteröffnungen. Die | |
| Schlammspritzer der Flutnacht reichen noch immer bis in den ersten Stock. | |
| Gastgeber Wilfried Laufer, der seine neue Weinlounge zum Wochenende nach | |
| der Gedenkfeier mit einem Helferfest eröffnen will, strotzt vor Optimismus. | |
| In der Runde mit HelferInnen und den kommunalpolitisch Verantwortlichen | |
| klingen allerdings die Enttäuschungen an, die nach der ersten Euphorie | |
| überall spürbar werden. Die ehrenamtlichen Bürgermeister berichten von | |
| Menschen, die bis heute noch keinen Plan für ihre Zukunft haben, die sich | |
| noch immer in einem „mentalen Tal“ befinden. | |
| HelferInnen suchen die Flutopfer inzwischen in ihren Häusern auf, um mit | |
| ihnen zusammen die Anträge für die Aufbauhilfen auszufüllen. „Mein Nachbar | |
| weigert sich trotzdem, der will sich nicht helfen lassen“, berichtet einer. | |
| Vor allem die Alten seien oft überfordert. | |
| Der Klinikchef berichtet über die vielen Menschen, die unter | |
| posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Es fehlt an Psychotherapeuten | |
| aber auch an Handwerkern, der Bauboom und exorbitante Preissteigerungen | |
| machen den Betroffenen zu schaffen. Allein die Gemeinde Altenahr müsse | |
| Investitionen „im Volumen von sechzig Jahreshaushalten“ stemmen, berichtet | |
| der Ortsbürgermeister. | |
| Es fehlt nicht so sehr an Geld wie an den Verwaltungsangestellten, die die | |
| Genehmigungs- und Vergabeverfahren abwickeln können. „Es geht nicht schnell | |
| und unbürokratisch, sagen Sie es, sonst wird der Graben größer“, appelliert | |
| der katholische Geistliche Georg Meyrer an die Gäste aus Berlin und Mainz. | |
| Der Bundespräsident fährt weiter nach Dernau, zu einem von der Flut | |
| verwüsteten Holzfachbetrieb. „Die Holzwürmer“ der Schreinerei Rönnefahrt | |
| haben angepackt, auch ihr Unternehmen in Dernau ist ein Leuchtturm oder das | |
| Vorzeigeweingut Meyer-Näkel nebenan. Der Aufbau wird länger dauern als | |
| angenommen, diese Erkenntnis nimmt Steinmeier mit nach Berlin. Am Abend | |
| wird er an einer Gedenkfeier für die Opfer in Nordrhein-Westfalen | |
| teilnehmen. | |
| Zur Trauerfeier an der Ahr kommt auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch sein | |
| Besuch unterstreicht Steinmeiers Botschaft aus Altenahr: „Wir werden euch | |
| nicht vergessen!“ | |
| 14 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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