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# taz.de -- Väter in der Politik: Das sichtbare Kind
> Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter leitet im Bundestag eine
> Ausschusssitzung – mit seinem Sohn auf dem Schoß. Zum Glück!
Bild: Holzfahrrad oder Plastikauto? Papa Hofreiter steht unter Beobachtung
Hier ein wichtiger Hinweis für alle, die sich gerade überlegen, ein Kind zu
bekommen. Oder sogar mehrere. Sie werden eine großartige Zeit haben.
Wunderbare Erlebnisse, intensive Zärtlichkeit, absurd schöne Dialoge. Und
es wird harte Zeiten geben. Vollgeschissene Windeln sind dabei wahrlich
nicht das schlimmste.
Was viele gar nicht vermuten: Viel heftiger kann der Moment werden, wenn
Sie mit Ihrem Kind in die Öffentlichkeit treten. Ob Sie dem Kind ein Eis
kaufen. Oder nicht. Ob Sie es am Seeufer auf der Wiese buddeln lassen. Oder
nicht. Ob Sie es im Notfall mal mit zur Arbeit schleppen. Oder nicht. Ganz
egal, wie Sie sich verhalten, Sie laufen rund um die Uhr Gefahr, kritisiert
zu werden. Und zwar heftig.
Was das heißt, muss gerade [1][Anton Hofreiter] erleben. Der grüne
Politiker leitet im Bundestag den EU-Ausschuss. Bei der Sitzung am Montag
wurde geredet „über Chancen und Risiken der 750 Milliarden Euro umfassenden
Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) als Hauptbestandteil des
Corona-Wiederaufbauprogramms ‚Next Generation EU‘“.
## „Inszinierter Schnulli“
Wahrscheinlich hätte kaum jemand außerhalb des Parlaments etwas davon
mitbekommen. Aber auf Hofreiters Schoß saß sein einjähriger Sohn. Ein
Redakteur von [2][bundestag.de] [3][twitterte ein Foto davon und schrieb
dazu], erst mal vollkommen wertfrei: „Anton Hofreiter leitet gerade den
EU-Ausschuss. Und zwar so.“ Seither kriegt sich die Twitter-Republik gar
nicht mehr ein.
In den Kommentaren ist alles dabei. Der Grüne, heißt es, mache das doch nur
aus Publizitätsgründen. Das sei plumpe Inszenierung. Das Mitnehmen des
Sohnes sei alles andere als kindgerecht, empören sich andere. Hofreiter
hätte besser eine Nanny engagieren sollen, als Politiker könne er sich so
was leisten, schimpfen dritte. Vierte finden das alles ganz toll und feiern
Hofreiter als Vorbild. Fünfte kommen mit der Geschlechterdebatte. Wenn
Frauen so was machen, heißt es dann, würden sie als Rabenmütter verurteilt,
Männer hingegen würden als Helden beklatscht. Und sechste sind schließlich
hart genervt, dass nun „Politiker:innen für solchen inszenierten
Schnulli“ abgefeiert werden.
Sonst noch was? Klar: Siebte kritisieren das Spielzeug. Der Bub hat ein
Polizeiauto aus Plastik dabei, das passe doch nicht für einen
verkehrspolitisch geschulten Öko wie Hofreiter. Zum Glück hatte der Kleine
kein aus Holz geschnitztes Spielzeuglastenfahrrad neben Hofreiters Laptop.
Dann wäre erst recht was los gewesen.
Und warum die ganze Aufregung? Man darf vermuten, dass einfach irgendwas
schiefgelaufen ist. Ein kurzfristiger Termin dazwischengekommen ist. Die
Mutter – warum auch immer – verhindert war. Die Kita geschlossen, der
Babysitter ausgefallen, der Opa krank oder das Auto kaputt war. Was genau
der Grund für Hofreiter war, seinen Sohn mit in die Sitzung zu nehmen, geht
niemanden etwas an. Aber man darf darauf vertrauen, dass es eben nicht
anders ging. Denn niemand nimmt seine Kids zu solchen Terminen freiwillig
mit. Jeder, der Kinder hat, weiß: Spaß ist etwas anderes.
## Unter Beobachtung
Zum Glück ist durch [4][Corona], zumindest in homeofficekompatiblen Jobs,
da etwas Bewegung reingekommen. Kinder können da – im Notfall – einfach mal
im Hintergrund mitlaufen. Wenn Eltern nun diese Erfahrung auch in
postpandemischen Zeiten nutzen und die Kids mal mit zu einem Termin nehmen,
ist das nur konsequent. Die Folge: Kinder werden sichtbarer, auch im
Arbeitsumfeld ihrer Eltern.
Eltern in der Öffentlichkeit aber sind, siehe oben, ein Aufreger. Sie
stehen unter Beobachtung, erst recht, wenn sie aus der angeblich
festgeschriebenen Rolle fallen. Das gilt auch für Politikerinnen, [5][denen
ein Verstoß gegen die Würde des Amtes vorgeworfen wird, wenn sie ein Baby
auf dem Arm haben]. Diese Aufregung aber hat durchaus etwas Gutes. Denn nur
wenn Eltern, wie jetzt Hofreiter, im positiven Sinne auffällig werden,
ändern sie die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung. Und das ist überfällig
– nicht nur, aber erst recht bei Männern.
Selbst auf den Spielplätzen in angeblich so fortschrittlichen Kiezen wie
etwa Berlin-Prenzlauer Berg ist der zu gleichen Teilen an der Erziehung
beteiligte Vater immer noch die Ausnahme. Und das liegt nur zum kleineren
Teil am Unwillen der Männer. Viele stoßen schon auf Unverständnis ihrer
Vorgesetzten, wenn sie Elternzeit nur in Erwägung ziehen. Erst recht, wenn
es um mehr als die zwei „Vätermonate“ gehen soll.
Wer sich dann auch noch erlaubt, seinen Nachwuchs zu einem Meeting
mitzunehmen, ist komplett unten durch – auch bei Kollegen, die sich
gegenseitig eine Männlichkeit vorprotzen, die man gern als überholt
betrachten würde, die es aber noch lange nicht ist.
Das einzige Problem an der Sache mit Anton Hofreiters Sohn ist, dass sie
eine große Sache ist. Sie ist noch längst nicht so alltäglich, dass alle
nur noch mit Schulterzucken reagieren.
Vorbildlich war daher weniger das Verhalten des fürsorglichen Vaters im
Bundestag, sondern vor allem sein Umfeld. [6][Im Video von der
zweistündigen Veranstaltung] ist zu sehen, dass der jetzt viel diskutierte
Ausschussgast vor Ort überhaupt kein Thema war. Niemand verzog eine Miene,
keiner guckte schräg oder machte gar eine süffisant spitze Bemerkung. Nicht
mal, als Hofreiters Sohn ein wenig ins Mikro brabbelte und damit den
Redebeitrag seines Sitznachbarn untermalte.
Der junge Mann fand seine Sitzungspräsenz übrigens nicht so spannend. Schon
nach wenigen Minuten verschwand er vom Schoß seines prominenten Papas und
spielte fortan irgendwo im Hintergrund. Womit? Keine Ahnung. Es ist auch
vollkommen egal.
21 Jun 2022
## LINKS
[1] /Anton-Hofreiter/!t5010733
[2] https://www.bundestag.de/
[3] https://twitter.com/lukasSstern/status/1538878244501479426
[4] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[5] /Elternschaft-und-Arbeit/!5781950
[6] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw25-pa-europa-next-gene…
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Anton Hofreiter
Erziehung
Väter
Elternzeit
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Kolumne Kinderspiel
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