# taz.de -- Humanitäre Krise in Syrien: Moskaus Veto beendet Syrienhilfe | |
> Bisher überlebten Millionen Menschen in Syrien nur dank Hilfsgütern, die | |
> die UN aus der Türkei brachten. Damit könnte nun Schluss sein. | |
Bild: Erst ein Sandsturm, dann der Hunger? Kinder in einem Flüchtlingslager in… | |
BERLIN taz | Mit dem [1][Krieg in der Ukraine] und dem weltweiten Anstieg | |
der Lebensmittelpreise [2][verschärft sich auch die Lage in Syrien]: Die | |
Menschen haben Mühe, ihre Familien zu ernähren, und im nicht von der | |
Regierung kontrollierten Nordwesten des Landes kann mehr als die Hälfte | |
ihren täglichen Bedarf an Brot nicht decken. Und ausgerechnet nun läuft | |
eine UN-Resolution aus, die humanitäre Hilfe für Millionen Syrer*innen | |
in Nordwestsyrien sichert. | |
Die Regelung erlaubte es bisher UN-Hilfswerken, Medizin, Decken und andere | |
Hilfsgüter auch in Gebiete Syriens zu bringen,die nicht von der Regierung | |
kontrolliert werden. Doch Russland blockierte am Freitag mit seinem Veto im | |
UN-Sicherheitsrat die Verlängerung der entsprechenden Beschlüsse. Als | |
Hauptunterstützer des syrischen Machthabers Baschar al-Assad bemüht sich | |
Russland seit Längerem um eine Schließung der Hilfsroute über die Türkei | |
und verlangt, dass Transporte ausschließlich über Damaskus und andere | |
syrische Regierungsgebiete erfolgen. | |
Der Vorschlag zur einjährigen Verlängerung der Syrienhilfe außerhalb des | |
Regierungsgebiets, den Irland und Norwegen ausgearbeitet hatten, bekam zwar | |
13 Ja-Stimmen, China enthielt sich, doch Russland stimmte dagegen. | |
Russlands stellvertretender UN-Vertreter Dmitry Polyanskiy sagte, Russland | |
werde gegen jeden Entwurf ein Veto einlegen – außer gegen den eigenen. | |
Der russische Vorschlag sah eine sechsmonatige Verlängerung und dann eine | |
neue Abstimmung vor, es wurde auch stärker betont, die [3][Rückkehr des | |
Regimes] in die nicht von ihm kontrollierten Gebiete zu unterstützen. Doch | |
dieser Resolutionsentwurf scheiterte am Freitag ebenfalls, da nur Russland | |
und China dafür stimmten. Die Vetomächte USA, Großbritannien und Frankreich | |
stimmten dagegen, während sich die restlichen zehn Ratsmitglieder der | |
Stimme enthielten. | |
## „Ein dunkler Tag für den Sicherheitsrat“ | |
Polyanskiy schlug vor, dass ein anderes Mitglied den russischen Entwurf | |
erneut zur Abstimmung bringt. Er kritisierte seine westlichen | |
Kolleg*innen und sagte, es stimme nicht, dass Russland gegen die | |
Grenzhilfe sei. Anders sah das die US-Botschafterin bei den Vereinten | |
Nationen, Linda Thomas-Greenfield. „Dies ist ein dunkler Tag für den | |
Sicherheitsrat“, sagte sie bei der anschließenden Pressekonferenz. | |
„Heute hat ein Mitglied des Sicherheitsrates sich aktiv dafür entschieden, | |
[Syrer*innen] von der Lieferung von Windeln, Essen, Medizin und anderen | |
wichtigen Hilfsgütern abzuschneiden.“ Der Vorschlag der Verlängerung um ein | |
Jahr sei schon ein Kompromiss gewesen. „Es tut mir leid. Wir werden weiter | |
mit der humanitären Gemeinschaft zusammenarbeiten, um weiterhin humanitäre | |
Hilfe an das syrische Volk zu leisten“ sagte sie. Die Grenze mache nicht | |
zu, sondern es ende der effektive UN-Mechanismus, über den Hilfe käme. | |
Fast 10.000 mit humanitärer Hilfe beladene UN-Lastwagen passierten letztes | |
Jahr den Grenzübergang Bab al-Hawa aus der Türkei in Richtung der Region | |
Idlib, dieses Jahr waren es bisher 4.600. Es ist der einzige Übergang, über | |
den [4][Hilfe nach Idlib] gebracht werden kann, ohne durch Gebiete zu | |
navigieren, die von syrischen Regierungstruppen kontrolliert werden und | |
damit von deren Wohlwollen abhängig zu sein. 2,4 Millionen Menschen wurden | |
nach UN-Angaben auf diesem Weg mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern | |
versorgt. | |
Die Hilfsoperation ins syrische Rebellengebiet ist schon länger umstritten, | |
dieses Jahr gerät sie in die Spannungen zwischen Russland und dem Westen | |
aufgrund des Krieges in der Ukraine. Ursprünglich lief diese Hilfe über | |
drei Grenzübergänge. Im Juli 2020 legten China und Russland ihr Veto gegen | |
eine UN-Resolution ein, die noch zwei Grenzübergänge von der Türkei für | |
humanitäre Hilfe nach Idlib aufrechterhalten hätte. Tage später genehmigte | |
der Rat die Lieferung von Hilfsgütern dann nur noch über einen Übergang: | |
Bab al-Hawa. | |
## Letzter Lastwagen passiert die Grenze | |
In einem Kompromiss mit Russland wurde das einjährige Mandat [5][am 9. Juli | |
2021 um ein Jahr verlängert.] In Ermangelung einer neuen Verlängerung endet | |
dieses Mandat jetzt in der Nacht von Sonntag auf Montag. Nach UN-Angaben | |
passierte der letzte Lastwagen am Freitagmittag die Grenze, die am Samstag | |
aufgrund des Eid-Festes geschlossen wurde. Für den Fall, dass der | |
Sicherheitsrat nicht handelt, haben Hilfsorganisationen etwa drei Monate | |
Vorräte vorpositioniert. | |
Russland argumentiert, dass die UN-Hilfsoperation die Souveränität Syriens | |
verletze. Mehr Hilfe solle aus dem Inneren des Landes geliefert werden. | |
Doch dadurch würden die Lieferungen unter die Kontrolle der Regierung | |
fallen – alle Hilfsgüter auch für Menschen im Rebellengebiet müssten erst | |
einmal von Regierungsbehörden genehmigt werden. Und bei einer | |
sechsmonatigen Verlängerung, wie von Russland vorgeschlagen, würde die | |
Hilfe im Januar 2023 auslaufen, mitten im tiefsten Winter. | |
Wird die Hilfe nicht verlängert, wäre das eine „Katastrophe“, sagte der | |
stellvertretende UN-Regionalkoordinator für humanitäre Hilfe, Mark Cutts, | |
der taz. Derzeit seien kleinere Hilfswerke nicht in der Lage, mit der | |
grenzüberschreitenden UN-Operation mitzuhalten. Seit der ersten Resolution | |
im Jahr 2014 hätten die Vereinten Nationen über 50.000 Lastwagen mit | |
humanitärer Hilfe über die türkische Grenze geschickt. „Mit mehr Mitteln | |
können wir in Zukunft noch mehr für die Regenerierung grundlegender Dienste | |
wie Gesundheit und Bildung tun. Vor allem müssen wir helfen, dass wieder | |
mehr Kinder zur Schule gehen.“ | |
10 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[2] /Elfter-Jahrestag-des-Syrienkonflikts/!5842376 | |
[3] /Russland-und-Syrien/!5653102 | |
[4] /UN-Hilfskoordinator-ueber-Idlib-Einsatz/!5784426 | |
[5] /UN-Hilfe-fuer-Syrien/!5784780 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Vereinte Nationen | |
Idlib | |
Russland | |
GNS | |
Syrien | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Türkei | |
Feinde der Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schul- und Lehrermangel in Syrien: Große Pläne, keine Ressourcen | |
Im syrischen Idlib fehlt es Schülern an allem: heilen Gebäuden, Lehrkräften | |
– für deren Bezahlung kein Geld da ist. Die Analphabetenrate steigt. | |
+++ Nachrichten zum Ukraine-Krieg +++: Gas soll ab Donnerstag kommen | |
Nach den Reparaturen soll wieder Gas durch Nord Stream 1 geliefert werden. | |
Russland greift erneut Donezk und Charkiw an. | |
Mögliche türkische Offensive in Syrien: Erdoğan gegen alle | |
Der türkische Präsident bereitet offenbar eine neue Offensive gegen die | |
kurdische YPG in Syrien vor. Davor warnen Russland und die USA. | |
Journalist*innen in Syrien: Sie werden nicht verstummen | |
Im Arabischen Frühling haben sich in Syrien neue, unabhängige Medien | |
gegründet. Trotz des Kriegs sind viele noch aktiv. Wie frei können sie | |
berichten? | |
Tod auf dem Weg zur Schule in Syrien: „Wann wird dieser Krieg enden?“ | |
Syriens letzte Rebellenhochburg Idlib wird immer wieder von der | |
Regierungsarmee angegriffen. Wie vier Kinder auf dem Schulweg ums Leben | |
kamen. |