# taz.de -- Forschung in Oldenburg: Gesponnene Messungen | |
> Forschende aus Oldenburg haben erstmals Spinnennetze zur Messung von | |
> Mikroplastik in der Luft eingesetzt. Sie fanden Reifenabrieb und | |
> Textilfasern. | |
Bild: Untersuchungsobjekt: Nicht nur Wasser fängt sich in Spinnennetzen, sonde… | |
BREMEN taz | Es sind Kunstwerke, in stundenlanger Beinarbeit mit vielen | |
Metern Baustoff sorgfältig konstruiert, dennoch ständig achtlos oder gar | |
mutwillig zerstört – dabei sind [1][Spinnennetze und ihre Erbauerinnen] | |
unheimlich nützlich. Jährlich fressen Spinnen mehr Fleisch als Menschen. | |
Ohne sie würden uns Horden von Insekten die Felder leer fressen oder mit | |
Krankheiten infizieren. | |
Die Netze von Spinnen fangen durch ihre klebrigen Fäden [2][aber nicht nur | |
Insekten] auf – sondern alles Mögliche, was durch die Luft fliegt. Dass | |
dabei auch Schadstoffe hängen bleiben, haben sich Forschende am Institut | |
für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg nun zunutze | |
gemacht. In einer neuen Studie haben sie zum ersten Mal die Konzentration | |
und Zusammensetzung von Mikroplastik in der Luft mithilfe von Spinnennetzen | |
gemessen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science of the Total | |
Environment veröffentlicht. | |
„Unsere Studie könnte eine sehr praktikable Screeningmethode sein“, sagt | |
Barbara Scholz-Böttcher, Geochemikerin und Leiterin der Studie. Die | |
Wissenschaftler:innen sammelten die Netze an Bushaltestellen | |
unterschiedlich stark befahrener Straßen in Oldenburg. Dort seien die Netze | |
in Kontakt mit der Luft, witterungsgeschützt und hingen in einer | |
vergleichbaren Höhe – ungefähr im Atembereich von Menschen, erklärt | |
Scholz-Böttcher. | |
Im Labor wurden die Teilchen in den Netzen mit Mikroskop und | |
Massenspektrometer untersucht. Ein Großteil von ihnen bestand aus dem Stoff | |
TWP (kurz für „Tire Wear Particles“), der aus Reifenabrieb stammt. Neben | |
vielen anderen Kunststoffen fanden die Forschenden auch | |
Polyethylenterephthalat, kurz PET, das in einem Fall fast neun Prozent des | |
Gesamtgewichts des Netzes darstellte. [3][Das PET stammt vermutlich nicht | |
aus alten Einwegflasche]n, sondern aus Mikrofasern in Kleidung oder | |
Reinigungsfasern. | |
## Die Messung in der Luft fängt gerade erst an | |
Je nach Standort der Bushäuschen unterscheidet sich auch die | |
Zusammensetzung der Kunststoffe im Netz, erklärt Scholz-Böttcher. „TWP | |
dominiert vor allem nahe stark befahrener Straßen und nimmt in Wohngebieten | |
sehr stark ab. Dort dominiert PET.“ Hiervon und auch von der [4][Menge an | |
PET] sei sie selbst überrascht gewesen, sagt die Mikroplastik-Expertin, die | |
2019 in einer anderen Studie das kulinarisch geschätzte „Fleur de Sel“ | |
untersuchte. In sämtlichen Proben fanden die Forschenden dabei Mikroplastik | |
in weitaus höheren Konzentrationen als in üblichem Kochsalz. | |
Kunststoffe werden in der Umwelt kaum abgebaut, stattdessen werden die | |
Teile immer kleiner. Bisher wird Mikroplastik vor allem [5][in Gewässern] | |
und zunehmend auch in Böden untersucht. Die Messung von Mikroplastik in der | |
Luft fange gerade erst an, erklärt Ulrike Braun, Chemikerin am | |
Umweltbundesamt. „Man merkt, dass sich in diesem Bereich gerade etwas | |
verschiebt.“ Studien, die Mikroplastik auch in entlegenen Gebieten wie der | |
Arktis oder den Alpen nachweisen, zeigen, dass die Partikel über die Luft | |
weite Strecken zurücklegen können. Ulrike Braun nennt als Beispiel den | |
[6][Saharastaub]: „Wenn der es bis zu uns schafft, schaffen das diese | |
Partikel auch.“ | |
Wie genau Mikroplastik auf unseren Körper wirkt, ist bisher noch unklar. | |
Einen pauschalen Grund zur Panik sieht die Chemikerin aber nicht: | |
„Kunststoff ist ein extrem wichtiges Material. Das Problem liegt darin, wie | |
wir ihn nutzen.“ Immerhin können Kläranlagen in Deutschland die | |
Plastikpartikel im Vergleich zu Arzneimitteln oder Bioziden verhältnismäßig | |
gut filtern. | |
Ob in Oldenburg besonders viel Mikroplastik herumfliegt, bleibt unklar. Von | |
einem Routine-Monitoring der Luft ist man noch weit entfernt. Das liegt | |
auch an der Technik: „Es wird unterschätzt, wie aufwendig diese Messung | |
ist“, sagt Ulrike Braun. Messungen zum Beispiel von Feinstaub in der Luft | |
werden mit Messgeräten durchgeführt, bei der Luft über einen | |
Glasfaserfilter gepumpt wird und anschließend die Masse und gegebenenfalls | |
die Art der Partikel bestimmt werden. „Bisher passiert das aber nur im | |
akademischen Bereich, um zu prüfen, was überhaupt möglich ist“, erklärt | |
Braun. | |
Universitäre Forschung würde unter ganz anderen Voraussetzungen und oft mit | |
viel mehr Zeit stattfinden als normierte Überwachungsverfahren das können | |
müssten. | |
## Kostengünstige und schnelle Art von Biomonitoring | |
„Es kommt quasi auf den Kunden der Messung an“, sagt Braun, die in diesem | |
Punkt auch die größte Schwäche der Spinnennetze sieht. Denn solange man die | |
ausgewerteten Netze nicht zu einem validierten Probenahme-Verfahren | |
überführen kann, seien diese keine Basis für die Rechts- und Regelsetzung – | |
den „Kunden“ im Umweltschutz. Trotzdem müsse man die Ergebnisse aus | |
Oldenburg sehr ernst nehmen, sagt Ulrike Braun. Ein über den Daumen | |
gepeiltes Verfahren könne systematisch und flächendeckend eingesetzt in | |
einer ersten Stufe sinnvoll sein. | |
Und es gibt noch ganz andere Schwierigkeiten, egal ob Maschine oder | |
Spinnennetz: Bei der Messung von Partikeln in der Luft laufen Forschende | |
immer Gefahr, dass die Raumluft im Labor trotz aller Vorsicht die Proben | |
verfälscht. „Grundsätzlich sind alle Chemikalien und Geräte ultrafiltriert | |
und gereinigt“, erklärt Barbara Scholz-Böttcher. Kleidung aus Kunststoff | |
sei im Labor tabu. Parallel zu den Proben werden außerdem sogenannte | |
Laborblindwerte erhoben und anschließend im Ergebnis verrechnet. | |
Die Forschenden aus Oldenburg sehen in ihrer ungewöhnlichen Methode eine | |
kostengünstige und schnelle Art von Biomonitoring. „Die Spinnennetze sind | |
eine Art Spiegel“, sagt Scholz-Böttcher. „Sie sammeln Partikel aus der Luft | |
unselektiv, geben also die relative Zusammensetzung der | |
Mikroplastik-Partikel dort wieder. Außerdem lassen sie sich sehr gut | |
untereinander vergleichen.“ | |
Nicht nur unterschiedliche Orte, sondern auch zeitliche Trends könnten laut | |
Scholz-Böttcher so gemessen werden. Dennoch sieht die Forscherin auch die | |
Vorteile etablierter Techniken, um die Luft auf Schadstoffe zu | |
untersuchen: „Aus meiner Sicht wäre eine Kombination sinnvoll.“ | |
11 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!5850465 | |
[2] /Insektenzaehlung-des-Nabu/!5858664 | |
[3] /OECD-warnt-vor-Plastikmuell/!5858842 | |
[4] /Experte-ueber-EU-Verbot-fuer-Einwegplastik/!5779354 | |
[5] /Studie-des-Helmholtz-Zentrums-Geesthacht/!5846858 | |
[6] /Luftmessstation-in-der-Lueneburger-Heide/!5776793 | |
## AUTOREN | |
Teresa Wolny | |
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