# taz.de -- Überlastete Landwirte: Niemand war bei den Schweinen | |
> In Niedersachsen ließ ein Landwirt seine 300 Schweine qualvoll | |
> verhungern. Er ist kein Einzelfall. Der Druck auf Bauern nimmt dramatisch | |
> zu. | |
Bild: Der Hof des angeklagten Schweinzüchters in Hilter. Aufgenommen im Noverm… | |
Bad Iburg/Berlin taz | Am Ende haben sie sich gegenseitig gefressen. 300 | |
Mastschweine hatte ein 64 Jahre alter Bauer in Hilter am Teutoburger Wald | |
eingestallt – und dann rund zwei Monate lang nicht gefüttert. Als zwei | |
Amtstierärzte des Landkreises Osnabrück den Stall am 26. November 2021 | |
betreten, finden sie tote Schweine „in unterschiedlichem | |
Verwesungszustand“. Vier Tiere leben noch, ihnen geht es aber so schlecht, | |
dass sie bald darauf sterben beziehungsweise getötet werden müssen. Von | |
einigen Tieren waren nur noch die Knochen übrig. Daraus schlossen die | |
Veterinäre, dass es zu Kannibalismus gekommen sein musste. | |
Der Landkreis hat dem Landwirt nach dieser Entdeckung verboten, wieder | |
Tiere zu halten. Am Mittwoch musste er sich zudem vor dem Amtsgericht | |
[1][Bad Iburg] verantworten. Hat der Landwirt gegen das Tierschutzgesetz | |
verstoßen? | |
Er wäre nicht der erste Landwirt, der vorbestraft wäre, weil er sein Vieh | |
so stark vernachlässigt hat, dass es stirbt. Bereits Mitte April | |
verurteilte das Amtsgericht im bayerischen Ansbach einen Bauern zu einer | |
Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren und einem lebenslangen | |
Tierhaltungsverbot, weil er 160 Rinder hatte verhungern lassen. Im | |
September davor waren im Landkreis Cloppenburg 250 zum Teil schon | |
mumifizierte Schweine entdeckt worden. In Neustadt am Rübenberge, in der | |
Region Hannover, waren im Juni 2020 mehr als 1.200 verendete Schweine | |
gefunden worden, die ein überforderter Jungbauer verhungern und verdursten | |
ließ. Und das sind noch nicht einmal alle Fälle aus der jüngsten | |
Vergangenheit. | |
Auffällig ist, dass oft über Monate oder gar Jahre niemand von dem [2][Leid | |
der Tiere] erfahren hat. ExpertInnen zufolge tragen dazu auch die | |
Rationalisierung und Konzentration in der Landwirtschaft bei: Da es immer | |
weniger Höfe gibt und die verbleibenden immer größer werden, betreuen immer | |
weniger Menschen immer mehr Tiere. Oft gibt es nur einen einzigen Betreuer. | |
Fällt der aus, ist das Vieh sich selbst überlassen. Die Veterinärämter sind | |
dabei in der Regel keine große Hilfe, da sie die meisten Betriebe nur | |
selten kontrollieren. | |
Auch der Landwirt im Teutoburger Wald musste sich weitgehend allein um | |
viele Tiere kümmern. Er hatte gleich zwei Höfe, drei Kilometer voneinander | |
entfernt. 130 Hektar Wirtschaftsfläche. Die 65 Rinder, größtenteils | |
Milchvieh, vernachlässigte er nicht. Aber die Schweine, die auf dem | |
zugepachteten Betrieb lebten. | |
Auf dem Klo eingeschlafen | |
Wie das passieren konnte, kann der Landwirt auch mehr als sieben Monate | |
nach dem Fund der Kadaver in seinem Stall nur schwer in Worte fassen. Er | |
sei arbeitsmäßig überlastet gewesen, habe die Fütterung der Schweine | |
aufgeschoben, „machste heute Abend“, „machste morgen“, dann irgendwann … | |
vergessen, sagt er vor Gericht. „Die Schweine waren irgendwie aus meinem | |
Bewusstsein raus.“ Der Mann ist ziemlich übergewichtig, sein helles | |
kariertes Hemd spannt sich über den mächtigen Bauch, seine schütteren Haare | |
wirken hinten zu lang, etwas ungepflegt. | |
Erst nach einem intensiven Gespräch mit seiner Frau, die ahnte, dass | |
irgendetwas nicht stimmt, sei ihm bewusst geworden, wie lange er nicht mehr | |
bei den Schweinen gewesen war. Als er die toten Tiere sah, habe ihn das | |
„sehr stark getroffen, vorsichtig ausgedrückt“. | |
Die Überlastungssituation – das muss der Vorsitzende Richter dem | |
Angeklagten allerdings erst durch hartnäckiges Nachfragen entlocken – hatte | |
sich über einen sehr langen Zeitraum aufgebaut. Er erzählt, dass seine Frau | |
seit einem Unfall auf dem Hof vor ein paar Jahren unter chronischen | |
Schmerzen leidet und als Arbeitskraft immer mal wieder ausfiel. Dass er den | |
Weggang der auf dem Hof mitarbeitenden Tochter und des Schwiegersohns durch | |
angestellte Hilfskräfte kaum kompensieren konnte und sich komplett alleine | |
um die Schweine gekümmert hat. | |
Auf die Frage des Gerichts, wann er zuletzt mal Urlaub hatte, muss der | |
Landwirt lange nachdenken. Es müsse 2018 gewesen sein, für eine Woche bei | |
der anderen Tochter in der Normandie, sagt er dann. Manchmal sei er abends | |
auf dem Klo eingeschlafen vor Erschöpfung. | |
Er zeigte sich selbst an | |
Der psychiatrische Gutachter bescheinigt ihm im Lauf der Ermittlungen eine | |
depressive Episode mit vermindertem Antrieb und herabgesetzter | |
Steuerungsfähigkeit. Es habe eben auch etwas mit der | |
Persönlichkeitsstruktur und dem Selbstbild als Macher zu tun, dass der | |
Landwirt, wie im Übrigen viele seiner selbstständigen Berufskollegen – | |
nicht in der Lage war, sich die Überlastung einzugestehen und Hilfe zu | |
suchen. „Er hat dann eine Teilaufgabe abgespalten und verdrängt“, sagt der | |
Gutachter. Aber eigentlich hat er damit gehandelt wie ein Beamter, der | |
aufhört, Akten zu bearbeiten oder ein Postbote, der Briefe nicht mehr | |
zustellt. Die Rinder aber, so der Gutachter weiter, hätten für den Landwirt | |
möglicherweise einen anderen Stellenwert gehabt, weshalb er sie weiter | |
betreute. | |
Der Verteidiger des Landwirtes gibt zu bedenken, dass es in dieser Branche | |
keine Arbeitsorganisation gebe und keine Struktur vorhanden sei, die | |
dazwischengrätscht, wenn was offensichtlich schiefläuft. Sein Mandant sei | |
ja nun wahrlich kein Einzelfall. | |
Die psychische Erkrankung des Landwirts zweifelt das Gericht nicht an – | |
aber dass der Angeklagte nicht mehr in der Lage gewesen sei, sein Verhalten | |
zu steuern, glaubt der Richter nicht. „Der restliche Betrieb, das restliche | |
Leben liefen weiter, eine soziale Isolation gab es auch nicht“, halten | |
sowohl der Oberstaatsanwalt als auch der Richter dem Bauern vor. | |
Als studiertem Landwirt hätte dem Mann klar sein müssen, was mit den Tieren | |
passiert, als Betriebsleiter und Unternehmer sei er seiner Verantwortung | |
nicht gerecht geworden, er hätte Hilfe holen können und müssen, so das | |
Gericht. Zugutegehalten wird ihm seine Selbstanzeige und sein kooperatives | |
Verhalten. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Tat sonst möglicherweise | |
über Jahre hinweg unentdeckt geblieben wäre“, sagt der Richter. Er hätte | |
die Kadaver ja auch einfach unterpflügen können und niemand hätte etwas | |
gemerkt. | |
14-Stunden-Tage für 2000 Euro netto | |
Der Landkreis hatte den Betrieb bis dahin nicht als tierschutzrechtlichen | |
Risikobetrieb eingestuft, gibt der Amtstierarzt zu Protokoll. Und auch über | |
das „Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere“ (HIT), in dem | |
die Landwirte Zu- und Abgänge von Tieren melden müssen, sei nichts | |
registriert gewesen, sagt der Veterinär. Dieses System sei für die | |
Nachverfolgung der Seuchenbekämpfung entwickelt worden – für solche Fälle | |
wie die im Teutoburger Wald sei das System aber nicht geeignet. | |
Die Veterinärämter hätten oft zu wenig Personal für genügend Kontrollen, um | |
solche Missstände rechtzeitig aufzudecken, sagt Edgar Schallenberger, | |
Schleswig-Holsteins Vertrauensmann für Tierschutz in der Landwirtschaft. | |
Der emeritierte Professor für Tierhaltung vermittelt gerade in Krisen | |
unbürokratisch zwischen Landwirten und Behörden. Kein anderes Bundesland | |
leistet sich so eine Stelle. | |
„Früher gab es noch Kinder, Familien, den alten Opa, die alte Oma – und | |
alle haben sich irgendwie um die paar Viecher auch gekümmert und waren | |
häufiger im Stall“, erzählt Schallenberger. „Ohne Wachstum hat kaum ein | |
Betrieb überlebt. Aber wenn sie die doppelte Tierzahl haben, haben sie noch | |
nicht die doppelte Zahl an Mitarbeitern, und dann wird es schwierig.“ | |
Außerdem sei die ökonomische Lage schwierig. Er kenne keinen Bauern, der in | |
den vergangenen zehn Jahren gut verdient habe, erzählt der Vertrauensmann. | |
„Viele arbeiten mit Schulden und die Schulden sind beträchtlich. Der Druck | |
ist riesig.“ Typisch sei ein Verdienst von 3.500 bis 4.000 Euro pro Monat | |
für eine Bauernfamilie – bei dem Landwirt aus Hilter geht das Gericht davon | |
aus, dass er 2.100 Euro netto pro Monat verdiente. „Das ist nicht gerade | |
üppig für 14/15-Stunden-Arbeitstage“, sagt Schallenberger. Ein Grund, warum | |
viele Betriebe aufgeben würden. | |
Der hohe Druck könne Depressionen oder Burnout auslösen. Oft kämen noch | |
familiäre Belastungen wie Scheidungen dazu. „Irgendwann fangen die Leute | |
an, sich selber zu vernachlässigen. Und irgendwann vernachlässigen sie auch | |
ihre Tiere. Nicht nur das geschundene Vieh, sondern auch die Menschen sind | |
die Leidtragenden.“ | |
Vorbestraft in Rente | |
Er habe es auch schon erlebt, dass eine Landwirtin Tiere in den Stall | |
bringe und morgens nicht mehr aufstehen kann. Solche Fälle passierten zwar | |
nicht ständig, aber immer mal wieder. Und natürlich: „Jeder Fall ist einer | |
zu viel“, so Schallenberger. | |
„Irgendwann beginnt eine Abwärtsspirale. Das ist nicht bauernspezifisch. | |
Das gibt es in allen Berufen“, sagt der Professor. Aber anders als von | |
Büroangestellten hängen von Landwirten eben Hunderte oder Tausende Tiere | |
ab. | |
Er wolle sowieso in Rente gehen und zu seiner Tochter ziehen, hatte der | |
Landwirt aus dem Teutoburger Wald gleich zu Beginn seiner | |
Gerichtsverhandlung erklärt. | |
Das Amtsgericht hat ihn nun zu einer Geldstrafe von 9.100 Euro verurteilt. | |
Er muss außerdem die Gerichtskosten tragen und ein Vermögen im Wert von | |
rund 12.000 Euro wird eingezogen – die Höhe der Futterkosten, die er | |
„eingespart“ hat. | |
Er gilt nun als vorbestraft. | |
1 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
Jost Maurin | |
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